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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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falschen Schriften (1785), seine neuen Göttergespräche (1791), Voß seine
Uebersetzung des Homer ohne große Anfangsbuchstaben drucken, und im neun¬
zehnten Jahrhundert endlich begegnet uns eine ganze Reihe von Männern,
freilich nur Gelehrte und Professoren, welche dieser unserer allgemeinen
Schreibweise nicht huldigen. Obenan unter denselben steht wieder Jacob
Grimm, der in seinen ersten Werken wohl auch große Buchstaben anwen¬
dete, sich später aber von denselben lossagte.

Ob sich später auch noch andere zur Annahme dieser Neuerung bequemen
werden, ist abzuwarten, darf aber um so mehr bezweifelt werden, als selbst
Einige von jenen, welche anfänglich diesen Gebrauch adoptirt hatten, von
demselben bereits wieder zurückgekommen sind. Zwar sagt Grimm ganz
richtig: "Hat nur ein einziges Geschlecht der neuen Schreibweise sich bequemt,
so wird im nachfolgenden kein Hahn nach der alten krähen" -- er hat aber
nicht die Mittel angegeben, durch welche eine Generation vermocht werden
könnte, ihre gewohnte Schreibweise fallen zu lassen.

Wir bekennen auch hierin durchaus conservative Neigungen. Wir sind
der Meinung, daß uns die großen Lettern das Lesen durch die Haltpunkte,
welche sie dem Auge gewähren, allerdings ein wenig erleichtern; wir würden
nicht zu ihrer Einführung rathen, wenn sie nicht bereits in Gebrauch wären,
halten es aber für unnöthig, dagegen zu eifern, und sind geneigt, sie unter
die Adiaphora zu rechnen, bei denen es Jeder halten kann, wie er will. Nicht
ganz so gleichgültig läßt uns der Gebrauch einiger namhafter Gelehrter, auch
nach größerem Nedeabsatz und Punkt den großen Buchstaben vorzuenthalten.
Denn die Einförmigkeit macht wirklich das Lesen unbequemer. Und wir
meinen, dergleichen harmlose Bräuche unserer Schrift sind wie das Hut¬
abnehmen auf der Straße und die Verbeugung bei einem Besuch, kleine ge¬
sellschaftliche Artigkeiten, denen man sich nicht entziehen soll, am allerwenig-
stens aus Gründen höherer Einsicht und aus einem stolzen Purismus.




Ueue Märchen ^ Forschungen.

G. Gerland, Altgriechische Märchen in der Odyssee. Magdeburg 1869.

Gibt es ein Gebiet literarhistorischer Forschung, das vorzugsweise von
Deutschen cultivirt worden, so ist es das der Märchenpoesie. Die Gebrüder
Grimm haben nicht nur die Sammlung von Volksmärchen für alle Theile
der Erde zuerst in Anregung gebracht, sie haben auch mit staunenswerther


falschen Schriften (1785), seine neuen Göttergespräche (1791), Voß seine
Uebersetzung des Homer ohne große Anfangsbuchstaben drucken, und im neun¬
zehnten Jahrhundert endlich begegnet uns eine ganze Reihe von Männern,
freilich nur Gelehrte und Professoren, welche dieser unserer allgemeinen
Schreibweise nicht huldigen. Obenan unter denselben steht wieder Jacob
Grimm, der in seinen ersten Werken wohl auch große Buchstaben anwen¬
dete, sich später aber von denselben lossagte.

Ob sich später auch noch andere zur Annahme dieser Neuerung bequemen
werden, ist abzuwarten, darf aber um so mehr bezweifelt werden, als selbst
Einige von jenen, welche anfänglich diesen Gebrauch adoptirt hatten, von
demselben bereits wieder zurückgekommen sind. Zwar sagt Grimm ganz
richtig: „Hat nur ein einziges Geschlecht der neuen Schreibweise sich bequemt,
so wird im nachfolgenden kein Hahn nach der alten krähen" — er hat aber
nicht die Mittel angegeben, durch welche eine Generation vermocht werden
könnte, ihre gewohnte Schreibweise fallen zu lassen.

Wir bekennen auch hierin durchaus conservative Neigungen. Wir sind
der Meinung, daß uns die großen Lettern das Lesen durch die Haltpunkte,
welche sie dem Auge gewähren, allerdings ein wenig erleichtern; wir würden
nicht zu ihrer Einführung rathen, wenn sie nicht bereits in Gebrauch wären,
halten es aber für unnöthig, dagegen zu eifern, und sind geneigt, sie unter
die Adiaphora zu rechnen, bei denen es Jeder halten kann, wie er will. Nicht
ganz so gleichgültig läßt uns der Gebrauch einiger namhafter Gelehrter, auch
nach größerem Nedeabsatz und Punkt den großen Buchstaben vorzuenthalten.
Denn die Einförmigkeit macht wirklich das Lesen unbequemer. Und wir
meinen, dergleichen harmlose Bräuche unserer Schrift sind wie das Hut¬
abnehmen auf der Straße und die Verbeugung bei einem Besuch, kleine ge¬
sellschaftliche Artigkeiten, denen man sich nicht entziehen soll, am allerwenig-
stens aus Gründen höherer Einsicht und aus einem stolzen Purismus.




Ueue Märchen ^ Forschungen.

G. Gerland, Altgriechische Märchen in der Odyssee. Magdeburg 1869.

Gibt es ein Gebiet literarhistorischer Forschung, das vorzugsweise von
Deutschen cultivirt worden, so ist es das der Märchenpoesie. Die Gebrüder
Grimm haben nicht nur die Sammlung von Volksmärchen für alle Theile
der Erde zuerst in Anregung gebracht, sie haben auch mit staunenswerther


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/106>, abgerufen am 28.04.2024.