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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Corsarenschiffe und ungehinderte Heimkehr der Candioten seien im Voraus
angenommen, die Forderung, daß Griechenland verspreche, sich künstig dem
Völkerrechte gemäß zu betragen, sei von der Pforte aufgegeben, es bleibe
also nur noch ein Compromiß über den vierten Punkt herzustellen: Bestrafung
der gegen türkische Soldaten verübten Morde und Entschädigung dasür. An¬
genommen die Sache stehe so, wird es als ausgemacht gelten dürfen, daß
sich Griechenland, welches keine Stimme in der Conferenz hat, sondern nur
verhört wird, in Wahrheit unterwirft? Im Jahre 18S4 bedürfte es trotz
der für die Regierung von Athen so ungünstigen Umstände einer französisch-
englischen Besatzung, um den Rückzug aus Thessalien und die Neutralität
während des Krimkrieges zu erzwingen. Eine derartige Maßregel brauchen
die Griechen jetzt nicht zu fürchten, sie haben ihre Schiffe hinter sich verbrannt,
rechnen darauf, daß schließlich Rußland sie doch nicht fallen lassen kann, und
hoffen, vielleicht mit Recht, daß Gladstone's Mhellenische Tendenzen ihnen
indirect zu Statten kommen werden. Rußland muß jedenfalls versuchen die
candiotische Frage in die Discussion zu ziehen, die Pforte muß dagegen
protestiren, Oestreich hat das nächste Interesse keine Verkleisterung drohender
Conflicte zu acceptiren. Wird bei so entgegengesetzten Tendenzen eine Eini¬
gung -- und noch dazu eine schnelle- -- auf der Conferenz bewirkt, so heißt
das nichts weiter als: die Conferenz erreicht ein Resultat, weil sie daraus
verzichtet ein Resultat zu erreichen.

Es ist sehr leicht den Griechen durch Decret Ruhe zu befehlen. Aber
wenn in vier Wochen die Intriguen und Aufstandsoersuche oder gar innere
Meutereien in Hellas wieder aufflackern, was dann? Werden dann Flotten
von England, Frankreich, Oestreich in das Hintere Mittelmeer gesandt wer¬
den, um, wie Oestreich wünscht, in einer Cooperativn den Ungehorsamen
niederzuschlagen und den Griechen und Slaven gründlichen Schrecken einzu¬
jagen? Uns scheint der erste kriegerische Kanonenschuß, welcher von fremden
Flotten dort abgefeuert wird, kein Friedebringer, sondern ein Allarmschuß
für Europa. ^

Und deshalb besorgen wir, die Conferenz, wie sie zu Stande gebracht
wurde, ist nicht der Schluß, fondern ein Prolog für den türkisch-griechischen
Conflict, und die Verhältnisse des Orients werden in dem beginnenden Jahr
der europäischen Diplomatie und uns Andern vollauf zu thun machen.




Aus den deutsch^russischen Gflseeprovinzen.

Seit den ausführlichen Berichten, welche die Grenzboten im Herbst und
Winter 1867 über die Lage der baltischen Provinzen Rußlands veröffent¬
lichten, haben sich in diesen Grenzländern so zahlreiche und so einschneidende


Grenzbote" I. 1869. Is

Corsarenschiffe und ungehinderte Heimkehr der Candioten seien im Voraus
angenommen, die Forderung, daß Griechenland verspreche, sich künstig dem
Völkerrechte gemäß zu betragen, sei von der Pforte aufgegeben, es bleibe
also nur noch ein Compromiß über den vierten Punkt herzustellen: Bestrafung
der gegen türkische Soldaten verübten Morde und Entschädigung dasür. An¬
genommen die Sache stehe so, wird es als ausgemacht gelten dürfen, daß
sich Griechenland, welches keine Stimme in der Conferenz hat, sondern nur
verhört wird, in Wahrheit unterwirft? Im Jahre 18S4 bedürfte es trotz
der für die Regierung von Athen so ungünstigen Umstände einer französisch-
englischen Besatzung, um den Rückzug aus Thessalien und die Neutralität
während des Krimkrieges zu erzwingen. Eine derartige Maßregel brauchen
die Griechen jetzt nicht zu fürchten, sie haben ihre Schiffe hinter sich verbrannt,
rechnen darauf, daß schließlich Rußland sie doch nicht fallen lassen kann, und
hoffen, vielleicht mit Recht, daß Gladstone's Mhellenische Tendenzen ihnen
indirect zu Statten kommen werden. Rußland muß jedenfalls versuchen die
candiotische Frage in die Discussion zu ziehen, die Pforte muß dagegen
protestiren, Oestreich hat das nächste Interesse keine Verkleisterung drohender
Conflicte zu acceptiren. Wird bei so entgegengesetzten Tendenzen eine Eini¬
gung — und noch dazu eine schnelle- — auf der Conferenz bewirkt, so heißt
das nichts weiter als: die Conferenz erreicht ein Resultat, weil sie daraus
verzichtet ein Resultat zu erreichen.

