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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Savonarola.

Geschichte Girolamo Savonarola's und seiner Zeit. Nach usum Quellen dargestellt
von Pasqucile Villari. Aus dem Italienischen übersetzt von Moritz Berduschek.
2 Bde. Leipzig, Brockhaus 1868.

I.

Nicht ungewöhnlich in der mittelalterlichen Geschichte Italiens ist die
Erscheinung jener Reformatoren in der Mönchskutte, die durch die Gewalt
^ ihrer Rede einen fast zauberhaften Einfluß auf die Geschicke des Gemein¬
wesens ausüben, eine Zeitlang siegreich als die Begründer eines christlich¬
politischen Jdealzustands dastehen, bis sie von der überdrüssig gewordenen
Menge verlassen rascher sinken als sie emporgekommen und wieder ver¬
schwinden, fast ohne Spuren ihres Wirkens zurückzulassen. Seltsamer Wider¬
sprüche voll ist das Leben dieser begabten Männer. Sie kommen aus den
engen Klosterzellen, den Stätten der Weltflucht, und ihr feuriger Eifer reißt
sie mitten hinein in das öffentliche Treiben. Zukunftsträume predigen sie
den aufgeregt lauschenden Massen, und doch holen sie die Farben ihres
Ideals aus den primitiven Zuständen der christlichen Kirche. Mönchische
Askese, ein gesteigerter Glaube an das Wunderbare, Zeichen und Gesichte
sind die Mittel ihres Wirkens, und doch ist in ihnen ein Element, das auf
die Zukunft deutet. Nur scheinbar liegt ihr demokratisches Ideal in der
Vergangenheit. Sie selbst sind die Kinder jenes demokratischen Geistes, der
sich überall in der Umgestaltung des Städtewesens und in den Bestrebungen
einer kirchlichen Reform zu regen beginnt, desselben Geistes, dem die weit¬
verzweigten Ketzererscheinungen des Mittelalters entsprangen, wie die Grün¬
dung der Bettelorden, ihrer Gegner und Bezwinger, in welchen jener demo¬
kratische Geist selbst der alten Kirche noch einmal sich zur Verfügung stellte.
Und an jenen Widersprüchen gehen jedes Mal die Reformatoren zu Grunde,
sei es, daß sie in einem kleinen localen Kreis beschränkt bald wieder der
Vergessenheit anheimfallen, sei es daß sie auf einem größeren weltgeschicht¬
lichen Boden stehend im Kampf mit den objectiven Mächten einen tragischen
Untergang finden und dadurch auf ein höheres Piedestal gestellt deutlicher


Grenzboten I, 1809. 11
Savonarola.

Geschichte Girolamo Savonarola's und seiner Zeit. Nach usum Quellen dargestellt
von Pasqucile Villari. Aus dem Italienischen übersetzt von Moritz Berduschek.
2 Bde. Leipzig, Brockhaus 1868.

I.

