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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Die Fürsten und der Bundesstaat.

Es sind jetzt zwei Jahre, seit die Verfassung des norddeutschen Bundes
Grundlage für einen neuen Staat geworden ist. Wer auf die gehäufte
politische Arbeit dieses Zeitraums zurückblickt, der mag zu der Freude über
einen großen Fortschritt wohl auch Erstaunen über das Gewordene empfin¬
den und eine ernste Sorge darüber, was noch werden soll.

Vor Allem soll sich dankbar des Gewordenen freuen, wer den dreifarbigen
Wimpel des Bundes von den Raaen der Barkschiffe und Kriegsdampfer
wehen sieht, wer einen Brief zur Post sendet, eine Depesche befördert, wer
die kräftige Jugend Norddeutschlands unter Helm und Gewehr ihre große
Turnschule absolviren sieht, wer die Verheißungen und Hoffnungen erwägt,
welche sich an die Paragraphen der neuen Verfassung knüpfen, und wer er¬
kennt, wie im Verkehr der deutschen Staaten und Interessen überall neben
der alten Stagnation und localen Abgeschlossenheit eine neue, frische Strömung
erkennbar wird, welche lang Getrenntes trotz allem Widerstand zur Vereinigung
führen möchte.

Auch vieles Mißbehagen, das durch den Kampf zwischen Altem und Neuem
so häufig erregt wird, darf die patriotische Freude nicht stören. Es ist wahr,
das Ungeheuerliche dreier parlamentarischer Versammlungen: Landtag. Reichs¬
tag. Zollparlament erscheint zuweilen unerträglich, Neid und Intriguen aus¬
wärtiger Mächte und geheime Zweifel an der Dauer des Friedens, endlich
die Unzufriedenheit vieler Einzelnen, welche durch die Neubildungen irgendwie
in Gemüth oder Interessen verletzt wurden, das sind unholde Beigaben zu
unserm Gewinn. Aber wir waren darauf gefaßt. Es war auch vorauszu¬
sehen, daß die Verfassung des Bundes und die Organe, durch welche er in
Deutschland zu regieren hat. sich sehr bald als ungenügend erweisen würden;
gern haben wir auf den Zwang der Thatsachen vertraut, welcher allmälig
ergänzen und aus dem Bundeskanzleramt einen gegliederten Organismus
für Controle über die Theile und für sichere Herrschaft des Bundes schaffen
würde.

Endlich blieb in diesen Jahren auch eine andere Gefahr, welche dem Ge¬
deihen des Bundes drohte, nicht unbeachtet. Die Verfassung des Bundes,
Grundgesetz und Bundesgewalt, waren hervorgegangen aus flüchtigen Com-


Grenzboten II. I.SV9, 1
Die Fürsten und der Bundesstaat.

Es sind jetzt zwei Jahre, seit die Verfassung des norddeutschen Bundes
Grundlage für einen neuen Staat geworden ist. Wer auf die gehäufte
politische Arbeit dieses Zeitraums zurückblickt, der mag zu der Freude über
einen großen Fortschritt wohl auch Erstaunen über das Gewordene empfin¬
den und eine ernste Sorge darüber, was noch werden soll.

Vor Allem soll sich dankbar des Gewordenen freuen, wer den dreifarbigen
Wimpel des Bundes von den Raaen der Barkschiffe und Kriegsdampfer
wehen sieht, wer einen Brief zur Post sendet, eine Depesche befördert, wer
die kräftige Jugend Norddeutschlands unter Helm und Gewehr ihre große
Turnschule absolviren sieht, wer die Verheißungen und Hoffnungen erwägt,
welche sich an die Paragraphen der neuen Verfassung knüpfen, und wer er¬
kennt, wie im Verkehr der deutschen Staaten und Interessen überall neben
der alten Stagnation und localen Abgeschlossenheit eine neue, frische Strömung
erkennbar wird, welche lang Getrenntes trotz allem Widerstand zur Vereinigung
führen möchte.

