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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Otto Jahr.

Gedächtnißrede, gehalten im archäologischen Auditorium der Bonner Universität


von Anton Springer.

Nach längerer Trennung heute zum ersten Male wieder zu gemein¬
samen Studien vereinigt, haben wir vor Allem eine theuere Pflicht zu er¬
füllen. Wir wollen des Mannes dankbar und herzlich gedenken, der in diesen
Räumen so lange und so segensreich gewirkt und uns seitdem durch den Tod
für immer entrissen ist. Das archäologische Auditorium, von Otto Jahr
gegründet und in einer Weise eingerichtet, daß das Lernen hier zum Genusse
wie das Lehren zur Freude wird, ist die rechte Stätte, um das Andenken
des abgeschiedenen Meisters zu feiern und sein Bild uns gegenwärtig zu ge¬
stalten. Für viele Züge seines Wesens brauche ich nur Ihre Erinnerung
anzurufen. Noch leben Sie Alle unter dem Banne der letzten Eindrücke, wie
Jahr, den Seelenleid und Körperkrankheit aus einem starken Manne in die
gebrechlichste Erscheinung verwandelt hatten, wenn er Ihnen lehrend gegen¬
überstand, in seiner Pflichttreue die Kraft sich eroberte, auch große Schmerzen
zu besiegen, und den schon hinsterbenden Leib, wenn es den Dienst der
Wissenschaft galt, zu strengem Gehorsam zu zwingen. Auf Sie darf ich hin¬
weisen als unmittelbare Zeugen seiner Humanität, seines bis zur Aufopferung
bereiten Willens, allen jungen Freunden zu rathen und zu helfen. Selten
hat ein Lehrer die Liebe und Achtung der Schüler in so hohem Grade ge¬
nossen, wie sie Jahr von Ihnen und allen Ihren Vorgängern zu Theil wurde,
selten aber erfreuten sich auch Schüler eines Lehrers, welcher wie Jahr ihnen
in allen Fällen ehrliche Theilnahme und wirksamen Beistand zugewendet
hätte. Unvergessen endlich bleibt in Ihnen noch die Fülle der Gelehrsam¬
keit, welche sich in Jahn's Vorlesungen wie in seinen Schriften offenbarte
und welche ihm gestattete, zu jeder Zeit, für jede wissenschaftliche Unter¬
suchung das ganze literarische Material bereit zu halten, über dieses, und
wäre es von Hause aus auch der wuchtigsten Art, mit vollkommener Frei¬
heit und staunenswerther Leichtigkeit zu verfügen. Doch lassen Sie mich zu
diesen Zügen, welche Ihnen noch zuletzt und selbst bet flüchtigem Blicke vor


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Otto Jahr.

Gedächtnißrede, gehalten im archäologischen Auditorium der Bonner Universität


von Anton Springer.

