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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Zwei Anstalten für öffentliche Gesundheitspflege.

Auf den beiden letzten Congressen deutscher Naturforscher und Aerzte
hat die Frage, ob es zulässig sei Resolutionen zu fassen, erregte Verhand¬
lungen hervorgerufen, deren bittere Nachwirkung noch nicht ganz überwunden
scheint. Auf der einen Seite vertheidigte man die Ueberlieferung, welche
gegen Resolutionen spricht, hauptsächlich mit der Unendlichkeit wissenschaft¬
licher Forschung und der Bedeutungslosigkeit von Mehrheitsbeschlüssen in
gelehrten Streitfragen; auf der anderen Seite wurde mit nicht geringerem
Nachdruck behauptet, es gebe allerdings Gegenstände, über welche es auch
auf der Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte nicht allein möglich
sei, sondern hohen praktischen Werth habe, förmlich abzustimmen. Näher
besehen waren dies die Beziehungen der öffentlichen Gesundheitspflege. Der
ganze Streit erwies sich als eine Consequenz' der 1867 in Frankfurt am
Main beschlossenen Bildung einer Section für Gesundheitspflege. Damit ist
in diesen gelehrten Körper sozusagen ein Tropfen fremden Bluts gedrungen,
der sich mit dem Uebrigen nicht recht vermischen will und aller Wahrschein¬
lichkeit nach so lange Unbehaglichkeiten und Störungen hervorrufen wird,
bis man ihn eben wieder ausscheidet.

Für eine Ausscheidung sprechen in der That sowohl die Interessen des
naturwissenschaftlich-medicinischen Congresses, dessen warmes altes Nest zur
Aufnahme dieses Kuckuckseies vorläufig ausersehen worden war, wie die
Interessen des allmälig flügge gewordenen jungen Pflegevogels selbst, der
öffentlichen Gesundheitspflege. Jenem sollte man die erhabene Ruhe und
Objectivität rein wissenschaftlicher Forschungen nicht rauben, in welcher die
Mehrzahl seiner Mitglieder nun einmal lebt. Dieser sollte man ein wuch¬
tigeres, unabhängigeres Organ verschaffen, als eine bloße Section einer Ge¬
lehrtenverbindung jemals werden kann.

Die Section braucht deswegen nicht gänzlich wieder eingezogen zu werden.
Die rein wissenschaftliche Seite der Gesundheitspflege und Alles, was an
derselben nicht ganz öffentlicher Natur ist, gibt immer noch einen sehr guten
und ausgiebigen Stoff für eine besondere Abtheilung des Congresses der
Naturforscher und Aerzte ab. Ihr Fortbestehen wird mittelbar dafür sorgen,
daß die Naturforscher nicht aufhören, einen angemessenen Theil ihrer Zeit
und Kraft hygienischen Problemen zu widmen, und daß die Aerzte auch von
der Seite ihres wissenschaftlichen Studiums her stets angehalten werden, über
der Bekämpfung von Krankheiten nicht die Erhaltung der Gesundheit in der
früher gewohnten Weise zu vernachlässigen.

Für öffentliche Gesundheitspflege dagegen ein eigener selb-
ständiger Congreß!


Grenzboten I. 1869, 3
Zwei Anstalten für öffentliche Gesundheitspflege.

Auf den beiden letzten Congressen deutscher Naturforscher und Aerzte
hat die Frage, ob es zulässig sei Resolutionen zu fassen, erregte Verhand¬
lungen hervorgerufen, deren bittere Nachwirkung noch nicht ganz überwunden
scheint. Auf der einen Seite vertheidigte man die Ueberlieferung, welche
gegen Resolutionen spricht, hauptsächlich mit der Unendlichkeit wissenschaft¬
licher Forschung und der Bedeutungslosigkeit von Mehrheitsbeschlüssen in
gelehrten Streitfragen; auf der anderen Seite wurde mit nicht geringerem
Nachdruck behauptet, es gebe allerdings Gegenstände, über welche es auch
auf der Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte nicht allein möglich
sei, sondern hohen praktischen Werth habe, förmlich abzustimmen. Näher
besehen waren dies die Beziehungen der öffentlichen Gesundheitspflege. Der
ganze Streit erwies sich als eine Consequenz' der 1867 in Frankfurt am
Main beschlossenen Bildung einer Section für Gesundheitspflege. Damit ist
in diesen gelehrten Körper sozusagen ein Tropfen fremden Bluts gedrungen,
der sich mit dem Uebrigen nicht recht vermischen will und aller Wahrschein¬
lichkeit nach so lange Unbehaglichkeiten und Störungen hervorrufen wird,
bis man ihn eben wieder ausscheidet.

