Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Es fragt sich aber, ob dieselben nicht dennoch allen Grund haben werden,
mit ihrer Meinung hervorzutreten und ein der Ausgleichung günstiges Ge¬
wicht in die Wagschale zu werfen. Das Scheitern dieser wichtigen Vorlage
würde jeden Falls für die gesammte Monarchie von Bedeutung sein und
schon aus diesem Grunde erscheint eine Unterscheidung zwischen direct und
blos indireet interessirten Landestheilen nicht recht stichhaltig.

Das Herrenhaus hat gleich seine erste Sitzung mit einer Jnterpellation be¬
zeichnet, deren Urheber der frühere Justizminister Graf zur Lippe war und die
davon Zeugniß ablegt, daß es auch in Preußen eineparticularistische Partei gibt.
Seine Antwort hat dieses Lebenszeichen der Unbelehrbaren (dem die un¬
erwartete Ehre einer Zustimmungsadresse durch die "Volkszeitung" zu Theil
geworden), noch vor der officiellen Abfertigung durch Dr. Leonhardt in dem
Antrage erhalten, den die Abgeordneten MiqM und Laster in das Ab¬
geordnetenhaus brachten. Auf einen Erfolg haben die interpellirenden Pairs
nicht gerechnet, -- wird ein solcher dennoch erzielt, so muß er in dem ihnen
entgegengesetzten Sinne ausfallen. Nicht minder gewiß ist es freilich, daß,
wenn Regierung und Abgeordnetenhaus sich über den Entwurf der neuen
Kreisordnung einigen sollten, das Herrenhaus sein Möglichstes thun werde,
um die Abwerfung desselben herbeizuführen. Der Partei, welche hierin den
Ausschlag gibt, gilt die Oberherrschaft der Rittergutsbesitzer in den ländlichen
Kreisen für ein unantastbares Palladium, für eines der kostbarsten historischen
Vermächtnisse. Aber eine Verwerfung der Eulenburg'schen Vorlage durch das
Herrenhaus würde der liberalen Partei vielleicht noch größere Dienste er¬
weisen, als deren amendirte Annahme durch das Abgeordnetenhaus und die
in demselben maßgebende Fracrion. -- Bevor es zu der einen oder der an¬
deren Entscheidung kommt, wird der neue Finanzminister sein Probestück
durch eine Vorlage behufs Deckung des Deficits machen. Daß Herr
Camphausen einfach die Erbschaft seines Vorgängers übernehme, ist durch den
Zeitpunkt der Verabschiedung desselben mehr wie unwahrscheinlich geworden.
Immerhin bleibt die Aufgabe, zu deren Lösung sich dieser, seit fast zwei Jahr¬
zehnten von der politischen Bühne verschwundene Märzminister anheischig
gemacht hat, eine außerordentlich schwierige. Wenn wir es auch für un¬
denkbar und unmöglich halten, daß der Virchow'sche Antrag aus Entwaffnung
der preußischen Armee angenommen werde, so bleibt doch zweifellos, daß jede
Erhöhung der Steuern zu Gunsten eines Budgets, auf welchem hauptsächlich
diese Armee lastet, außerhalb des engen Rahmens der alt-conservativen Partei
einen schweren Stand haben wird, mag der Finanzminister, der sie in Vor¬
schlag bringt, im Ruf eines blos halben oder eines ganzen Liberalismus stehen.


Verantwortliche Redacteure: Gustav Freytag u. Julius Eckurdt.
Verlag von F. Hertig. -- Druck von Hüthel K Legler in Leipzig.

Es fragt sich aber, ob dieselben nicht dennoch allen Grund haben werden,
mit ihrer Meinung hervorzutreten und ein der Ausgleichung günstiges Ge¬
wicht in die Wagschale zu werfen. Das Scheitern dieser wichtigen Vorlage
würde jeden Falls für die gesammte Monarchie von Bedeutung sein und
schon aus diesem Grunde erscheint eine Unterscheidung zwischen direct und
blos indireet interessirten Landestheilen nicht recht stichhaltig.

