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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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bereits vorhandenen Kluft vollends entfernt, die halben Gegner ins feind¬
liche Lager gedrängt, den erklärten Feinden die schärfsten Waffen in die
Hände gegeben -- und das Alles ohne jeden inneren Grund und lediglich,
weil man des Besitzes der Freiheit zu wenig gewohnt ist, um von ihr
richtigen Gebrauch machen zu können. Die materiellen Verhältnisse des
Landes sind noch nicht aus dem Rohesten herausgearbeitet, Handel und
Credit entbehren des Schutzes einer geordneten, auf soliden Grundlagen
beruhenden Rechtspflege, der Zustand der öffentlichen Sicherheit erinnert an
die Zeiten Rob-Roys und der royalistischen Gentlemen von der Hochstraße,
ein paar schlechte Ernten sind noch immer im Stande, die ländliche Bevöl¬
kerung an den Rand des Verderbens zu bringen -- das öffentliche Vertrauen
aber wendet sich nichtsdestoweniger von den Männern der ernsthaften und
soliden Arbeit ab und heißblütigen Phantastin zu, welche eingebildete Be¬
dürfnisse den realen vorsetzen, neue Stockwerke aufführen wollen, ehe das
Fundament ihres Gebäudes auch nur trocken geworden ist.

Noch lassen sich die Folgen dieses überstürzten Verfahrens, das kaum den
Namen einer Politik verdient, nicht deutlich absehen. So viel nur steht fest,
daß dem Dualismus ein neuer Stoß versetzt worden ist und daß schon die
nächste Zukunft das System in Frage stellen kann, welches nicht nur Un¬
garn die schätzbarsten Garantien gedeihlicher Entwickelung, sondern zugleich
eine Bürgschaft für Erzwingung des Friedens bot. Fällt das System von
1867 zusammen, so-wild die Politik der Hofburg nach östreichischer Logik zu
einer Diversion nach Außen gedrängt. Gleichviel wie dieselbe ausfällt --
Ungarn hat von derselben nichts zu gewinnen. Siege Oestreich, so wird
man mit den Ungarn eine Sprache reden, welche das ziemlich directe Gegen¬
theil der vielgescholtenen De'ak'schen "Halbheit" ist --, fällt der Kaiserstaat
in Trümmer, so werfen die slavischen Stämme das Loos um den Purpur¬
mantel des heiligen Stephan. Denjenigen aber, welche sich an den Er¬
rungenschaften des großen ungarischen Rechtsbodenmannes nicht genügen
ließen, wird man dann auch aus Norddeutschland zurufen: Vous I'aVox voulu,
(George vanäin, vous I'aVö2 voulu!




Italienische Corresponden?.

Neben den Sorgen des Augenblicks, finanziellen Nöthen und politischen
Befürchtungen, welche die Kreise unserer Hauptstadt seit dem Carnevalsschluß
ungewöhnlich aufregen, nimmt vor Allem der Personenwechsel an der preußi-


bereits vorhandenen Kluft vollends entfernt, die halben Gegner ins feind¬
liche Lager gedrängt, den erklärten Feinden die schärfsten Waffen in die
Hände gegeben — und das Alles ohne jeden inneren Grund und lediglich,
weil man des Besitzes der Freiheit zu wenig gewohnt ist, um von ihr
richtigen Gebrauch machen zu können. Die materiellen Verhältnisse des
Landes sind noch nicht aus dem Rohesten herausgearbeitet, Handel und
Credit entbehren des Schutzes einer geordneten, auf soliden Grundlagen
beruhenden Rechtspflege, der Zustand der öffentlichen Sicherheit erinnert an
die Zeiten Rob-Roys und der royalistischen Gentlemen von der Hochstraße,
ein paar schlechte Ernten sind noch immer im Stande, die ländliche Bevöl¬
kerung an den Rand des Verderbens zu bringen — das öffentliche Vertrauen
aber wendet sich nichtsdestoweniger von den Männern der ernsthaften und
soliden Arbeit ab und heißblütigen Phantastin zu, welche eingebildete Be¬
dürfnisse den realen vorsetzen, neue Stockwerke aufführen wollen, ehe das
Fundament ihres Gebäudes auch nur trocken geworden ist.

