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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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müßten. Deshalb ist die verbreitste Hoffnung, den östreichischen Finanzen
durch die Stiftsgüter aufzuhelfen, ebenso trüglich, wie manche andere, auf
welche man leider ebenso fest baut. Wir kommen daraus zurück.




Polnischer Monatsbericht.

X

Das Verhältniß der Presse zu den gegenwärtigen Verwickelungen der
großen europäischen Politik sieht in mehr als einer Beziehung dem Bilde
gleich, welches Homer von den streitenden Troern und Griechen entwirft,
deren Kriegsglück nicht durch die eigenen Waffen, sondern durch die Händel
und Intriguen der Olympischen bedingt wurde. Das Resultat einer retro-
spectiven Betrachtung der letzten vier Wochen uno ihrer Geschichte kommt
für den Beobachter, dem um die Dinge selbst, nicht um das zu thun ist,
was von ihnen gesagt wird, auf das Wissen vom Nichtswissen heraus. Wohl
verkündet eine große Zahl unserer Zeitungsblätter den Lesern täglich mit
beneidenswerther Unbefangenheit, die politische Lage sei genau die und die
-- aber diese absoluten Wahrheiten halten immer nur 24 Stunden lang
vor und die zu ihrer Erhärtung angeführten Gründe haben, bei Licht be¬
sehen, mit dem Einmaleins in der Göthe'schen Hexenküche verzweifelte
Aehnlichkeit. Als die Verhandlungen über das Zustandekommen der pariser
Conferenz schwebten, wußten die Conjectural-Politiker ganz genau, daß die¬
selbe nicht nur gesichert sei, sondern auch zu einem befriedigenden Abschluß
des türkisch-griechischen Conflicts führen müsse -- nur über die Grundlagen
der Verhandlung war Niemand im Klaren; als die Diplomaten ihr Werk
beendet hatten, gab es kein größeres Blatt, dessen pariser Correspondenten
nicht die Lösung der obschrveoenden Differenzen sicher vorausgesagt hätten --
daß man nicht genau wisse, was eigentlich beschlossen worden, wurde nur
in Parenthese bemerkt. Ebenso ging es mit dem östreichisch-preußischen Zei¬
tungskriege zu. Warum derselbe erst mehrere Wochen nach der Veröffent¬
lichung des wiener Rothbuchs ausbrach und warum er beigelegt wurde, als
die Parteien erst recht in Feuer kamen, ist ein Geheimniß geblieben -- auf
welcher Seite das bessere Recht sei, glaubte nichtsdestoweniger jeder Deutsche
zu wissen, der gelegentlich einen Leitartikel zu Stande gebracht hatte. Weder
von dem wahren Causalzusammenhang der Differenzen zwischen Constantinopel
und Athen, noch von der Stellung der meisten Großmächte zu demselben liegt


müßten. Deshalb ist die verbreitste Hoffnung, den östreichischen Finanzen
durch die Stiftsgüter aufzuhelfen, ebenso trüglich, wie manche andere, auf
welche man leider ebenso fest baut. Wir kommen daraus zurück.




Polnischer Monatsbericht.