Das Herrenhaus hat gleich seine erste Sitzung mit einer Jnterpellation be¬
zeichnet, deren Urheber der frühere Justizminister Graf zur Lippe war und die
davon Zeugniß ablegt, daß es auch in Preußen eineparticularistische Partei gibt.
Seine Antwort hat dieses Lebenszeichen der Unbelehrbaren (dem die un¬
erwartete Ehre einer Zustimmungsadresse durch die „Volkszeitung" zu Theil
geworden), noch vor der officiellen Abfertigung durch Dr. Leonhardt in dem
Antrage erhalten, den die Abgeordneten MiqM und Laster in das Ab¬
geordnetenhaus brachten. Auf einen Erfolg haben die interpellirenden Pairs
nicht gerechnet, — wird ein solcher dennoch erzielt, so muß er in dem ihnen
entgegengesetzten Sinne ausfallen. Nicht minder gewiß ist es freilich, daß,
wenn Regierung und Abgeordnetenhaus sich über den Entwurf der neuen
Kreisordnung einigen sollten, das Herrenhaus sein Möglichstes thun werde,
um die Abwerfung desselben herbeizuführen. Der Partei, welche hierin den
Ausschlag gibt, gilt die Oberherrschaft der Rittergutsbesitzer in den ländlichen
Kreisen für ein unantastbares Palladium, für eines der kostbarsten historischen
Vermächtnisse. Aber eine Verwerfung der Eulenburg'schen Vorlage durch das
Herrenhaus würde der liberalen Partei vielleicht noch größere Dienste er¬
weisen, als deren amendirte Annahme durch das Abgeordnetenhaus und die
in demselben maßgebende Fracrion. — Bevor es zu der einen oder der an¬
deren Entscheidung kommt, wird der neue Finanzminister sein Probestück
durch eine Vorlage behufs Deckung des Deficits machen. Daß Herr
Camphausen einfach die Erbschaft seines Vorgängers übernehme, ist durch den
Zeitpunkt der Verabschiedung desselben mehr wie unwahrscheinlich geworden.
Immerhin bleibt die Aufgabe, zu deren Lösung sich dieser, seit fast zwei Jahr¬
zehnten von der politischen Bühne verschwundene Märzminister anheischig
gemacht hat, eine außerordentlich schwierige. Wenn wir es auch für un¬
denkbar und unmöglich halten, daß der Virchow'sche Antrag aus Entwaffnung
der preußischen Armee angenommen werde, so bleibt doch zweifellos, daß jede
Erhöhung der Steuern zu Gunsten eines Budgets, auf welchem hauptsächlich
diese Armee lastet, außerhalb des engen Rahmens der alt-conservativen Partei
einen schweren Stand haben wird, mag der Finanzminister, der sie in Vor¬
schlag bringt, im Ruf eines blos halben oder eines ganzen Liberalismus stehen.


