Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

Bild:
<< vorherige Seite

keinen unbedeutenden Budgetposten handeln, da das Einzelhaftsystem be¬
kanntlich die theuerste aller bestehenden Formen des Strafvollzugs ist, und
dieser Umstand wird gegenwärtig vielleicht mehr als alles Andere geeignet
sein dem Gegenstande die geschärfte Aufmerksamkeit des Abgeordnetenhauses
zuzuwenden. Wenn dasselbe bezüglich der einmal bestehenden Einrichtungen
bisher Anstand genommen hat sich den Regierungsanforderungen zu entziehen,
so sollte es sich doch bei neu erhobenen Ansprüchen zu dem Entschluß auf¬
raffen jede Bewilligung abzulehnen, bis dem Rechtspunkt und dem noth¬
wendigen Neformbedürfniß Genüge geleistet ist. Niemand wird nach dem
bisherigen Verlauf der Dinge das Abgeordnetenhaus der Uebereilung zeihen
dürfen, wenn es von seinem formellen Rechte endlich ernsthaften Gebrauch
macht, wenn es eine längere Verschleppung des Gegenstandes, als das An¬
sehen der Gesetzgebung wie die Würde des Landtags beeinträchtigend, ent¬
schieden von der Hand weist.


I. Duboc.


Aus den Memoiren eines russischen BeKabristen:
V. Sträflingsleben in Sibirien.

Ende Mai begannen die Berge und Wiesen um Tschita zu grünen.
Dieses kleine Dorf liegt an der großen Straße, zwischen dem Baikalsee und
Nertschinsk, auf einer Anhöhe, von zwei Seiten von hohen Bergen umgeben.
Der kleine Fluß Tschita ergießt sich in der Nähe des Dorfs in den schiff¬
baren Fluß Jngoda und bildet ein reizendes Thal. Nach Norden hin sieht
man den See Onon, an dessen Usern Tschingis-Chan seinen Gerichtshof hielt
(er pflegte die Schuldigen in siedendem Wasser zu kochen) als er nach Ru߬
land marschirte. Die Nachkommen seiner Mongolen, die Burjäten, ziehen noch
heute in dieser an Wiesen und Wasser reichen Gegend als Nomaden umher;
mit ihren Filzzelten sind sie bald hier bald dort, immer zu Pferde, oft mit det
Flinte, gewöhnlich mit Bogen und Pfeilen bewaffnet, um das Pulver, das sie
wohl kennen, für besondere Nothfälle zu sparen. Ein Theil der Burjäten hat
sich angesiedelt, er treibt Ackerbau und berieselt sein Feld und Wiese ebenso
geschickt, wie die Mailänder es thun. Obgleich die hohe Lage Tschitah die
Kälte im Winter beträchtlich vermehrt, so hat dieser Ort doch eine besonders
reine, gesunde Luft. Der Himmel ist fast immer heiter, außer im August,
wenn die Gewitter einige Tage lang fast ununterbrochen donnern und dann
ein Platzregen folgt, der mit ungeheuren großen einzelnen Tropfen anfängt


keinen unbedeutenden Budgetposten handeln, da das Einzelhaftsystem be¬
kanntlich die theuerste aller bestehenden Formen des Strafvollzugs ist, und
dieser Umstand wird gegenwärtig vielleicht mehr als alles Andere geeignet
sein dem Gegenstande die geschärfte Aufmerksamkeit des Abgeordnetenhauses
zuzuwenden. Wenn dasselbe bezüglich der einmal bestehenden Einrichtungen
bisher Anstand genommen hat sich den Regierungsanforderungen zu entziehen,
so sollte es sich doch bei neu erhobenen Ansprüchen zu dem Entschluß auf¬
raffen jede Bewilligung abzulehnen, bis dem Rechtspunkt und dem noth¬
wendigen Neformbedürfniß Genüge geleistet ist. Niemand wird nach dem
bisherigen Verlauf der Dinge das Abgeordnetenhaus der Uebereilung zeihen
dürfen, wenn es von seinem formellen Rechte endlich ernsthaften Gebrauch
macht, wenn es eine längere Verschleppung des Gegenstandes, als das An¬
sehen der Gesetzgebung wie die Würde des Landtags beeinträchtigend, ent¬
schieden von der Hand weist.