X

Das Verhältniß der Presse zu den gegenwärtigen Verwickelungen der
großen europäischen Politik sieht in mehr als einer Beziehung dem Bilde
gleich, welches Homer von den streitenden Troern und Griechen entwirft,
deren Kriegsglück nicht durch die eigenen Waffen, sondern durch die Händel
und Intriguen der Olympischen bedingt wurde. Das Resultat einer retro-
spectiven Betrachtung der letzten vier Wochen uno ihrer Geschichte kommt
für den Beobachter, dem um die Dinge selbst, nicht um das zu thun ist,
was von ihnen gesagt wird, auf das Wissen vom Nichtswissen heraus. Wohl
verkündet eine große Zahl unserer Zeitungsblätter den Lesern täglich mit
beneidenswerther Unbefangenheit, die politische Lage sei genau die und die
— aber diese absoluten Wahrheiten halten immer nur 24 Stunden lang
vor und die zu ihrer Erhärtung angeführten Gründe haben, bei Licht be¬
sehen, mit dem Einmaleins in der Göthe'schen Hexenküche verzweifelte
Aehnlichkeit. Als die Verhandlungen über das Zustandekommen der pariser
Conferenz schwebten, wußten die Conjectural-Politiker ganz genau, daß die¬
selbe nicht nur gesichert sei, sondern auch zu einem befriedigenden Abschluß
des türkisch-griechischen Conflicts führen müsse — nur über die Grundlagen
der Verhandlung war Niemand im Klaren; als die Diplomaten ihr Werk
beendet hatten, gab es kein größeres Blatt, dessen pariser Correspondenten
nicht die Lösung der obschrveoenden Differenzen sicher vorausgesagt hätten —
daß man nicht genau wisse, was eigentlich beschlossen worden, wurde nur
in Parenthese bemerkt. Ebenso ging es mit dem östreichisch-preußischen Zei¬
tungskriege zu. Warum derselbe erst mehrere Wochen nach der Veröffent¬
lichung des wiener Rothbuchs ausbrach und warum er beigelegt wurde, als
die Parteien erst recht in Feuer kamen, ist ein Geheimniß geblieben — auf
welcher Seite das bessere Recht sei, glaubte nichtsdestoweniger jeder Deutsche
zu wissen, der gelegentlich einen Leitartikel zu Stande gebracht hatte. Weder
von dem wahren Causalzusammenhang der Differenzen zwischen Constantinopel
und Athen, noch von der Stellung der meisten Großmächte zu demselben liegt


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[0204] müßten. Deshalb ist die verbreitste Hoffnung, den östreichischen Finanzen durch die Stiftsgüter aufzuhelfen, ebenso trüglich, wie manche andere, auf welche man leider ebenso fest baut. Wir kommen daraus zurück. Polnischer Monatsbericht. X Das Verhältniß der Presse zu den gegenwärtigen Verwickelungen der großen europäischen Politik sieht in mehr als einer Beziehung dem Bilde gleich, welches Homer von den streitenden Troern und Griechen entwirft, deren Kriegsglück nicht durch die eigenen Waffen, sondern durch die Händel und Intriguen der Olympischen bedingt wurde. Das Resultat einer retro- spectiven Betrachtung der letzten vier Wochen uno ihrer Geschichte kommt für den Beobachter, dem um die Dinge selbst, nicht um das zu thun ist, was von ihnen gesagt wird, auf das Wissen vom Nichtswissen heraus. Wohl verkündet eine große Zahl unserer Zeitungsblätter den Lesern täglich mit beneidenswerther Unbefangenheit, die politische Lage sei genau die und die — aber diese absoluten Wahrheiten halten immer nur 24 Stunden lang vor und die zu ihrer Erhärtung angeführten Gründe haben, bei Licht be¬ sehen, mit dem Einmaleins in der Göthe'schen Hexenküche verzweifelte Aehnlichkeit. Als die Verhandlungen über das Zustandekommen der pariser Conferenz schwebten, wußten die Conjectural-Politiker ganz genau, daß die¬ selbe nicht nur gesichert sei, sondern auch zu einem befriedigenden Abschluß des türkisch-griechischen Conflicts führen müsse — nur über die Grundlagen der Verhandlung war Niemand im Klaren; als die Diplomaten ihr Werk beendet hatten, gab es kein größeres Blatt, dessen pariser Correspondenten nicht die Lösung der obschrveoenden Differenzen sicher vorausgesagt hätten — daß man nicht genau wisse, was eigentlich beschlossen worden, wurde nur in Parenthese bemerkt. Ebenso ging es mit dem östreichisch-preußischen Zei¬ tungskriege zu. Warum derselbe erst mehrere Wochen nach der Veröffent¬ lichung des wiener Rothbuchs ausbrach und warum er beigelegt wurde, als die Parteien erst recht in Feuer kamen, ist ein Geheimniß geblieben — auf welcher Seite das bessere Recht sei, glaubte nichtsdestoweniger jeder Deutsche zu wissen, der gelegentlich einen Leitartikel zu Stande gebracht hatte. Weder von dem wahren Causalzusammenhang der Differenzen zwischen Constantinopel und Athen, noch von der Stellung der meisten Großmächte zu demselben liegt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/204>, abgerufen am 03.05.2024.