Nicht ungewöhnlich in der mittelalterlichen Geschichte Italiens ist die
Erscheinung jener Reformatoren in der Mönchskutte, die durch die Gewalt
^ ihrer Rede einen fast zauberhaften Einfluß auf die Geschicke des Gemein¬
wesens ausüben, eine Zeitlang siegreich als die Begründer eines christlich¬
politischen Jdealzustands dastehen, bis sie von der überdrüssig gewordenen
Menge verlassen rascher sinken als sie emporgekommen und wieder ver¬
schwinden, fast ohne Spuren ihres Wirkens zurückzulassen. Seltsamer Wider¬
sprüche voll ist das Leben dieser begabten Männer. Sie kommen aus den
engen Klosterzellen, den Stätten der Weltflucht, und ihr feuriger Eifer reißt
sie mitten hinein in das öffentliche Treiben. Zukunftsträume predigen sie
den aufgeregt lauschenden Massen, und doch holen sie die Farben ihres
Ideals aus den primitiven Zuständen der christlichen Kirche. Mönchische
Askese, ein gesteigerter Glaube an das Wunderbare, Zeichen und Gesichte
sind die Mittel ihres Wirkens, und doch ist in ihnen ein Element, das auf
die Zukunft deutet. Nur scheinbar liegt ihr demokratisches Ideal in der
Vergangenheit. Sie selbst sind die Kinder jenes demokratischen Geistes, der
sich überall in der Umgestaltung des Städtewesens und in den Bestrebungen
einer kirchlichen Reform zu regen beginnt, desselben Geistes, dem die weit¬
verzweigten Ketzererscheinungen des Mittelalters entsprangen, wie die Grün¬
dung der Bettelorden, ihrer Gegner und Bezwinger, in welchen jener demo¬
kratische Geist selbst der alten Kirche noch einmal sich zur Verfügung stellte.
Und an jenen Widersprüchen gehen jedes Mal die Reformatoren zu Grunde,
sei es, daß sie in einem kleinen localen Kreis beschränkt bald wieder der
Vergessenheit anheimfallen, sei es daß sie auf einem größeren weltgeschicht¬
lichen Boden stehend im Kampf mit den objectiven Mächten einen tragischen
Untergang finden und dadurch auf ein höheres Piedestal gestellt deutlicher


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[0092] Savonarola. Geschichte Girolamo Savonarola's und seiner Zeit. Nach usum Quellen dargestellt von Pasqucile Villari. Aus dem Italienischen übersetzt von Moritz Berduschek. 2 Bde. Leipzig, Brockhaus 1868. I. Nicht ungewöhnlich in der mittelalterlichen Geschichte Italiens ist die Erscheinung jener Reformatoren in der Mönchskutte, die durch die Gewalt ^ ihrer Rede einen fast zauberhaften Einfluß auf die Geschicke des Gemein¬ wesens ausüben, eine Zeitlang siegreich als die Begründer eines christlich¬ politischen Jdealzustands dastehen, bis sie von der überdrüssig gewordenen Menge verlassen rascher sinken als sie emporgekommen und wieder ver¬ schwinden, fast ohne Spuren ihres Wirkens zurückzulassen. Seltsamer Wider¬ sprüche voll ist das Leben dieser begabten Männer. Sie kommen aus den engen Klosterzellen, den Stätten der Weltflucht, und ihr feuriger Eifer reißt sie mitten hinein in das öffentliche Treiben. Zukunftsträume predigen sie den aufgeregt lauschenden Massen, und doch holen sie die Farben ihres Ideals aus den primitiven Zuständen der christlichen Kirche. Mönchische Askese, ein gesteigerter Glaube an das Wunderbare, Zeichen und Gesichte sind die Mittel ihres Wirkens, und doch ist in ihnen ein Element, das auf die Zukunft deutet. Nur scheinbar liegt ihr demokratisches Ideal in der Vergangenheit. Sie selbst sind die Kinder jenes demokratischen Geistes, der sich überall in der Umgestaltung des Städtewesens und in den Bestrebungen einer kirchlichen Reform zu regen beginnt, desselben Geistes, dem die weit¬ verzweigten Ketzererscheinungen des Mittelalters entsprangen, wie die Grün¬ dung der Bettelorden, ihrer Gegner und Bezwinger, in welchen jener demo¬ kratische Geist selbst der alten Kirche noch einmal sich zur Verfügung stellte. Und an jenen Widersprüchen gehen jedes Mal die Reformatoren zu Grunde, sei es, daß sie in einem kleinen localen Kreis beschränkt bald wieder der Vergessenheit anheimfallen, sei es daß sie auf einem größeren weltgeschicht¬ lichen Boden stehend im Kampf mit den objectiven Mächten einen tragischen Untergang finden und dadurch auf ein höheres Piedestal gestellt deutlicher Grenzboten I, 1809. 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/92>, abgerufen am 03.05.2024.