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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Krieg wünscht und bereits wegen der diplomatischen Verschleppungen zu
murren beginnt". An der thessalischen Grenze sammeln sich griechische Na¬
tionalgarten, wichtige Punkte werden durch Schanzen befestigt; man hofft
die Armee auf 3S,000 Mann reguläre Truppen untz 13,000 Mann Freiwillige
zu bringen.

Auf der andern Seite sendet die Pforte einen ihrer fähigsten Beamten,
Daub Pascha, nach Paris um ein Anlehen von 125 MM. Fras. abzuschließen,
und unterhandelt eifrig mit dem Vicekönig von Egypten und dem Bey von
Tunis über die Erhöhung der von ihnen im Kriegsfalle zu stellenden Con-
tingente um 6000 resp. 4000 Mann auf Is und 10,000 Mann. Ismail
Pascha hat der Aufforderung bereits entsprochen und zugesagt, außerdem noch
die Truppen in eignen Schiffen befördern zu lassen und zwei Panzerfregatten
zu stellen, offenbar um neue Concessionen für seine Souveränität zu erlangen.
Die Rüstungen im Marmorameer und in Bosnien werden thätig betrieben,
binnen 3 Wochen sollen sämmtliche noch im goldnen Horn liegende Kriegs¬
schiffe zur Action fertig sein.

Die Ausweisung der Griechen ist aufgeschoben; sie wird bei den ersten
Symptomen von hellenischer Angriffslust doch ausgeführt werden, denn Aale
Pascha hat diese Maßregel leider damit motivirt, daß im Gebiete der Pforte
die fremden Unterthanen nicht wie anderswo den allgemeinen Landesgesetzen
unterworfen sind und daß unter dem Schutz der Capitulationen die griechi¬
schen Consulate allen Najahs die es wünschten, Nationalitätszeugnisse aus¬
gestellt haben; die meisten der in der Türkei lebenden Hellenen seien unzu¬
friedene Rajahs, es sei eine Pflicht der Selbsterhaltung sich in einem so kri¬
tischen Momente dieser gefährlichen Elemente zu entledigen.

Diesen kriegerischen Vorbereitungen entsprach der Ton der letzten diplo¬
matischen Actenstücke, namentlich der griechischen Antwort auf das Ultimatum
vom 16. Dec., welche in sophistischer Rabulisterei und Verdrehung der That¬
sachen noch die frühern Kundgebungen des Hrn. Deliyanni übertrifft und
eine Sprache sührt, welche der schwächere Nachbarstaat schwerlich wagen
würde, wenn nicht der Entschluß zum Bruche feststände. Die Replik der
Pforte ist würdiger gehalten, aber von einer Entschiedenheit, die gerade nicht
auf ein Zurückweichen schließen läßt. --

Allerdings sind diese drohenden Gebärden der zwei schwachen verfeindeten
Mächte an sich nicht bedenklich, wenn die Conferenz die sämmtlichen Gro߬
mächte zu dem ernsten Entschluß vereinigt, den Frieden nöthigenfalls zu er¬
zwingen. Aber dazu ist vor der Hand keine Aussicht. Man erwäge die Schwierig¬
keit der Vermittlung, welche der Conferenz zufällt. Es heißt zwar, die Mächte
seien einig das türkische Ultimatum als Basis der Discussion anzunehmen;
die drei Hauptpunkte desselben: Auslösung der Freischaaren, Ausschluß der


Krieg wünscht und bereits wegen der diplomatischen Verschleppungen zu
murren beginnt". An der thessalischen Grenze sammeln sich griechische Na¬
tionalgarten, wichtige Punkte werden durch Schanzen befestigt; man hofft
die Armee auf 3S,000 Mann reguläre Truppen untz 13,000 Mann Freiwillige
zu bringen.

Auf der andern Seite sendet die Pforte einen ihrer fähigsten Beamten,
Daub Pascha, nach Paris um ein Anlehen von 125 MM. Fras. abzuschließen,
und unterhandelt eifrig mit dem Vicekönig von Egypten und dem Bey von
Tunis über die Erhöhung der von ihnen im Kriegsfalle zu stellenden Con-
tingente um 6000 resp. 4000 Mann auf Is und 10,000 Mann. Ismail
Pascha hat der Aufforderung bereits entsprochen und zugesagt, außerdem noch
die Truppen in eignen Schiffen befördern zu lassen und zwei Panzerfregatten
zu stellen, offenbar um neue Concessionen für seine Souveränität zu erlangen.
Die Rüstungen im Marmorameer und in Bosnien werden thätig betrieben,
binnen 3 Wochen sollen sämmtliche noch im goldnen Horn liegende Kriegs¬
schiffe zur Action fertig sein.