Noch lassen sich die Folgen dieses überstürzten Verfahrens, das kaum den
Namen einer Politik verdient, nicht deutlich absehen. So viel nur steht fest,
daß dem Dualismus ein neuer Stoß versetzt worden ist und daß schon die
nächste Zukunft das System in Frage stellen kann, welches nicht nur Un¬
garn die schätzbarsten Garantien gedeihlicher Entwickelung, sondern zugleich
eine Bürgschaft für Erzwingung des Friedens bot. Fällt das System von
1867 zusammen, so-wild die Politik der Hofburg nach östreichischer Logik zu
einer Diversion nach Außen gedrängt. Gleichviel wie dieselbe ausfällt —
Ungarn hat von derselben nichts zu gewinnen. Siege Oestreich, so wird
man mit den Ungarn eine Sprache reden, welche das ziemlich directe Gegen¬
theil der vielgescholtenen De'ak'schen „Halbheit" ist —, fällt der Kaiserstaat
in Trümmer, so werfen die slavischen Stämme das Loos um den Purpur¬
mantel des heiligen Stephan. Denjenigen aber, welche sich an den Er¬
rungenschaften des großen ungarischen Rechtsbodenmannes nicht genügen
ließen, wird man dann auch aus Norddeutschland zurufen: Vous I'aVox voulu,
(George vanäin, vous I'aVö2 voulu!




Italienische Corresponden?.

Neben den Sorgen des Augenblicks, finanziellen Nöthen und politischen
Befürchtungen, welche die Kreise unserer Hauptstadt seit dem Carnevalsschluß
ungewöhnlich aufregen, nimmt vor Allem der Personenwechsel an der preußi-


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[0070] bereits vorhandenen Kluft vollends entfernt, die halben Gegner ins feind¬ liche Lager gedrängt, den erklärten Feinden die schärfsten Waffen in die Hände gegeben — und das Alles ohne jeden inneren Grund und lediglich, weil man des Besitzes der Freiheit zu wenig gewohnt ist, um von ihr richtigen Gebrauch machen zu können. Die materiellen Verhältnisse des Landes sind noch nicht aus dem Rohesten herausgearbeitet, Handel und Credit entbehren des Schutzes einer geordneten, auf soliden Grundlagen beruhenden Rechtspflege, der Zustand der öffentlichen Sicherheit erinnert an die Zeiten Rob-Roys und der royalistischen Gentlemen von der Hochstraße, ein paar schlechte Ernten sind noch immer im Stande, die ländliche Bevöl¬ kerung an den Rand des Verderbens zu bringen — das öffentliche Vertrauen aber wendet sich nichtsdestoweniger von den Männern der ernsthaften und soliden Arbeit ab und heißblütigen Phantastin zu, welche eingebildete Be¬ dürfnisse den realen vorsetzen, neue Stockwerke aufführen wollen, ehe das Fundament ihres Gebäudes auch nur trocken geworden ist. Noch lassen sich die Folgen dieses überstürzten Verfahrens, das kaum den Namen einer Politik verdient, nicht deutlich absehen. So viel nur steht fest, daß dem Dualismus ein neuer Stoß versetzt worden ist und daß schon die nächste Zukunft das System in Frage stellen kann, welches nicht nur Un¬ garn die schätzbarsten Garantien gedeihlicher Entwickelung, sondern zugleich eine Bürgschaft für Erzwingung des Friedens bot. Fällt das System von 1867 zusammen, so-wild die Politik der Hofburg nach östreichischer Logik zu einer Diversion nach Außen gedrängt. Gleichviel wie dieselbe ausfällt — Ungarn hat von derselben nichts zu gewinnen. Siege Oestreich, so wird man mit den Ungarn eine Sprache reden, welche das ziemlich directe Gegen¬ theil der vielgescholtenen De'ak'schen „Halbheit" ist —, fällt der Kaiserstaat in Trümmer, so werfen die slavischen Stämme das Loos um den Purpur¬ mantel des heiligen Stephan. Denjenigen aber, welche sich an den Er¬ rungenschaften des großen ungarischen Rechtsbodenmannes nicht genügen ließen, wird man dann auch aus Norddeutschland zurufen: Vous I'aVox voulu, (George vanäin, vous I'aVö2 voulu! Italienische Corresponden?. Neben den Sorgen des Augenblicks, finanziellen Nöthen und politischen Befürchtungen, welche die Kreise unserer Hauptstadt seit dem Carnevalsschluß ungewöhnlich aufregen, nimmt vor Allem der Personenwechsel an der preußi-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/70>, abgerufen am 04.05.2024.