Auch vieles Mißbehagen, das durch den Kampf zwischen Altem und Neuem
so häufig erregt wird, darf die patriotische Freude nicht stören. Es ist wahr,
das Ungeheuerliche dreier parlamentarischer Versammlungen: Landtag. Reichs¬
tag. Zollparlament erscheint zuweilen unerträglich, Neid und Intriguen aus¬
wärtiger Mächte und geheime Zweifel an der Dauer des Friedens, endlich
die Unzufriedenheit vieler Einzelnen, welche durch die Neubildungen irgendwie
in Gemüth oder Interessen verletzt wurden, das sind unholde Beigaben zu
unserm Gewinn. Aber wir waren darauf gefaßt. Es war auch vorauszu¬
sehen, daß die Verfassung des Bundes und die Organe, durch welche er in
Deutschland zu regieren hat. sich sehr bald als ungenügend erweisen würden;
gern haben wir auf den Zwang der Thatsachen vertraut, welcher allmälig
ergänzen und aus dem Bundeskanzleramt einen gegliederten Organismus
für Controle über die Theile und für sichere Herrschaft des Bundes schaffen
würde.

Endlich blieb in diesen Jahren auch eine andere Gefahr, welche dem Ge¬
deihen des Bundes drohte, nicht unbeachtet. Die Verfassung des Bundes,
Grundgesetz und Bundesgewalt, waren hervorgegangen aus flüchtigen Com-


Grenzboten II. I.SV9, 1
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[0009] Die Fürsten und der Bundesstaat. Es sind jetzt zwei Jahre, seit die Verfassung des norddeutschen Bundes Grundlage für einen neuen Staat geworden ist. Wer auf die gehäufte politische Arbeit dieses Zeitraums zurückblickt, der mag zu der Freude über einen großen Fortschritt wohl auch Erstaunen über das Gewordene empfin¬ den und eine ernste Sorge darüber, was noch werden soll. Vor Allem soll sich dankbar des Gewordenen freuen, wer den dreifarbigen Wimpel des Bundes von den Raaen der Barkschiffe und Kriegsdampfer wehen sieht, wer einen Brief zur Post sendet, eine Depesche befördert, wer die kräftige Jugend Norddeutschlands unter Helm und Gewehr ihre große Turnschule absolviren sieht, wer die Verheißungen und Hoffnungen erwägt, welche sich an die Paragraphen der neuen Verfassung knüpfen, und wer er¬ kennt, wie im Verkehr der deutschen Staaten und Interessen überall neben der alten Stagnation und localen Abgeschlossenheit eine neue, frische Strömung erkennbar wird, welche lang Getrenntes trotz allem Widerstand zur Vereinigung führen möchte. Auch vieles Mißbehagen, das durch den Kampf zwischen Altem und Neuem so häufig erregt wird, darf die patriotische Freude nicht stören. Es ist wahr, das Ungeheuerliche dreier parlamentarischer Versammlungen: Landtag. Reichs¬ tag. Zollparlament erscheint zuweilen unerträglich, Neid und Intriguen aus¬ wärtiger Mächte und geheime Zweifel an der Dauer des Friedens, endlich die Unzufriedenheit vieler Einzelnen, welche durch die Neubildungen irgendwie in Gemüth oder Interessen verletzt wurden, das sind unholde Beigaben zu unserm Gewinn. Aber wir waren darauf gefaßt. Es war auch vorauszu¬ sehen, daß die Verfassung des Bundes und die Organe, durch welche er in Deutschland zu regieren hat. sich sehr bald als ungenügend erweisen würden; gern haben wir auf den Zwang der Thatsachen vertraut, welcher allmälig ergänzen und aus dem Bundeskanzleramt einen gegliederten Organismus für Controle über die Theile und für sichere Herrschaft des Bundes schaffen würde. Endlich blieb in diesen Jahren auch eine andere Gefahr, welche dem Ge¬ deihen des Bundes drohte, nicht unbeachtet. Die Verfassung des Bundes, Grundgesetz und Bundesgewalt, waren hervorgegangen aus flüchtigen Com- Grenzboten II. I.SV9, 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/9>, abgerufen am 04.05.2024.