Die Ausweisung der Griechen ist aufgeschoben; sie wird bei den ersten
Symptomen von hellenischer Angriffslust doch ausgeführt werden, denn Aale
Pascha hat diese Maßregel leider damit motivirt, daß im Gebiete der Pforte
die fremden Unterthanen nicht wie anderswo den allgemeinen Landesgesetzen
unterworfen sind und daß unter dem Schutz der Capitulationen die griechi¬
schen Consulate allen Najahs die es wünschten, Nationalitätszeugnisse aus¬
gestellt haben; die meisten der in der Türkei lebenden Hellenen seien unzu¬
friedene Rajahs, es sei eine Pflicht der Selbsterhaltung sich in einem so kri¬
tischen Momente dieser gefährlichen Elemente zu entledigen.

Diesen kriegerischen Vorbereitungen entsprach der Ton der letzten diplo¬
matischen Actenstücke, namentlich der griechischen Antwort auf das Ultimatum
vom 16. Dec., welche in sophistischer Rabulisterei und Verdrehung der That¬
sachen noch die frühern Kundgebungen des Hrn. Deliyanni übertrifft und
eine Sprache sührt, welche der schwächere Nachbarstaat schwerlich wagen
würde, wenn nicht der Entschluß zum Bruche feststände. Die Replik der
Pforte ist würdiger gehalten, aber von einer Entschiedenheit, die gerade nicht
auf ein Zurückweichen schließen läßt. —

Allerdings sind diese drohenden Gebärden der zwei schwachen verfeindeten
Mächte an sich nicht bedenklich, wenn die Conferenz die sämmtlichen Gro߬
mächte zu dem ernsten Entschluß vereinigt, den Frieden nöthigenfalls zu er¬
zwingen. Aber dazu ist vor der Hand keine Aussicht. Man erwäge die Schwierig¬
keit der Vermittlung, welche der Conferenz zufällt. Es heißt zwar, die Mächte
seien einig das türkische Ultimatum als Basis der Discussion anzunehmen;
die drei Hauptpunkte desselben: Auslösung der Freischaaren, Ausschluß der


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[0123] Krieg wünscht und bereits wegen der diplomatischen Verschleppungen zu murren beginnt". An der thessalischen Grenze sammeln sich griechische Na¬ tionalgarten, wichtige Punkte werden durch Schanzen befestigt; man hofft die Armee auf 3S,000 Mann reguläre Truppen untz 13,000 Mann Freiwillige zu bringen. Auf der andern Seite sendet die Pforte einen ihrer fähigsten Beamten, Daub Pascha, nach Paris um ein Anlehen von 125 MM. Fras. abzuschließen, und unterhandelt eifrig mit dem Vicekönig von Egypten und dem Bey von Tunis über die Erhöhung der von ihnen im Kriegsfalle zu stellenden Con- tingente um 6000 resp. 4000 Mann auf Is und 10,000 Mann. Ismail Pascha hat der Aufforderung bereits entsprochen und zugesagt, außerdem noch die Truppen in eignen Schiffen befördern zu lassen und zwei Panzerfregatten zu stellen, offenbar um neue Concessionen für seine Souveränität zu erlangen. Die Rüstungen im Marmorameer und in Bosnien werden thätig betrieben, binnen 3 Wochen sollen sämmtliche noch im goldnen Horn liegende Kriegs¬ schiffe zur Action fertig sein. Die Ausweisung der Griechen ist aufgeschoben; sie wird bei den ersten Symptomen von hellenischer Angriffslust doch ausgeführt werden, denn Aale Pascha hat diese Maßregel leider damit motivirt, daß im Gebiete der Pforte die fremden Unterthanen nicht wie anderswo den allgemeinen Landesgesetzen unterworfen sind und daß unter dem Schutz der Capitulationen die griechi¬ schen Consulate allen Najahs die es wünschten, Nationalitätszeugnisse aus¬ gestellt haben; die meisten der in der Türkei lebenden Hellenen seien unzu¬ friedene Rajahs, es sei eine Pflicht der Selbsterhaltung sich in einem so kri¬ tischen Momente dieser gefährlichen Elemente zu entledigen. Diesen kriegerischen Vorbereitungen entsprach der Ton der letzten diplo¬ matischen Actenstücke, namentlich der griechischen Antwort auf das Ultimatum vom 16. Dec., welche in sophistischer Rabulisterei und Verdrehung der That¬ sachen noch die frühern Kundgebungen des Hrn. Deliyanni übertrifft und eine Sprache sührt, welche der schwächere Nachbarstaat schwerlich wagen würde, wenn nicht der Entschluß zum Bruche feststände. Die Replik der Pforte ist würdiger gehalten, aber von einer Entschiedenheit, die gerade nicht auf ein Zurückweichen schließen läßt. — Allerdings sind diese drohenden Gebärden der zwei schwachen verfeindeten Mächte an sich nicht bedenklich, wenn die Conferenz die sämmtlichen Gro߬ mächte zu dem ernsten Entschluß vereinigt, den Frieden nöthigenfalls zu er¬ zwingen. Aber dazu ist vor der Hand keine Aussicht. Man erwäge die Schwierig¬ keit der Vermittlung, welche der Conferenz zufällt. Es heißt zwar, die Mächte seien einig das türkische Ultimatum als Basis der Discussion anzunehmen; die drei Hauptpunkte desselben: Auslösung der Freischaaren, Ausschluß der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/123>, abgerufen am 20.05.2024.