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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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dem Bewußtsein tüchtiger Vergangenheit und im Besitze wenn nicht glän¬
zender, so doch desto soliderer Existenzbedingungen eingetreten, die vom
großen Staatsleben nur Förderung zu erwarten haben. --




Finnland und das Uationalitätsprinciv.

(Vgl. Ur. 32 der Grenzboten: Finnland und die Finnländer.)

Bis gegen das Ende des 18. Jahrhunderts war das schwedische Element
das in Finnland ausschließlich herrschende. Finnnland war eine schwedische
Provinz und wurde als solche genau ebenso behandelt, wie das Land west¬
lich vom böhmischen Meerbusen. Während Glieder des (wie wir wissen
schwedischen) Adels häufig nach Stockholm gingen, um höhere Staats- und
Militärämter zu erwerben, kamen jährlich zahlreiche schwedische Gelehrte, Be¬
amte, Geistliche, Kaufleute u. s. w. nach Finnland herüber, um sich daselbst
niederzulassen. Es verstand sich von selbst, daß Jeder, der zu der herr¬
schenden Gesellschaftsklasse gezählt werden wollte, zum Schweden wurde und
die finnische Nationalität, welche ausschließlich das Bauernthum repräsentirte,
spielte absolut gar keine Rolle. Man war ihr in den höheren Schichten kei¬
neswegs abgeneigt und wegen der persönlichen Freiheit der Bauern fehlte
sogar jeder Grund zu ständisch-nationalen Conflicten -- in durchaus naiver
Weise hielt man es aber für selbstverständlich, daß die schwedische Cultur¬
sprache die alleinherrschende war und blieb, und daß das Finnische aus die
bäuerliche Sphäre beschränkt blieb.

Eine finnische Litteratur hatte es bis gegen das letzte Viertel des vorigen
Jahrhunderts eigentlich nicht gegeben und es liegt die Annahme nah, daß
schwedischer Seits absichtlich nichts zur Förderung derselben geschehen. Die
einzigen vorhandenen finnischen Druckschriften waren Bibeln, Gesangbücher
und Erbauungsbücher für den Hausgebrauch des Bauern, und auch mit
diesen war es ziemlich langsam vorwärts gegangen. Das erste finnische Buch,
eine Erbauungsschrift, war 1344 zu Abo gedruckt worden, ihm folgten des
Bischof Agricola Übersetzungen einzelner Bücher des alten und neuen Testa¬
ments, eine vollständige Bibel in finnischer Sprache erschien beinahe hundert
Jahr später, Anno 1642 zu Stockholm,

Als Schweden um die Mitte des 18. Jahrhunderts durch die Parteikämpfe
der Hüte und Mützen gelähmt, um seine innere Würde und sein äußeres An¬
sehen gebracht war und Finnland der unglückliche Schauplatz fortwährender


dem Bewußtsein tüchtiger Vergangenheit und im Besitze wenn nicht glän¬
zender, so doch desto soliderer Existenzbedingungen eingetreten, die vom
großen Staatsleben nur Förderung zu erwarten haben. —




Finnland und das Uationalitätsprinciv.

(Vgl. Ur. 32 der Grenzboten: Finnland und die Finnländer.)

Bis gegen das Ende des 18. Jahrhunderts war das schwedische Element
das in Finnland ausschließlich herrschende. Finnnland war eine schwedische
Provinz und wurde als solche genau ebenso behandelt, wie das Land west¬
lich vom böhmischen Meerbusen. Während Glieder des (wie wir wissen
schwedischen) Adels häufig nach Stockholm gingen, um höhere Staats- und
Militärämter zu erwerben, kamen jährlich zahlreiche schwedische Gelehrte, Be¬
amte, Geistliche, Kaufleute u. s. w. nach Finnland herüber, um sich daselbst
niederzulassen. Es verstand sich von selbst, daß Jeder, der zu der herr¬
schenden Gesellschaftsklasse gezählt werden wollte, zum Schweden wurde und
die finnische Nationalität, welche ausschließlich das Bauernthum repräsentirte,
spielte absolut gar keine Rolle. Man war ihr in den höheren Schichten kei¬
neswegs abgeneigt und wegen der persönlichen Freiheit der Bauern fehlte
sogar jeder Grund zu ständisch-nationalen Conflicten — in durchaus naiver
Weise hielt man es aber für selbstverständlich, daß die schwedische Cultur¬
sprache die alleinherrschende war und blieb, und daß das Finnische aus die
bäuerliche Sphäre beschränkt blieb.