Nach längerer Trennung heute zum ersten Male wieder zu gemein¬
samen Studien vereinigt, haben wir vor Allem eine theuere Pflicht zu er¬
füllen. Wir wollen des Mannes dankbar und herzlich gedenken, der in diesen
Räumen so lange und so segensreich gewirkt und uns seitdem durch den Tod
für immer entrissen ist. Das archäologische Auditorium, von Otto Jahr
gegründet und in einer Weise eingerichtet, daß das Lernen hier zum Genusse
wie das Lehren zur Freude wird, ist die rechte Stätte, um das Andenken
des abgeschiedenen Meisters zu feiern und sein Bild uns gegenwärtig zu ge¬
stalten. Für viele Züge seines Wesens brauche ich nur Ihre Erinnerung
anzurufen. Noch leben Sie Alle unter dem Banne der letzten Eindrücke, wie
Jahr, den Seelenleid und Körperkrankheit aus einem starken Manne in die
gebrechlichste Erscheinung verwandelt hatten, wenn er Ihnen lehrend gegen¬
überstand, in seiner Pflichttreue die Kraft sich eroberte, auch große Schmerzen
zu besiegen, und den schon hinsterbenden Leib, wenn es den Dienst der
Wissenschaft galt, zu strengem Gehorsam zu zwingen. Auf Sie darf ich hin¬
weisen als unmittelbare Zeugen seiner Humanität, seines bis zur Aufopferung
bereiten Willens, allen jungen Freunden zu rathen und zu helfen. Selten
hat ein Lehrer die Liebe und Achtung der Schüler in so hohem Grade ge¬
nossen, wie sie Jahr von Ihnen und allen Ihren Vorgängern zu Theil wurde,
selten aber erfreuten sich auch Schüler eines Lehrers, welcher wie Jahr ihnen
in allen Fällen ehrliche Theilnahme und wirksamen Beistand zugewendet
hätte. Unvergessen endlich bleibt in Ihnen noch die Fülle der Gelehrsam¬
keit, welche sich in Jahn's Vorlesungen wie in seinen Schriften offenbarte
und welche ihm gestattete, zu jeder Zeit, für jede wissenschaftliche Unter¬
suchung das ganze literarische Material bereit zu halten, über dieses, und
wäre es von Hause aus auch der wuchtigsten Art, mit vollkommener Frei¬
heit und staunenswerther Leichtigkeit zu verfügen. Doch lassen Sie mich zu
diesen Zügen, welche Ihnen noch zuletzt und selbst bet flüchtigem Blicke vor


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[0209] Otto Jahr. Gedächtnißrede, gehalten im archäologischen Auditorium der Bonner Universität von Anton Springer. Nach längerer Trennung heute zum ersten Male wieder zu gemein¬ samen Studien vereinigt, haben wir vor Allem eine theuere Pflicht zu er¬ füllen. Wir wollen des Mannes dankbar und herzlich gedenken, der in diesen Räumen so lange und so segensreich gewirkt und uns seitdem durch den Tod für immer entrissen ist. Das archäologische Auditorium, von Otto Jahr gegründet und in einer Weise eingerichtet, daß das Lernen hier zum Genusse wie das Lehren zur Freude wird, ist die rechte Stätte, um das Andenken des abgeschiedenen Meisters zu feiern und sein Bild uns gegenwärtig zu ge¬ stalten. Für viele Züge seines Wesens brauche ich nur Ihre Erinnerung anzurufen. Noch leben Sie Alle unter dem Banne der letzten Eindrücke, wie Jahr, den Seelenleid und Körperkrankheit aus einem starken Manne in die gebrechlichste Erscheinung verwandelt hatten, wenn er Ihnen lehrend gegen¬ überstand, in seiner Pflichttreue die Kraft sich eroberte, auch große Schmerzen zu besiegen, und den schon hinsterbenden Leib, wenn es den Dienst der Wissenschaft galt, zu strengem Gehorsam zu zwingen. Auf Sie darf ich hin¬ weisen als unmittelbare Zeugen seiner Humanität, seines bis zur Aufopferung bereiten Willens, allen jungen Freunden zu rathen und zu helfen. Selten hat ein Lehrer die Liebe und Achtung der Schüler in so hohem Grade ge¬ nossen, wie sie Jahr von Ihnen und allen Ihren Vorgängern zu Theil wurde, selten aber erfreuten sich auch Schüler eines Lehrers, welcher wie Jahr ihnen in allen Fällen ehrliche Theilnahme und wirksamen Beistand zugewendet hätte. Unvergessen endlich bleibt in Ihnen noch die Fülle der Gelehrsam¬ keit, welche sich in Jahn's Vorlesungen wie in seinen Schriften offenbarte und welche ihm gestattete, zu jeder Zeit, für jede wissenschaftliche Unter¬ suchung das ganze literarische Material bereit zu halten, über dieses, und wäre es von Hause aus auch der wuchtigsten Art, mit vollkommener Frei¬ heit und staunenswerther Leichtigkeit zu verfügen. Doch lassen Sie mich zu diesen Zügen, welche Ihnen noch zuletzt und selbst bet flüchtigem Blicke vor Gre»zborc» IV. 18»!>, 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/209>, abgerufen am 28.04.2024.