Es ist sehr leicht den Griechen durch Decret Ruhe zu befehlen. Aber
wenn in vier Wochen die Intriguen und Aufstandsoersuche oder gar innere
Meutereien in Hellas wieder aufflackern, was dann? Werden dann Flotten
von England, Frankreich, Oestreich in das Hintere Mittelmeer gesandt wer¬
den, um, wie Oestreich wünscht, in einer Cooperativn den Ungehorsamen
niederzuschlagen und den Griechen und Slaven gründlichen Schrecken einzu¬
jagen? Uns scheint der erste kriegerische Kanonenschuß, welcher von fremden
Flotten dort abgefeuert wird, kein Friedebringer, sondern ein Allarmschuß
für Europa. ^

Und deshalb besorgen wir, die Conferenz, wie sie zu Stande gebracht
wurde, ist nicht der Schluß, fondern ein Prolog für den türkisch-griechischen
Conflict, und die Verhältnisse des Orients werden in dem beginnenden Jahr
der europäischen Diplomatie und uns Andern vollauf zu thun machen.




Aus den deutsch^russischen Gflseeprovinzen.

Seit den ausführlichen Berichten, welche die Grenzboten im Herbst und
Winter 1867 über die Lage der baltischen Provinzen Rußlands veröffent¬
lichten, haben sich in diesen Grenzländern so zahlreiche und so einschneidende


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[0124] Corsarenschiffe und ungehinderte Heimkehr der Candioten seien im Voraus angenommen, die Forderung, daß Griechenland verspreche, sich künstig dem Völkerrechte gemäß zu betragen, sei von der Pforte aufgegeben, es bleibe also nur noch ein Compromiß über den vierten Punkt herzustellen: Bestrafung der gegen türkische Soldaten verübten Morde und Entschädigung dasür. An¬ genommen die Sache stehe so, wird es als ausgemacht gelten dürfen, daß sich Griechenland, welches keine Stimme in der Conferenz hat, sondern nur verhört wird, in Wahrheit unterwirft? Im Jahre 18S4 bedürfte es trotz der für die Regierung von Athen so ungünstigen Umstände einer französisch- englischen Besatzung, um den Rückzug aus Thessalien und die Neutralität während des Krimkrieges zu erzwingen. Eine derartige Maßregel brauchen die Griechen jetzt nicht zu fürchten, sie haben ihre Schiffe hinter sich verbrannt, rechnen darauf, daß schließlich Rußland sie doch nicht fallen lassen kann, und hoffen, vielleicht mit Recht, daß Gladstone's Mhellenische Tendenzen ihnen indirect zu Statten kommen werden. Rußland muß jedenfalls versuchen die candiotische Frage in die Discussion zu ziehen, die Pforte muß dagegen protestiren, Oestreich hat das nächste Interesse keine Verkleisterung drohender Conflicte zu acceptiren. Wird bei so entgegengesetzten Tendenzen eine Eini¬ gung — und noch dazu eine schnelle- — auf der Conferenz bewirkt, so heißt das nichts weiter als: die Conferenz erreicht ein Resultat, weil sie daraus verzichtet ein Resultat zu erreichen. Es ist sehr leicht den Griechen durch Decret Ruhe zu befehlen. Aber wenn in vier Wochen die Intriguen und Aufstandsoersuche oder gar innere Meutereien in Hellas wieder aufflackern, was dann? Werden dann Flotten von England, Frankreich, Oestreich in das Hintere Mittelmeer gesandt wer¬ den, um, wie Oestreich wünscht, in einer Cooperativn den Ungehorsamen niederzuschlagen und den Griechen und Slaven gründlichen Schrecken einzu¬ jagen? Uns scheint der erste kriegerische Kanonenschuß, welcher von fremden Flotten dort abgefeuert wird, kein Friedebringer, sondern ein Allarmschuß für Europa. ^ Und deshalb besorgen wir, die Conferenz, wie sie zu Stande gebracht wurde, ist nicht der Schluß, fondern ein Prolog für den türkisch-griechischen Conflict, und die Verhältnisse des Orients werden in dem beginnenden Jahr der europäischen Diplomatie und uns Andern vollauf zu thun machen. Aus den deutsch^russischen Gflseeprovinzen. Seit den ausführlichen Berichten, welche die Grenzboten im Herbst und Winter 1867 über die Lage der baltischen Provinzen Rußlands veröffent¬ lichten, haben sich in diesen Grenzländern so zahlreiche und so einschneidende Grenzbote» I. 1869. Is

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/124>, abgerufen am 03.05.2024.