I. Duboc.


Aus den Memoiren eines russischen BeKabristen:
V. Sträflingsleben in Sibirien.

Ende Mai begannen die Berge und Wiesen um Tschita zu grünen.
Dieses kleine Dorf liegt an der großen Straße, zwischen dem Baikalsee und
Nertschinsk, auf einer Anhöhe, von zwei Seiten von hohen Bergen umgeben.
Der kleine Fluß Tschita ergießt sich in der Nähe des Dorfs in den schiff¬
baren Fluß Jngoda und bildet ein reizendes Thal. Nach Norden hin sieht
man den See Onon, an dessen Usern Tschingis-Chan seinen Gerichtshof hielt
(er pflegte die Schuldigen in siedendem Wasser zu kochen) als er nach Ru߬
land marschirte. Die Nachkommen seiner Mongolen, die Burjäten, ziehen noch
heute in dieser an Wiesen und Wasser reichen Gegend als Nomaden umher;
mit ihren Filzzelten sind sie bald hier bald dort, immer zu Pferde, oft mit det
Flinte, gewöhnlich mit Bogen und Pfeilen bewaffnet, um das Pulver, das sie
wohl kennen, für besondere Nothfälle zu sparen. Ein Theil der Burjäten hat
sich angesiedelt, er treibt Ackerbau und berieselt sein Feld und Wiese ebenso
geschickt, wie die Mailänder es thun. Obgleich die hohe Lage Tschitah die
Kälte im Winter beträchtlich vermehrt, so hat dieser Ort doch eine besonders
reine, gesunde Luft. Der Himmel ist fast immer heiter, außer im August,
wenn die Gewitter einige Tage lang fast ununterbrochen donnern und dann
ein Platzregen folgt, der mit ungeheuren großen einzelnen Tropfen anfängt


