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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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5.

Sie erhalten, theuerste Freundin, noch ein spätes Blatt von mir.
August ist angekommen und hätte schon selbst aufgewartet, wenn er nicht in
einiger Bänglichkeit befangen wäre. Die Vorklage will er dem Vater über¬
lassen. Da ich nun immer als Mieio bekannt bin, so darf ich es nicht ab¬
lehnen. Die schöne Aufforderung macht ihn verlegen. Er glaubt mancherlei
Gründe zu haben, die alle gut sind, und die vielleicht alle nichts taugen.
Er mag nur selbst kommen und Probiren, wie man sich entzieht. Wäre
nicht von einer Quadrille die Rede, so böte der Vater sich für den Sohn an,
bei dieser schönen Gelegenheit, da es sonst billig ist, daß der Sohn für den
Vater stehe.

1810. Freundlich


G velde.

Goethe an Gräfin Caroline von Egloffstein, Nichte der Vorigen
(gestorben am 16. Jan. 1869 zu Marienrode bei Hildesheim).


6.

(Ein Schreiben Goethes vom Jahre 1811, an Caroline Gräfin Egloffstein
gerichtet, die damals zu Misburg, einem in der Nähe von Hannover liegen¬
den Forsthause, lebte, wo die Egloffsiein'schen Schwestern seit der zweiten
Heirath ihrer Mutter, ehemaligen Gräfin Egloffstein, die frühesten Jugend¬
jahre verlebten und zahlreiche Beweise treuster Theilnahme des Dichters
empfingen. -- Der Inhalt bezieht sich auf den Maskenzug der am 30. Ja¬
nuar 1810 bei Verlobung der Prinzessin Caroline von Weimar (Mutter der
Herzogin von Orleans) stattgefunden, wobei die Gräfin Caroline, die sich
zum Besuch in Weimar ausgehalten hatte, im Costüm der Jägerin auftrat.
Goethe selbst erschien an jenem Abende als Tempelherr und trotz seiner
61 Jahre in solcher Schönheit, daß die Anwesenden ihn nicht genug bewun¬
dern konnten. Die Zeichnerin, deren Goethe erwähnt, ist die jüngere
Schwester Julie, an der der Dichter seit ihrer Kindheit das lebhafteste
Interesse nahm; ihr angeborenes Talent hatte ihn so lebhaft gefesselt, daß er
sich ihre, in tiefster ländlicher Einsamkeit, ohne die mindeste Anleitung ent¬
standenen Compositionen durch Vermittelung des gemeinsamen Freundes,
Kanzler v. Müller, von Zeit zu Zeit kommen ließ. Müller pflegte dann
Goethes Aeßerungen über die Kunstjüngerin actenmäßig aufzuzeichnen und
derselben mitzutheilen.)

Unart. von Caroline Egloffstein. "Leider sind viele dieser Rapporte*) ver-



*) Die Zeichnungen bestanden nur aus flüchtigen Bleistift-Umrissen, die Abends am
Theetisch entworfen wurden.
5.

Sie erhalten, theuerste Freundin, noch ein spätes Blatt von mir.
August ist angekommen und hätte schon selbst aufgewartet, wenn er nicht in
einiger Bänglichkeit befangen wäre. Die Vorklage will er dem Vater über¬
lassen. Da ich nun immer als Mieio bekannt bin, so darf ich es nicht ab¬
lehnen. Die schöne Aufforderung macht ihn verlegen. Er glaubt mancherlei
Gründe zu haben, die alle gut sind, und die vielleicht alle nichts taugen.
Er mag nur selbst kommen und Probiren, wie man sich entzieht. Wäre
nicht von einer Quadrille die Rede, so böte der Vater sich für den Sohn an,
bei dieser schönen Gelegenheit, da es sonst billig ist, daß der Sohn für den
Vater stehe.

1810. Freundlich


G velde.

Goethe an Gräfin Caroline von Egloffstein, Nichte der Vorigen
(gestorben am 16. Jan. 1869 zu Marienrode bei Hildesheim).


6.

