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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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worden, ist nicht gleichgiltig -- wenn ihr Werth auch durch stete Wiederholungen
und gänzlich unkritische Zusammenstellungen des Charakteristischen mit dem
blos Zufälligen empfindlich beeinträchtigt wird und Herr v. Varnhagen nur
sehr ausnahmsweise beweist, daß seine Witterung eine richtigere und energi¬
schere gewesen, als die der Zeitgenossen. Was von der Volksauffassung der
Union, der allgemeinen und auf die höchsten Kreise verbreiteten Pöbelfurcht
vor dem Katholicismus und dem Einfluß der Kronprinzessin (jetzigen Königin-
Wittwe) erzählt wird, ist ebenso instructiv, als was wir über den Kunst-
und Literaturgeschmack des großen Publicums von 1824 und 1823, die
Händel zwischen den Anhängern Webers und Spontinis, die große Rolle des
Holtei'schen "Alten Feldherrn" ze. hören. Ist von wirklich neuen Thatsachen
auch in dieser Beziehung nicht die Rede, so werden doch eine Menge Einzelzüge
einem in Detail ausgeführt, das man sich gefallen lassen kann. -- Vielleicht
am Interessantesten ist der Schluß des Buchs, der den Eindruck schildert,
welchen das plötzliche Ableben Kaiser Alexanders I. in Berlin machte. So
langsam und unvollständig man auch über die Sachlage in Petersburg und
die Thronsolgefrage unterrichtet wurde (die Nachrichten über den Aufstand vom
14. (26.) Dec. war am 30. Dec. 1825, mit dem der vorliegende dritte Band
der "Blätter aus der preußischen Geschichte" abschließt, in Berlin noch nicht
bekannt), so hatte man doch eine Empfindung davon, daß in der russischen
Luft ein Gewitter lag. Dominirend war übrigens die Furcht davor, daß
dasselbe sich über Preußen entladen könne, dem der präsumptive Thron¬
folger Großfürst Constantin entschieden abgeneigt war. -- Der Nekrolog,
den der Staatsanzeiger über Alexander brachte war (wie wir schließlich be¬
merken wollen) aus der Feder Varnhagens (der seine eigene Meinung über
den verstorbenen Fürsten mit gewohntem Geschick zu verschleiern wußte) ge¬
flossen und von Friedrich Wilhelm III. in Person corrigirt worden. Die
Worte "in seiner Bundesgenossenschaft" hatte der König mit "in seiner mäch¬
tigen und kräftigen Bundesgenossenschaft" vertauschte

Wie es den Anschein hat, stehen noch Fortsetzungen dieses Werks zu er¬
warten. Zum Ruhm des Autors werden sie schwerlich beitragen.




Gesundheitspflege in Schulen.

Von allen Gebäuden, in denen sich größere Menschenmengen regelmäßig
versammeln, sind die Schulen unter dem Gesichtspunkt der Gesundheitspflege
die wichtigsten und zugleich die am Meisten vernachlässigten. Von den Les-


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worden, ist nicht gleichgiltig — wenn ihr Werth auch durch stete Wiederholungen
und gänzlich unkritische Zusammenstellungen des Charakteristischen mit dem
blos Zufälligen empfindlich beeinträchtigt wird und Herr v. Varnhagen nur
sehr ausnahmsweise beweist, daß seine Witterung eine richtigere und energi¬
schere gewesen, als die der Zeitgenossen. Was von der Volksauffassung der
Union, der allgemeinen und auf die höchsten Kreise verbreiteten Pöbelfurcht
vor dem Katholicismus und dem Einfluß der Kronprinzessin (jetzigen Königin-
Wittwe) erzählt wird, ist ebenso instructiv, als was wir über den Kunst-
und Literaturgeschmack des großen Publicums von 1824 und 1823, die
Händel zwischen den Anhängern Webers und Spontinis, die große Rolle des
Holtei'schen „Alten Feldherrn" ze. hören. Ist von wirklich neuen Thatsachen
auch in dieser Beziehung nicht die Rede, so werden doch eine Menge Einzelzüge
einem in Detail ausgeführt, das man sich gefallen lassen kann. — Vielleicht
am Interessantesten ist der Schluß des Buchs, der den Eindruck schildert,
welchen das plötzliche Ableben Kaiser Alexanders I. in Berlin machte. So
langsam und unvollständig man auch über die Sachlage in Petersburg und
die Thronsolgefrage unterrichtet wurde (die Nachrichten über den Aufstand vom
14. (26.) Dec. war am 30. Dec. 1825, mit dem der vorliegende dritte Band
der „Blätter aus der preußischen Geschichte" abschließt, in Berlin noch nicht
bekannt), so hatte man doch eine Empfindung davon, daß in der russischen
Luft ein Gewitter lag. Dominirend war übrigens die Furcht davor, daß
dasselbe sich über Preußen entladen könne, dem der präsumptive Thron¬
folger Großfürst Constantin entschieden abgeneigt war. — Der Nekrolog,
den der Staatsanzeiger über Alexander brachte war (wie wir schließlich be¬
merken wollen) aus der Feder Varnhagens (der seine eigene Meinung über
den verstorbenen Fürsten mit gewohntem Geschick zu verschleiern wußte) ge¬
flossen und von Friedrich Wilhelm III. in Person corrigirt worden. Die
Worte „in seiner Bundesgenossenschaft" hatte der König mit „in seiner mäch¬
tigen und kräftigen Bundesgenossenschaft" vertauschte

Wie es den Anschein hat, stehen noch Fortsetzungen dieses Werks zu er¬
warten. Zum Ruhm des Autors werden sie schwerlich beitragen.




Gesundheitspflege in Schulen.

Von allen Gebäuden, in denen sich größere Menschenmengen regelmäßig
versammeln, sind die Schulen unter dem Gesichtspunkt der Gesundheitspflege
die wichtigsten und zugleich die am Meisten vernachlässigten. Von den Les-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/287>, abgerufen am 03.05.2024.