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0322" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287594"/>
          <p xml:id="ID_827" prev="#ID_826"> keinen unbedeutenden Budgetposten handeln, da das Einzelhaftsystem be¬<lb/>
kanntlich die theuerste aller bestehenden Formen des Strafvollzugs ist, und<lb/>
dieser Umstand wird gegenwärtig vielleicht mehr als alles Andere geeignet<lb/>
sein dem Gegenstande die geschärfte Aufmerksamkeit des Abgeordnetenhauses<lb/>
zuzuwenden. Wenn dasselbe bezüglich der einmal bestehenden Einrichtungen<lb/>
bisher Anstand genommen hat sich den Regierungsanforderungen zu entziehen,<lb/>
so sollte es sich doch bei neu erhobenen Ansprüchen zu dem Entschluß auf¬<lb/>
raffen jede Bewilligung abzulehnen, bis dem Rechtspunkt und dem noth¬<lb/>
wendigen Neformbedürfniß Genüge geleistet ist. Niemand wird nach dem<lb/>
bisherigen Verlauf der Dinge das Abgeordnetenhaus der Uebereilung zeihen<lb/>
dürfen, wenn es von seinem formellen Rechte endlich ernsthaften Gebrauch<lb/>
macht, wenn es eine längere Verschleppung des Gegenstandes, als das An¬<lb/>
sehen der Gesetzgebung wie die Würde des Landtags beeinträchtigend, ent¬<lb/>
schieden von der Hand weist.</p><lb/>
          <note type="byline"> I. Duboc.</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Aus den Memoiren eines russischen BeKabristen:</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> V. Sträflingsleben in Sibirien.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_828" next="#ID_829"> Ende Mai begannen die Berge und Wiesen um Tschita zu grünen.<lb/>
Dieses kleine Dorf liegt an der großen Straße, zwischen dem Baikalsee und<lb/>
Nertschinsk, auf einer Anhöhe, von zwei Seiten von hohen Bergen umgeben.<lb/>
Der kleine Fluß Tschita ergießt sich in der Nähe des Dorfs in den schiff¬<lb/>
baren Fluß Jngoda und bildet ein reizendes Thal. Nach Norden hin sieht<lb/>
man den See Onon, an dessen Usern Tschingis-Chan seinen Gerichtshof hielt<lb/>
(er pflegte die Schuldigen in siedendem Wasser zu kochen) als er nach Ru߬<lb/>
land marschirte. Die Nachkommen seiner Mongolen, die Burjäten, ziehen noch<lb/>
heute in dieser an Wiesen und Wasser reichen Gegend als Nomaden umher;<lb/>
mit ihren Filzzelten sind sie bald hier bald dort, immer zu Pferde, oft mit det<lb/>
Flinte, gewöhnlich mit Bogen und Pfeilen bewaffnet, um das Pulver, das sie<lb/>
wohl kennen, für besondere Nothfälle zu sparen. Ein Theil der Burjäten hat<lb/>
sich angesiedelt, er treibt Ackerbau und berieselt sein Feld und Wiese ebenso<lb/>
geschickt, wie die Mailänder es thun. Obgleich die hohe Lage Tschitah die<lb/>
Kälte im Winter beträchtlich vermehrt, so hat dieser Ort doch eine besonders<lb/>
reine, gesunde Luft. Der Himmel ist fast immer heiter, außer im August,<lb/>
wenn die Gewitter einige Tage lang fast ununterbrochen donnern und dann<lb/>
ein Platzregen folgt, der mit ungeheuren großen einzelnen Tropfen anfängt</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0322] keinen unbedeutenden Budgetposten handeln, da das Einzelhaftsystem be¬ kanntlich die theuerste aller bestehenden Formen des Strafvollzugs ist, und dieser Umstand wird gegenwärtig vielleicht mehr als alles Andere geeignet sein dem Gegenstande die geschärfte Aufmerksamkeit des Abgeordnetenhauses zuzuwenden. Wenn dasselbe bezüglich der einmal bestehenden Einrichtungen bisher Anstand genommen hat sich den Regierungsanforderungen zu entziehen, so sollte es sich doch bei neu erhobenen Ansprüchen zu dem Entschluß auf¬ raffen jede Bewilligung abzulehnen, bis dem Rechtspunkt und dem noth¬ wendigen Neformbedürfniß Genüge geleistet ist. Niemand wird nach dem bisherigen Verlauf der Dinge das Abgeordnetenhaus der Uebereilung zeihen dürfen, wenn es von seinem formellen Rechte endlich ernsthaften Gebrauch macht, wenn es eine längere Verschleppung des Gegenstandes, als das An¬ sehen der Gesetzgebung wie die Würde des Landtags beeinträchtigend, ent¬ schieden von der Hand weist. I. Duboc. Aus den Memoiren eines russischen BeKabristen: V. Sträflingsleben in Sibirien. Ende Mai begannen die Berge und Wiesen um Tschita zu grünen. Dieses kleine Dorf liegt an der großen Straße, zwischen dem Baikalsee und Nertschinsk, auf einer Anhöhe, von zwei Seiten von hohen Bergen umgeben. Der kleine Fluß Tschita ergießt sich in der Nähe des Dorfs in den schiff¬ baren Fluß Jngoda und bildet ein reizendes Thal. Nach Norden hin sieht man den See Onon, an dessen Usern Tschingis-Chan seinen Gerichtshof hielt (er pflegte die Schuldigen in siedendem Wasser zu kochen) als er nach Ru߬ land marschirte. Die Nachkommen seiner Mongolen, die Burjäten, ziehen noch heute in dieser an Wiesen und Wasser reichen Gegend als Nomaden umher; mit ihren Filzzelten sind sie bald hier bald dort, immer zu Pferde, oft mit det Flinte, gewöhnlich mit Bogen und Pfeilen bewaffnet, um das Pulver, das sie wohl kennen, für besondere Nothfälle zu sparen. Ein Theil der Burjäten hat sich angesiedelt, er treibt Ackerbau und berieselt sein Feld und Wiese ebenso geschickt, wie die Mailänder es thun. Obgleich die hohe Lage Tschitah die Kälte im Winter beträchtlich vermehrt, so hat dieser Ort doch eine besonders reine, gesunde Luft. Der Himmel ist fast immer heiter, außer im August, wenn die Gewitter einige Tage lang fast ununterbrochen donnern und dann ein Platzregen folgt, der mit ungeheuren großen einzelnen Tropfen anfängt

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/322
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/322>, abgerufen am 02.05.2024.