(Ein Schreiben Goethes vom Jahre 1811, an Caroline Gräfin Egloffstein
gerichtet, die damals zu Misburg, einem in der Nähe von Hannover liegen¬
den Forsthause, lebte, wo die Egloffsiein'schen Schwestern seit der zweiten
Heirath ihrer Mutter, ehemaligen Gräfin Egloffstein, die frühesten Jugend¬
jahre verlebten und zahlreiche Beweise treuster Theilnahme des Dichters
empfingen. — Der Inhalt bezieht sich auf den Maskenzug der am 30. Ja¬
nuar 1810 bei Verlobung der Prinzessin Caroline von Weimar (Mutter der
Herzogin von Orleans) stattgefunden, wobei die Gräfin Caroline, die sich
zum Besuch in Weimar ausgehalten hatte, im Costüm der Jägerin auftrat.
Goethe selbst erschien an jenem Abende als Tempelherr und trotz seiner
61 Jahre in solcher Schönheit, daß die Anwesenden ihn nicht genug bewun¬
dern konnten. Die Zeichnerin, deren Goethe erwähnt, ist die jüngere
Schwester Julie, an der der Dichter seit ihrer Kindheit das lebhafteste
Interesse nahm; ihr angeborenes Talent hatte ihn so lebhaft gefesselt, daß er
sich ihre, in tiefster ländlicher Einsamkeit, ohne die mindeste Anleitung ent¬
standenen Compositionen durch Vermittelung des gemeinsamen Freundes,
Kanzler v. Müller, von Zeit zu Zeit kommen ließ. Müller pflegte dann
Goethes Aeßerungen über die Kunstjüngerin actenmäßig aufzuzeichnen und
derselben mitzutheilen.)

Unart. von Caroline Egloffstein. „Leider sind viele dieser Rapporte*) ver-



*) Die Zeichnungen bestanden nur aus flüchtigen Bleistift-Umrissen, die Abends am
Theetisch entworfen wurden.
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[0212] 5. Sie erhalten, theuerste Freundin, noch ein spätes Blatt von mir. August ist angekommen und hätte schon selbst aufgewartet, wenn er nicht in einiger Bänglichkeit befangen wäre. Die Vorklage will er dem Vater über¬ lassen. Da ich nun immer als Mieio bekannt bin, so darf ich es nicht ab¬ lehnen. Die schöne Aufforderung macht ihn verlegen. Er glaubt mancherlei Gründe zu haben, die alle gut sind, und die vielleicht alle nichts taugen. Er mag nur selbst kommen und Probiren, wie man sich entzieht. Wäre nicht von einer Quadrille die Rede, so böte der Vater sich für den Sohn an, bei dieser schönen Gelegenheit, da es sonst billig ist, daß der Sohn für den Vater stehe. 1810. Freundlich G velde. Goethe an Gräfin Caroline von Egloffstein, Nichte der Vorigen (gestorben am 16. Jan. 1869 zu Marienrode bei Hildesheim). 6. (Ein Schreiben Goethes vom Jahre 1811, an Caroline Gräfin Egloffstein gerichtet, die damals zu Misburg, einem in der Nähe von Hannover liegen¬ den Forsthause, lebte, wo die Egloffsiein'schen Schwestern seit der zweiten Heirath ihrer Mutter, ehemaligen Gräfin Egloffstein, die frühesten Jugend¬ jahre verlebten und zahlreiche Beweise treuster Theilnahme des Dichters empfingen. — Der Inhalt bezieht sich auf den Maskenzug der am 30. Ja¬ nuar 1810 bei Verlobung der Prinzessin Caroline von Weimar (Mutter der Herzogin von Orleans) stattgefunden, wobei die Gräfin Caroline, die sich zum Besuch in Weimar ausgehalten hatte, im Costüm der Jägerin auftrat. Goethe selbst erschien an jenem Abende als Tempelherr und trotz seiner 61 Jahre in solcher Schönheit, daß die Anwesenden ihn nicht genug bewun¬ dern konnten. Die Zeichnerin, deren Goethe erwähnt, ist die jüngere Schwester Julie, an der der Dichter seit ihrer Kindheit das lebhafteste Interesse nahm; ihr angeborenes Talent hatte ihn so lebhaft gefesselt, daß er sich ihre, in tiefster ländlicher Einsamkeit, ohne die mindeste Anleitung ent¬ standenen Compositionen durch Vermittelung des gemeinsamen Freundes, Kanzler v. Müller, von Zeit zu Zeit kommen ließ. Müller pflegte dann Goethes Aeßerungen über die Kunstjüngerin actenmäßig aufzuzeichnen und derselben mitzutheilen.) Unart. von Caroline Egloffstein. „Leider sind viele dieser Rapporte*) ver- *) Die Zeichnungen bestanden nur aus flüchtigen Bleistift-Umrissen, die Abends am Theetisch entworfen wurden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/212>, abgerufen am 05.05.2024.