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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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promissen mit den persönlichen Neigungen des Bundesoberhauptes, mit dem
regierenden preußischen Beamtentum, mit der Souverainetät der Bundes¬
fürsten; die neue Schöpfung trug von vornherein einen durchaus persön¬
lichen Charakter und sah einem Gewände gleich, welches der Bundeskanzler
sich ganz nach individuellem Ermessen, nach Natur und Geschmack zugeschnitten
hatte. Nur er, wie er eben war in Talent und Charakter, mit allen Be¬
dingungen seiner Stellung, überlegen in den persönlichen Reibungen des Ho¬
fes, getragen durch die preußische Militairpartei und die Conservativen seines
Staates, zugleich preußischer Minister des Auswärtigen, gesteigert durch eine
neue Popularität, gab die Hoffnung, daß er in seiner Weise aus den schnell
zusammengefügten Bausteinen den neuen Staat errichten werde. Die Gesetz¬
gebung des Bundes hatte zunächst die Aufgabe, seine Diplomatie zu stützen,
durch die er, hier nachgebend, dort imponirend, auf Wegen, die er allein
übersehen konnte, Schritt für Schritt die Hindernisse beseitigen, das Unlogische
und Unfertige der Neubildungen zu energischer Consequenz umbilden sollte.
Die Voraussetzungen für seine in Wahrheit unerhörte Arbeit waren erstens,
daß er das vollständige Vertrauen seines Souverains behielt, zweitens, daß
eine immense Popularität und das hingebende und opferwillige Vertrauen
der Opposition ihn nicht verließ, und drittens, daß er selbst ein großer
Staatsmann war, das heißt, daß er genau wußte, was sein Bundesstaat
werden sollte, wie weit die Einheit durchgesetzt werden müsse, damit der
Staat lebensfähig und ein Glück für die Nation werde. -- Ob die erste
und dritte dieser Annahmen dem wirklichen Sachverhältniß entsprechen, das
entzieht sich zur Zeit noch unserem Urtheil. Aber wohl dürfen wir behaup¬
ten, daß die nationale Opposition trotz kleiner Stöße im Ganzen durch diese
zwei Jahre dem Grafen Bismarck sich nicht versagt hat, wo er ihre Hülfe in
Anspruch zu nehmen für gut fand. Jetzt aber scheint uns die Sachlage so
geworden zu sein, daß die nationale Partei, ohne ein Mißtrauen gegen Per¬
sonen auszusprechen, doch sich selbst und der Nation durch ihr Verhalten klar
zu machen hat, was sie aus dem Bunde machen will, das heißt wieder, wie
weit bedarf gegenwärtig die Nation die Einheit, wie weit frommt ihr die
Selbstständigkeit der Theile?

Denn es scheint uns bereits etwas Anderes aus dem Bunde zu wer¬
den, als im Jahre 1867 die Meinung war, damals, wo die Verfassung ge¬
geben wurde. Leise und allmälig substituirt sich der Gesetzgebung durch
Bundesoberhaupt, Bundesrath und Reichstag ein diplomatisches Transigiren
zwischen den Bundesregierungen, die Rücksichtnahme auf Souverainetäts-
wünsche und Eigenwillen der Herrschenden erscheint zu groß, die Rücksichten
auf die Regierungen hemmen überall eine Durchführung der Verheißungen,
welche die Verfassung gemacht hat. Ungern und fast nur in militairischen


promissen mit den persönlichen Neigungen des Bundesoberhauptes, mit dem
regierenden preußischen Beamtentum, mit der Souverainetät der Bundes¬
fürsten; die neue Schöpfung trug von vornherein einen durchaus persön¬
lichen Charakter und sah einem Gewände gleich, welches der Bundeskanzler
sich ganz nach individuellem Ermessen, nach Natur und Geschmack zugeschnitten
hatte. Nur er, wie er eben war in Talent und Charakter, mit allen Be¬
dingungen seiner Stellung, überlegen in den persönlichen Reibungen des Ho¬
fes, getragen durch die preußische Militairpartei und die Conservativen seines
Staates, zugleich preußischer Minister des Auswärtigen, gesteigert durch eine
neue Popularität, gab die Hoffnung, daß er in seiner Weise aus den schnell
zusammengefügten Bausteinen den neuen Staat errichten werde. Die Gesetz¬
gebung des Bundes hatte zunächst die Aufgabe, seine Diplomatie zu stützen,
durch die er, hier nachgebend, dort imponirend, auf Wegen, die er allein
übersehen konnte, Schritt für Schritt die Hindernisse beseitigen, das Unlogische
und Unfertige der Neubildungen zu energischer Consequenz umbilden sollte.
Die Voraussetzungen für seine in Wahrheit unerhörte Arbeit waren erstens,
daß er das vollständige Vertrauen seines Souverains behielt, zweitens, daß
eine immense Popularität und das hingebende und opferwillige Vertrauen
der Opposition ihn nicht verließ, und drittens, daß er selbst ein großer
Staatsmann war, das heißt, daß er genau wußte, was sein Bundesstaat
werden sollte, wie weit die Einheit durchgesetzt werden müsse, damit der
Staat lebensfähig und ein Glück für die Nation werde. — Ob die erste
und dritte dieser Annahmen dem wirklichen Sachverhältniß entsprechen, das
entzieht sich zur Zeit noch unserem Urtheil. Aber wohl dürfen wir behaup¬
ten, daß die nationale Opposition trotz kleiner Stöße im Ganzen durch diese
zwei Jahre dem Grafen Bismarck sich nicht versagt hat, wo er ihre Hülfe in
Anspruch zu nehmen für gut fand. Jetzt aber scheint uns die Sachlage so
geworden zu sein, daß die nationale Partei, ohne ein Mißtrauen gegen Per¬
sonen auszusprechen, doch sich selbst und der Nation durch ihr Verhalten klar
zu machen hat, was sie aus dem Bunde machen will, das heißt wieder, wie
weit bedarf gegenwärtig die Nation die Einheit, wie weit frommt ihr die
Selbstständigkeit der Theile?

Denn es scheint uns bereits etwas Anderes aus dem Bunde zu wer¬
den, als im Jahre 1867 die Meinung war, damals, wo die Verfassung ge¬
geben wurde. Leise und allmälig substituirt sich der Gesetzgebung durch
Bundesoberhaupt, Bundesrath und Reichstag ein diplomatisches Transigiren
zwischen den Bundesregierungen, die Rücksichtnahme auf Souverainetäts-
wünsche und Eigenwillen der Herrschenden erscheint zu groß, die Rücksichten
auf die Regierungen hemmen überall eine Durchführung der Verheißungen,
welche die Verfassung gemacht hat. Ungern und fast nur in militairischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/10>, abgerufen am 24.05.2024.