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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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großen Anfangsbuchstaben der Substantiva, obwohl sie in anderen gleich¬
zeitigen Schriften schon vereinzelt gebraucht werden. Hans Sachs, Pam-
philus Gengenbach wenden sie schon theilweise bei Substantiven, desgleichen
aber auch bei anderen Wörtern an, auf welche sie Nachdruck legen wollen,
wozu sie auch Luther in der Uebersetzung der ganzen Bibel 1534 und noch
mehr 1545 gebraucht. Die großen Buchstaben vertraten also damals ge¬
wissermaßen die Stelle des Unterstreichens in der Schrift oder unseres heuti¬
gen gesperrten (durchschossenen) oder eursiven Druckes, zu welchem Zwecke sie
gleichzeitig auch in Frankreich und England angewendet wurden. Während
man aber dort diesen Gebrauch allmälig wieder einschränkte und endlich
große Buchstaben nur bei Eigennamen und am Anfange der Sätze zuließ,
nahmen in Deutschland die Verfallen jedes Jahrzehnt mehr über¬
Hand und wurden bald bei allen Substantiven angewendet, wozu unzweifel¬
haft die Ansicht beitrug, daß das Substantivum das bedeutungsvollste Wort
im Satze sei, das "Hauptwort". Zwar stellte noch 1663 Georg Schot¬
te! in dem Werke: "Ausführliche Arbeit von der deutschen Hauptsprache"
die Regel auf: "Alle eigenen Nennwörter (noming. proxria) und sonst die¬
jenigen, welche einen sonderbaren Nachdruck bedeuten, als Titel, die Tauf¬
und Zunamen, die Namen der Länder, der Städte, Dörfer, der Völker, der
Beamten, der Festtage ?c., dann auch die, so auf einen Punkt folgen, werden
am Anfange mit einem großen Buchstaben geschrieben", indem er in einer
Anmerkung beisetzt: "Es befundt sich zwar, daß Trükkere (Drucker) fast alle
selbständige Nennwörter pflegen mit einem großen Buchstaben am Anfange
zu setzen, es ist aber solches eine freie, veränderliche Gewohnheit
bishero gewesen und Jedem, wie ers hat wollen machen un-
getadelt freigestanden, soll aber billig hierin eine grund¬
massige Gewißheit inhalts angezogener Regel beobachtet
werden." Trotzdem schrieb er aber alle Substantiv" mit großen Anfangs¬
buchstaben, und im Jahre 1709 konnte I. Bödiker in seiner Grammatik
die Regel aufstellen, beiß alle Substantiva und was an deren Statt ge¬
brauchet wird, mit einem großen Anfangsbuchstaben geschrieben werden müssen.
Aber zu allen Zeiten haben sich Einzelne gegen diesen Mißbrauch entweder erklärt
(z. B. 1817 ein Ungenannter in dem Allgemeinen Anzeiger der Deutschen,
in demselben Jahre Fr. Schubert in einem selbständigen kleinen Werk¬
chen !c,). oder denselben wenigstens nicht angenommen. Trotz des am Ende
des siebenzehnten Jahrhunderts bereits feststehenden Gebrauchs wurden die
meisten gleichzeitigen Bibeln ohne große Buchstaben gedruckt, was auch in
den meisten Schriften von Christian Weiße sowie in einigen von Brockes
und Hofmann swaldau der Fall ist. Im achtzehnten Jahrhundert ließ,
um nur einige der bedeutendsten anzuführen, Wieland seine kleineren pro-


Grenzboten IV. 18V9. 13

großen Anfangsbuchstaben der Substantiva, obwohl sie in anderen gleich¬
zeitigen Schriften schon vereinzelt gebraucht werden. Hans Sachs, Pam-
philus Gengenbach wenden sie schon theilweise bei Substantiven, desgleichen
aber auch bei anderen Wörtern an, auf welche sie Nachdruck legen wollen,
wozu sie auch Luther in der Uebersetzung der ganzen Bibel 1534 und noch
mehr 1545 gebraucht. Die großen Buchstaben vertraten also damals ge¬
wissermaßen die Stelle des Unterstreichens in der Schrift oder unseres heuti¬
gen gesperrten (durchschossenen) oder eursiven Druckes, zu welchem Zwecke sie
gleichzeitig auch in Frankreich und England angewendet wurden. Während
man aber dort diesen Gebrauch allmälig wieder einschränkte und endlich
große Buchstaben nur bei Eigennamen und am Anfange der Sätze zuließ,
nahmen in Deutschland die Verfallen jedes Jahrzehnt mehr über¬
Hand und wurden bald bei allen Substantiven angewendet, wozu unzweifel¬
haft die Ansicht beitrug, daß das Substantivum das bedeutungsvollste Wort
im Satze sei, das „Hauptwort". Zwar stellte noch 1663 Georg Schot¬
te! in dem Werke: „Ausführliche Arbeit von der deutschen Hauptsprache"
die Regel auf: „Alle eigenen Nennwörter (noming. proxria) und sonst die¬
jenigen, welche einen sonderbaren Nachdruck bedeuten, als Titel, die Tauf¬
und Zunamen, die Namen der Länder, der Städte, Dörfer, der Völker, der
Beamten, der Festtage ?c., dann auch die, so auf einen Punkt folgen, werden
am Anfange mit einem großen Buchstaben geschrieben", indem er in einer
Anmerkung beisetzt: „Es befundt sich zwar, daß Trükkere (Drucker) fast alle
selbständige Nennwörter pflegen mit einem großen Buchstaben am Anfange
zu setzen, es ist aber solches eine freie, veränderliche Gewohnheit
bishero gewesen und Jedem, wie ers hat wollen machen un-
getadelt freigestanden, soll aber billig hierin eine grund¬
massige Gewißheit inhalts angezogener Regel beobachtet
werden." Trotzdem schrieb er aber alle Substantiv« mit großen Anfangs¬
buchstaben, und im Jahre 1709 konnte I. Bödiker in seiner Grammatik
die Regel aufstellen, beiß alle Substantiva und was an deren Statt ge¬
brauchet wird, mit einem großen Anfangsbuchstaben geschrieben werden müssen.
Aber zu allen Zeiten haben sich Einzelne gegen diesen Mißbrauch entweder erklärt
(z. B. 1817 ein Ungenannter in dem Allgemeinen Anzeiger der Deutschen,
in demselben Jahre Fr. Schubert in einem selbständigen kleinen Werk¬
chen !c,). oder denselben wenigstens nicht angenommen. Trotz des am Ende
des siebenzehnten Jahrhunderts bereits feststehenden Gebrauchs wurden die
meisten gleichzeitigen Bibeln ohne große Buchstaben gedruckt, was auch in
den meisten Schriften von Christian Weiße sowie in einigen von Brockes
und Hofmann swaldau der Fall ist. Im achtzehnten Jahrhundert ließ,
um nur einige der bedeutendsten anzuführen, Wieland seine kleineren pro-