Eine finnische Litteratur hatte es bis gegen das letzte Viertel des vorigen
Jahrhunderts eigentlich nicht gegeben und es liegt die Annahme nah, daß
schwedischer Seits absichtlich nichts zur Förderung derselben geschehen. Die
einzigen vorhandenen finnischen Druckschriften waren Bibeln, Gesangbücher
und Erbauungsbücher für den Hausgebrauch des Bauern, und auch mit
diesen war es ziemlich langsam vorwärts gegangen. Das erste finnische Buch,
eine Erbauungsschrift, war 1344 zu Abo gedruckt worden, ihm folgten des
Bischof Agricola Übersetzungen einzelner Bücher des alten und neuen Testa¬
ments, eine vollständige Bibel in finnischer Sprache erschien beinahe hundert
Jahr später, Anno 1642 zu Stockholm,

Als Schweden um die Mitte des 18. Jahrhunderts durch die Parteikämpfe
der Hüte und Mützen gelähmt, um seine innere Würde und sein äußeres An¬
sehen gebracht war und Finnland der unglückliche Schauplatz fortwährender


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[0334] dem Bewußtsein tüchtiger Vergangenheit und im Besitze wenn nicht glän¬ zender, so doch desto soliderer Existenzbedingungen eingetreten, die vom großen Staatsleben nur Förderung zu erwarten haben. — Finnland und das Uationalitätsprinciv. (Vgl. Ur. 32 der Grenzboten: Finnland und die Finnländer.) Bis gegen das Ende des 18. Jahrhunderts war das schwedische Element das in Finnland ausschließlich herrschende. Finnnland war eine schwedische Provinz und wurde als solche genau ebenso behandelt, wie das Land west¬ lich vom böhmischen Meerbusen. Während Glieder des (wie wir wissen schwedischen) Adels häufig nach Stockholm gingen, um höhere Staats- und Militärämter zu erwerben, kamen jährlich zahlreiche schwedische Gelehrte, Be¬ amte, Geistliche, Kaufleute u. s. w. nach Finnland herüber, um sich daselbst niederzulassen. Es verstand sich von selbst, daß Jeder, der zu der herr¬ schenden Gesellschaftsklasse gezählt werden wollte, zum Schweden wurde und die finnische Nationalität, welche ausschließlich das Bauernthum repräsentirte, spielte absolut gar keine Rolle. Man war ihr in den höheren Schichten kei¬ neswegs abgeneigt und wegen der persönlichen Freiheit der Bauern fehlte sogar jeder Grund zu ständisch-nationalen Conflicten — in durchaus naiver Weise hielt man es aber für selbstverständlich, daß die schwedische Cultur¬ sprache die alleinherrschende war und blieb, und daß das Finnische aus die bäuerliche Sphäre beschränkt blieb. Eine finnische Litteratur hatte es bis gegen das letzte Viertel des vorigen Jahrhunderts eigentlich nicht gegeben und es liegt die Annahme nah, daß schwedischer Seits absichtlich nichts zur Förderung derselben geschehen. Die einzigen vorhandenen finnischen Druckschriften waren Bibeln, Gesangbücher und Erbauungsbücher für den Hausgebrauch des Bauern, und auch mit diesen war es ziemlich langsam vorwärts gegangen. Das erste finnische Buch, eine Erbauungsschrift, war 1344 zu Abo gedruckt worden, ihm folgten des Bischof Agricola Übersetzungen einzelner Bücher des alten und neuen Testa¬ ments, eine vollständige Bibel in finnischer Sprache erschien beinahe hundert Jahr später, Anno 1642 zu Stockholm, Als Schweden um die Mitte des 18. Jahrhunderts durch die Parteikämpfe der Hüte und Mützen gelähmt, um seine innere Würde und sein äußeres An¬ sehen gebracht war und Finnland der unglückliche Schauplatz fortwährender

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/334>, abgerufen am 05.05.2024.