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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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schen Gesandtschaft die allgemeine Aufmerksamkeit in Anspruch. Ein Monat
ist seit dem Rücktritt des Grasen Usedom vergangen, und noch immer wird
derselbe im Publicum lebhaft dtscutirt und muß sich die seltsamsten und wider¬
sprechendsten Commentare und Kritiken gefallen lassen.

Der Eindruck dieses plötzlichen, schwer erklärlichen Schrittes kann den
nicht befremden, der die Stellung des bisherigen preußischen Gesandten in
Florenz gekannt hat. Usedom war -ohne Zweifel der populärste und ange¬
sehenste Diplomat am italienischen Hofe. War schon sein offenes bestimmtes
und zugleich gewinnendes Wesen ganz geeignet, ihm die Sympathie des Jta¬
lieners zu erwecken, so brachte seine reiche Bildung, sein durch lange Jahre
hin erwärmtes Interesse für dieses Land und seine Bewohner, für die Schätze
seiner Vergangenheit ihn in ständige Berührung mit den hervorragenden
Leuten aus allen Classen der Gesellschaft. Die gastfreie Villa vor der Stadt
auf der Höhe des Wegs nach Fiesole, war für Einheimische und Fremde ein
gern gesuchter Mittelpunkt geselligen und geistigen Austausches. Man kannte
Usedom als aufrichtigen Freund Italiens und der italienischen Einheitssache,
und die Rolle, welche er selbst zur Förderung dieses Einheitswerks im Jahre
1866 zu spielen berufen war, hat ihm das italienische Volk nicht vergessen.

Der wesentliche Antheil, den Usedom an dem Zustandekommen der Alltanz
Preußens und Italiens in jenem Kriegsjahr hatte, ist wiederholt anerkannt
worden. Wurden auch die Tractatverhandlungen selbst in Berlin geführt, so
war ihm die weit schwierigere Aufgabe zugefallen, das Bündniß mit dem
räumlich so weit entrückten Preußen hier bei Regierung und Volk vorzu¬
bereiten, zu Pflegen und zur Kooperation wirksam zu machen. Die neueren
Enthüllungen haben erwiesen, bis zu welchem Grade ihm diese Aufgabe durch
das Mißtrauen und die Lahmheit des Generals La Marmora. so wie durch
die Winkelzüge der französischen Politik auf Schritt und Tritt erschwert
wurde und welch harte Probe die Geduld und Festigkeit des Gesandten zu
bestehen hatte. Die Note vom 17. Juni, ein letzter vernehmlicher Appell
unmittelbar vor Ausbruch des Krieges, drückt diese Situation bezeichnend
aus. Ricasoli's und Visconti-Venosta's Eintritt ins Ministerium brachte die
Wendung zum Bessern: diese Minister begehrten und fanden in Graf Usedom
eine willkommene Stütze, die sich besonders in den kritischen Momenten zu
bewähren hatte, als Napoleon nach der Cesston Venetiens an Frankreich mit
allen Mitteln der Insinuation und Drohung Italien zum Stillstand zu
zwingen versuchte.

Diese Stellung hat Graf Usedom auch nach dem Friedensschluß be¬
hauptet. Sein Bestreben ist seitdem darauf gerichtet geblieben, den französi¬
schen Einflüssen entgegen, die Episode von 1866 zu einem dauernden frucht¬
baren Freundschaftsverhältniß der verbündeten Mächte weiterzubilden, und


schen Gesandtschaft die allgemeine Aufmerksamkeit in Anspruch. Ein Monat
ist seit dem Rücktritt des Grasen Usedom vergangen, und noch immer wird
derselbe im Publicum lebhaft dtscutirt und muß sich die seltsamsten und wider¬
sprechendsten Commentare und Kritiken gefallen lassen.

Der Eindruck dieses plötzlichen, schwer erklärlichen Schrittes kann den
nicht befremden, der die Stellung des bisherigen preußischen Gesandten in
Florenz gekannt hat. Usedom war -ohne Zweifel der populärste und ange¬
sehenste Diplomat am italienischen Hofe. War schon sein offenes bestimmtes
und zugleich gewinnendes Wesen ganz geeignet, ihm die Sympathie des Jta¬
lieners zu erwecken, so brachte seine reiche Bildung, sein durch lange Jahre
hin erwärmtes Interesse für dieses Land und seine Bewohner, für die Schätze
seiner Vergangenheit ihn in ständige Berührung mit den hervorragenden
Leuten aus allen Classen der Gesellschaft. Die gastfreie Villa vor der Stadt
auf der Höhe des Wegs nach Fiesole, war für Einheimische und Fremde ein
gern gesuchter Mittelpunkt geselligen und geistigen Austausches. Man kannte
Usedom als aufrichtigen Freund Italiens und der italienischen Einheitssache,
und die Rolle, welche er selbst zur Förderung dieses Einheitswerks im Jahre
1866 zu spielen berufen war, hat ihm das italienische Volk nicht vergessen.

Der wesentliche Antheil, den Usedom an dem Zustandekommen der Alltanz
Preußens und Italiens in jenem Kriegsjahr hatte, ist wiederholt anerkannt
worden. Wurden auch die Tractatverhandlungen selbst in Berlin geführt, so
war ihm die weit schwierigere Aufgabe zugefallen, das Bündniß mit dem
räumlich so weit entrückten Preußen hier bei Regierung und Volk vorzu¬
bereiten, zu Pflegen und zur Kooperation wirksam zu machen. Die neueren
Enthüllungen haben erwiesen, bis zu welchem Grade ihm diese Aufgabe durch
das Mißtrauen und die Lahmheit des Generals La Marmora. so wie durch
die Winkelzüge der französischen Politik auf Schritt und Tritt erschwert
wurde und welch harte Probe die Geduld und Festigkeit des Gesandten zu
bestehen hatte. Die Note vom 17. Juni, ein letzter vernehmlicher Appell
unmittelbar vor Ausbruch des Krieges, drückt diese Situation bezeichnend
aus. Ricasoli's und Visconti-Venosta's Eintritt ins Ministerium brachte die
Wendung zum Bessern: diese Minister begehrten und fanden in Graf Usedom
eine willkommene Stütze, die sich besonders in den kritischen Momenten zu
bewähren hatte, als Napoleon nach der Cesston Venetiens an Frankreich mit
allen Mitteln der Insinuation und Drohung Italien zum Stillstand zu
zwingen versuchte.

Diese Stellung hat Graf Usedom auch nach dem Friedensschluß be¬
hauptet. Sein Bestreben ist seitdem darauf gerichtet geblieben, den französi¬
schen Einflüssen entgegen, die Episode von 1866 zu einem dauernden frucht¬
baren Freundschaftsverhältniß der verbündeten Mächte weiterzubilden, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/71>, abgerufen am 22.05.2024.