Grenzboten IV. 18V9. 13
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[0105] großen Anfangsbuchstaben der Substantiva, obwohl sie in anderen gleich¬ zeitigen Schriften schon vereinzelt gebraucht werden. Hans Sachs, Pam- philus Gengenbach wenden sie schon theilweise bei Substantiven, desgleichen aber auch bei anderen Wörtern an, auf welche sie Nachdruck legen wollen, wozu sie auch Luther in der Uebersetzung der ganzen Bibel 1534 und noch mehr 1545 gebraucht. Die großen Buchstaben vertraten also damals ge¬ wissermaßen die Stelle des Unterstreichens in der Schrift oder unseres heuti¬ gen gesperrten (durchschossenen) oder eursiven Druckes, zu welchem Zwecke sie gleichzeitig auch in Frankreich und England angewendet wurden. Während man aber dort diesen Gebrauch allmälig wieder einschränkte und endlich große Buchstaben nur bei Eigennamen und am Anfange der Sätze zuließ, nahmen in Deutschland die Verfallen jedes Jahrzehnt mehr über¬ Hand und wurden bald bei allen Substantiven angewendet, wozu unzweifel¬ haft die Ansicht beitrug, daß das Substantivum das bedeutungsvollste Wort im Satze sei, das „Hauptwort". Zwar stellte noch 1663 Georg Schot¬ te! in dem Werke: „Ausführliche Arbeit von der deutschen Hauptsprache" die Regel auf: „Alle eigenen Nennwörter (noming. proxria) und sonst die¬ jenigen, welche einen sonderbaren Nachdruck bedeuten, als Titel, die Tauf¬ und Zunamen, die Namen der Länder, der Städte, Dörfer, der Völker, der Beamten, der Festtage ?c., dann auch die, so auf einen Punkt folgen, werden am Anfange mit einem großen Buchstaben geschrieben", indem er in einer Anmerkung beisetzt: „Es befundt sich zwar, daß Trükkere (Drucker) fast alle selbständige Nennwörter pflegen mit einem großen Buchstaben am Anfange zu setzen, es ist aber solches eine freie, veränderliche Gewohnheit bishero gewesen und Jedem, wie ers hat wollen machen un- getadelt freigestanden, soll aber billig hierin eine grund¬ massige Gewißheit inhalts angezogener Regel beobachtet werden." Trotzdem schrieb er aber alle Substantiv« mit großen Anfangs¬ buchstaben, und im Jahre 1709 konnte I. Bödiker in seiner Grammatik die Regel aufstellen, beiß alle Substantiva und was an deren Statt ge¬ brauchet wird, mit einem großen Anfangsbuchstaben geschrieben werden müssen. Aber zu allen Zeiten haben sich Einzelne gegen diesen Mißbrauch entweder erklärt (z. B. 1817 ein Ungenannter in dem Allgemeinen Anzeiger der Deutschen, in demselben Jahre Fr. Schubert in einem selbständigen kleinen Werk¬ chen !c,). oder denselben wenigstens nicht angenommen. Trotz des am Ende des siebenzehnten Jahrhunderts bereits feststehenden Gebrauchs wurden die meisten gleichzeitigen Bibeln ohne große Buchstaben gedruckt, was auch in den meisten Schriften von Christian Weiße sowie in einigen von Brockes und Hofmann swaldau der Fall ist. Im achtzehnten Jahrhundert ließ, um nur einige der bedeutendsten anzuführen, Wieland seine kleineren pro- Grenzboten IV. 18V9. 13

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/105>, abgerufen am 12.05.2024.