Für eine Ausscheidung sprechen in der That sowohl die Interessen des
naturwissenschaftlich-medicinischen Congresses, dessen warmes altes Nest zur
Aufnahme dieses Kuckuckseies vorläufig ausersehen worden war, wie die
Interessen des allmälig flügge gewordenen jungen Pflegevogels selbst, der
öffentlichen Gesundheitspflege. Jenem sollte man die erhabene Ruhe und
Objectivität rein wissenschaftlicher Forschungen nicht rauben, in welcher die
Mehrzahl seiner Mitglieder nun einmal lebt. Dieser sollte man ein wuch¬
tigeres, unabhängigeres Organ verschaffen, als eine bloße Section einer Ge¬
lehrtenverbindung jemals werden kann.

Die Section braucht deswegen nicht gänzlich wieder eingezogen zu werden.
Die rein wissenschaftliche Seite der Gesundheitspflege und Alles, was an
derselben nicht ganz öffentlicher Natur ist, gibt immer noch einen sehr guten
und ausgiebigen Stoff für eine besondere Abtheilung des Congresses der
Naturforscher und Aerzte ab. Ihr Fortbestehen wird mittelbar dafür sorgen,
daß die Naturforscher nicht aufhören, einen angemessenen Theil ihrer Zeit
und Kraft hygienischen Problemen zu widmen, und daß die Aerzte auch von
der Seite ihres wissenschaftlichen Studiums her stets angehalten werden, über
der Bekämpfung von Krankheiten nicht die Erhaltung der Gesundheit in der
früher gewohnten Weise zu vernachlässigen.

Für öffentliche Gesundheitspflege dagegen ein eigener selb-
ständiger Congreß!


Grenzboten I. 1869, 3
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[0025] Zwei Anstalten für öffentliche Gesundheitspflege. Auf den beiden letzten Congressen deutscher Naturforscher und Aerzte hat die Frage, ob es zulässig sei Resolutionen zu fassen, erregte Verhand¬ lungen hervorgerufen, deren bittere Nachwirkung noch nicht ganz überwunden scheint. Auf der einen Seite vertheidigte man die Ueberlieferung, welche gegen Resolutionen spricht, hauptsächlich mit der Unendlichkeit wissenschaft¬ licher Forschung und der Bedeutungslosigkeit von Mehrheitsbeschlüssen in gelehrten Streitfragen; auf der anderen Seite wurde mit nicht geringerem Nachdruck behauptet, es gebe allerdings Gegenstände, über welche es auch auf der Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte nicht allein möglich sei, sondern hohen praktischen Werth habe, förmlich abzustimmen. Näher besehen waren dies die Beziehungen der öffentlichen Gesundheitspflege. Der ganze Streit erwies sich als eine Consequenz' der 1867 in Frankfurt am Main beschlossenen Bildung einer Section für Gesundheitspflege. Damit ist in diesen gelehrten Körper sozusagen ein Tropfen fremden Bluts gedrungen, der sich mit dem Uebrigen nicht recht vermischen will und aller Wahrschein¬ lichkeit nach so lange Unbehaglichkeiten und Störungen hervorrufen wird, bis man ihn eben wieder ausscheidet. Für eine Ausscheidung sprechen in der That sowohl die Interessen des naturwissenschaftlich-medicinischen Congresses, dessen warmes altes Nest zur Aufnahme dieses Kuckuckseies vorläufig ausersehen worden war, wie die Interessen des allmälig flügge gewordenen jungen Pflegevogels selbst, der öffentlichen Gesundheitspflege. Jenem sollte man die erhabene Ruhe und Objectivität rein wissenschaftlicher Forschungen nicht rauben, in welcher die Mehrzahl seiner Mitglieder nun einmal lebt. Dieser sollte man ein wuch¬ tigeres, unabhängigeres Organ verschaffen, als eine bloße Section einer Ge¬ lehrtenverbindung jemals werden kann. Die Section braucht deswegen nicht gänzlich wieder eingezogen zu werden. Die rein wissenschaftliche Seite der Gesundheitspflege und Alles, was an derselben nicht ganz öffentlicher Natur ist, gibt immer noch einen sehr guten und ausgiebigen Stoff für eine besondere Abtheilung des Congresses der Naturforscher und Aerzte ab. Ihr Fortbestehen wird mittelbar dafür sorgen, daß die Naturforscher nicht aufhören, einen angemessenen Theil ihrer Zeit und Kraft hygienischen Problemen zu widmen, und daß die Aerzte auch von der Seite ihres wissenschaftlichen Studiums her stets angehalten werden, über der Bekämpfung von Krankheiten nicht die Erhaltung der Gesundheit in der früher gewohnten Weise zu vernachlässigen. Für öffentliche Gesundheitspflege dagegen ein eigener selb- ständiger Congreß! Grenzboten I. 1869, 3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/25>, abgerufen am 03.05.2024.