Verantwortliche Redacteure: Gustav Freytag u. Julius Eckurdt.
Verlag von F. Hertig. — Druck von Hüthel K Legler in Leipzig.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0208" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/121963"/>
          <p xml:id="ID_537" prev="#ID_536"> Es fragt sich aber, ob dieselben nicht dennoch allen Grund haben werden,<lb/>
mit ihrer Meinung hervorzutreten und ein der Ausgleichung günstiges Ge¬<lb/>
wicht in die Wagschale zu werfen. Das Scheitern dieser wichtigen Vorlage<lb/>
würde jeden Falls für die gesammte Monarchie von Bedeutung sein und<lb/>
schon aus diesem Grunde erscheint eine Unterscheidung zwischen direct und<lb/>
blos indireet interessirten Landestheilen nicht recht stichhaltig.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_538"> Das Herrenhaus hat gleich seine erste Sitzung mit einer Jnterpellation be¬<lb/>
zeichnet, deren Urheber der frühere Justizminister Graf zur Lippe war und die<lb/>
davon Zeugniß ablegt, daß es auch in Preußen eineparticularistische Partei gibt.<lb/>
Seine Antwort hat dieses Lebenszeichen der Unbelehrbaren (dem die un¬<lb/>
erwartete Ehre einer Zustimmungsadresse durch die &#x201E;Volkszeitung" zu Theil<lb/>
geworden), noch vor der officiellen Abfertigung durch Dr. Leonhardt in dem<lb/>
Antrage erhalten, den die Abgeordneten MiqM und Laster in das Ab¬<lb/>
geordnetenhaus brachten. Auf einen Erfolg haben die interpellirenden Pairs<lb/>
nicht gerechnet, &#x2014; wird ein solcher dennoch erzielt, so muß er in dem ihnen<lb/>
entgegengesetzten Sinne ausfallen. Nicht minder gewiß ist es freilich, daß,<lb/>
wenn Regierung und Abgeordnetenhaus sich über den Entwurf der neuen<lb/>
Kreisordnung einigen sollten, das Herrenhaus sein Möglichstes thun werde,<lb/>
um die Abwerfung desselben herbeizuführen. Der Partei, welche hierin den<lb/>
Ausschlag gibt, gilt die Oberherrschaft der Rittergutsbesitzer in den ländlichen<lb/>
Kreisen für ein unantastbares Palladium, für eines der kostbarsten historischen<lb/>
Vermächtnisse. Aber eine Verwerfung der Eulenburg'schen Vorlage durch das<lb/>
Herrenhaus würde der liberalen Partei vielleicht noch größere Dienste er¬<lb/>
weisen, als deren amendirte Annahme durch das Abgeordnetenhaus und die<lb/>
in demselben maßgebende Fracrion. &#x2014; Bevor es zu der einen oder der an¬<lb/>
deren Entscheidung kommt, wird der neue Finanzminister sein Probestück<lb/>
durch eine Vorlage behufs Deckung des Deficits machen. Daß Herr<lb/>
Camphausen einfach die Erbschaft seines Vorgängers übernehme, ist durch den<lb/>
Zeitpunkt der Verabschiedung desselben mehr wie unwahrscheinlich geworden.<lb/>
Immerhin bleibt die Aufgabe, zu deren Lösung sich dieser, seit fast zwei Jahr¬<lb/>
zehnten von der politischen Bühne verschwundene Märzminister anheischig<lb/>
gemacht hat, eine außerordentlich schwierige. Wenn wir es auch für un¬<lb/>
denkbar und unmöglich halten, daß der Virchow'sche Antrag aus Entwaffnung<lb/>
der preußischen Armee angenommen werde, so bleibt doch zweifellos, daß jede<lb/>
Erhöhung der Steuern zu Gunsten eines Budgets, auf welchem hauptsächlich<lb/>
diese Armee lastet, außerhalb des engen Rahmens der alt-conservativen Partei<lb/>
einen schweren Stand haben wird, mag der Finanzminister, der sie in Vor¬<lb/>
schlag bringt, im Ruf eines blos halben oder eines ganzen Liberalismus stehen.</p><lb/>
          <note type="byline"> Verantwortliche Redacteure: Gustav Freytag u. Julius Eckurdt.<lb/>
Verlag von F. Hertig. &#x2014; Druck von Hüthel K Legler in Leipzig.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0208] Es fragt sich aber, ob dieselben nicht dennoch allen Grund haben werden, mit ihrer Meinung hervorzutreten und ein der Ausgleichung günstiges Ge¬ wicht in die Wagschale zu werfen. Das Scheitern dieser wichtigen Vorlage würde jeden Falls für die gesammte Monarchie von Bedeutung sein und schon aus diesem Grunde erscheint eine Unterscheidung zwischen direct und blos indireet interessirten Landestheilen nicht recht stichhaltig. Das Herrenhaus hat gleich seine erste Sitzung mit einer Jnterpellation be¬ zeichnet, deren Urheber der frühere Justizminister Graf zur Lippe war und die davon Zeugniß ablegt, daß es auch in Preußen eineparticularistische Partei gibt. Seine Antwort hat dieses Lebenszeichen der Unbelehrbaren (dem die un¬ erwartete Ehre einer Zustimmungsadresse durch die „Volkszeitung" zu Theil geworden), noch vor der officiellen Abfertigung durch Dr. Leonhardt in dem Antrage erhalten, den die Abgeordneten MiqM und Laster in das Ab¬ geordnetenhaus brachten. Auf einen Erfolg haben die interpellirenden Pairs nicht gerechnet, — wird ein solcher dennoch erzielt, so muß er in dem ihnen entgegengesetzten Sinne ausfallen. Nicht minder gewiß ist es freilich, daß, wenn Regierung und Abgeordnetenhaus sich über den Entwurf der neuen Kreisordnung einigen sollten, das Herrenhaus sein Möglichstes thun werde, um die Abwerfung desselben herbeizuführen. Der Partei, welche hierin den Ausschlag gibt, gilt die Oberherrschaft der Rittergutsbesitzer in den ländlichen Kreisen für ein unantastbares Palladium, für eines der kostbarsten historischen Vermächtnisse. Aber eine Verwerfung der Eulenburg'schen Vorlage durch das Herrenhaus würde der liberalen Partei vielleicht noch größere Dienste er¬ weisen, als deren amendirte Annahme durch das Abgeordnetenhaus und die in demselben maßgebende Fracrion. — Bevor es zu der einen oder der an¬ deren Entscheidung kommt, wird der neue Finanzminister sein Probestück durch eine Vorlage behufs Deckung des Deficits machen. Daß Herr Camphausen einfach die Erbschaft seines Vorgängers übernehme, ist durch den Zeitpunkt der Verabschiedung desselben mehr wie unwahrscheinlich geworden. Immerhin bleibt die Aufgabe, zu deren Lösung sich dieser, seit fast zwei Jahr¬ zehnten von der politischen Bühne verschwundene Märzminister anheischig gemacht hat, eine außerordentlich schwierige. Wenn wir es auch für un¬ denkbar und unmöglich halten, daß der Virchow'sche Antrag aus Entwaffnung der preußischen Armee angenommen werde, so bleibt doch zweifellos, daß jede Erhöhung der Steuern zu Gunsten eines Budgets, auf welchem hauptsächlich diese Armee lastet, außerhalb des engen Rahmens der alt-conservativen Partei einen schweren Stand haben wird, mag der Finanzminister, der sie in Vor¬ schlag bringt, im Ruf eines blos halben oder eines ganzen Liberalismus stehen. Verantwortliche Redacteure: Gustav Freytag u. Julius Eckurdt. Verlag von F. Hertig. — Druck von Hüthel K Legler in Leipzig.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/208
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/208>, abgerufen am 13.05.2024.