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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Wie Errichtung eines Staatsgerichtshoscs für den norddeutschen Sund.

Ueber die Competenz der Bundesgewalt und die Mittel, dieselbe zu er¬
weitern, resp, in ihren Schranken zu halten, ist gerade in der jüngsten Zeit
soviel geredet und geschrieben, daß es den Lesern dieser Blätter wahrlich zu¬
viel zumuthen hieße, wollten wir sie auch noch mit denjenigen Argumenten
unterhalten, die am 12. November d. I. auf dem mecklenburgischen Landtag
zu Sternberg von dem Bürgermeister Pohle-Schwerin vorgebracht wurden,
um die Inkompetenz des Bundes zur Errichtung des Oberhandelsgerichts¬
hofes zu Leipzig darzuthun und die Stände zu veranlassen, zur Wahrung
ihrer Rechte bei der Landesregierung Protest einzulegen.

Bei den bekannten Tendenzen der mecklenburgischen Stände war voraus¬
zusehen, daß die vom Grafen zur Lippe und Genossen im preußischen Herren¬
hause in dieser Beziehung vorgebrachten Klagen im Ständesaal widerhallen
würden, umsomehr, als der Engere Ausschuß der Ritter- und Landschaft
bereits unterm 30. April d. I. -- wie freilich jetzt erst bekannt geworden --
an beide Großherzoge den Antrag gerichtet hatte, daß der mecklenburgische
Bevollmächtigte zum Bundesrath instruirt werden möge, gegen die Errich¬
tung des Leipziger Gerichtshofes zu stimmen. Aber ehe noch die Stände
über die desfallsige Mittheilung ihres Engern Ausschusses Beschluß gefaßt
hatten, gab der Bürgermeister Pohle, in der für selbständige Anträge der
Ständemitglieder üblichen Weise, ein "Dictamen" zum Landtagsprotocoll,
in welchem er die Gründe für die Verfassungswidrigkeit des Leipziger Tri¬
bunals des Weitern entwickelte und damit den Antrag verband, bei den Landes¬
herren dagegen zu Protestiren, daß der mecklenburgische Vertreter im Bundes¬
rath für das betreffende Bundesgesetz gestimmt habe; (ob dies geschehen,
darüber waren die Stände im Lauf der Debatte nicht einig, wir meinen uns mit
Sicherheit zu erinnern, daß Mecklenburg auf Seitender Minorität stimmte).
Das Recht zu solchem Proteste leitete Bürgermeister Pohle aus den Zusicherungen
ab, welche den Ständen bei Annahme der Bundesverfassung ertheilt seien,
daß nämlich ohne ihr vorgängiges Gehör Mecklenburg keinen Veränderungen
der Bundesverfassung zustimmen wolle. Wie dieser Protest materiell begrün¬
det wurde, darauf wollen wir, wie gesagt, des Näheren nicht eingehen,
sondern nur beiläufig bemerken, daß Pohle dem norddeutschen Bunde das
Recht abspricht, aus §. 78 der Bundesverfassung seine Competenz selbst zu
erweitern, daß es hierzu vielmehr neuer Verträge unter den einzelnen Bun¬
desstaaten bedürfe, daß also auch für die außer der verfassungsmäßigen
Competenz liegende Errichtung des obersten Handelsgerichts die Majorität
von 2/z der im Bundesrath vertretenen Stimmen nicht genügt habe, mithin


Wie Errichtung eines Staatsgerichtshoscs für den norddeutschen Sund.

Ueber die Competenz der Bundesgewalt und die Mittel, dieselbe zu er¬
weitern, resp, in ihren Schranken zu halten, ist gerade in der jüngsten Zeit
soviel geredet und geschrieben, daß es den Lesern dieser Blätter wahrlich zu¬
viel zumuthen hieße, wollten wir sie auch noch mit denjenigen Argumenten
unterhalten, die am 12. November d. I. auf dem mecklenburgischen Landtag
zu Sternberg von dem Bürgermeister Pohle-Schwerin vorgebracht wurden,
um die Inkompetenz des Bundes zur Errichtung des Oberhandelsgerichts¬
hofes zu Leipzig darzuthun und die Stände zu veranlassen, zur Wahrung
ihrer Rechte bei der Landesregierung Protest einzulegen.

Bei den bekannten Tendenzen der mecklenburgischen Stände war voraus¬
zusehen, daß die vom Grafen zur Lippe und Genossen im preußischen Herren¬
hause in dieser Beziehung vorgebrachten Klagen im Ständesaal widerhallen
würden, umsomehr, als der Engere Ausschuß der Ritter- und Landschaft
bereits unterm 30. April d. I. — wie freilich jetzt erst bekannt geworden —
an beide Großherzoge den Antrag gerichtet hatte, daß der mecklenburgische
Bevollmächtigte zum Bundesrath instruirt werden möge, gegen die Errich¬
tung des Leipziger Gerichtshofes zu stimmen. Aber ehe noch die Stände
über die desfallsige Mittheilung ihres Engern Ausschusses Beschluß gefaßt
hatten, gab der Bürgermeister Pohle, in der für selbständige Anträge der
Ständemitglieder üblichen Weise, ein „Dictamen" zum Landtagsprotocoll,
in welchem er die Gründe für die Verfassungswidrigkeit des Leipziger Tri¬
bunals des Weitern entwickelte und damit den Antrag verband, bei den Landes¬
herren dagegen zu Protestiren, daß der mecklenburgische Vertreter im Bundes¬
rath für das betreffende Bundesgesetz gestimmt habe; (ob dies geschehen,
darüber waren die Stände im Lauf der Debatte nicht einig, wir meinen uns mit
Sicherheit zu erinnern, daß Mecklenburg auf Seitender Minorität stimmte).
Das Recht zu solchem Proteste leitete Bürgermeister Pohle aus den Zusicherungen
ab, welche den Ständen bei Annahme der Bundesverfassung ertheilt seien,
daß nämlich ohne ihr vorgängiges Gehör Mecklenburg keinen Veränderungen
der Bundesverfassung zustimmen wolle. Wie dieser Protest materiell begrün¬
det wurde, darauf wollen wir, wie gesagt, des Näheren nicht eingehen,
sondern nur beiläufig bemerken, daß Pohle dem norddeutschen Bunde das
Recht abspricht, aus §. 78 der Bundesverfassung seine Competenz selbst zu
erweitern, daß es hierzu vielmehr neuer Verträge unter den einzelnen Bun¬
desstaaten bedürfe, daß also auch für die außer der verfassungsmäßigen
Competenz liegende Errichtung des obersten Handelsgerichts die Majorität
von 2/z der im Bundesrath vertretenen Stimmen nicht genügt habe, mithin


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[0350] Wie Errichtung eines Staatsgerichtshoscs für den norddeutschen Sund. Ueber die Competenz der Bundesgewalt und die Mittel, dieselbe zu er¬ weitern, resp, in ihren Schranken zu halten, ist gerade in der jüngsten Zeit soviel geredet und geschrieben, daß es den Lesern dieser Blätter wahrlich zu¬ viel zumuthen hieße, wollten wir sie auch noch mit denjenigen Argumenten unterhalten, die am 12. November d. I. auf dem mecklenburgischen Landtag zu Sternberg von dem Bürgermeister Pohle-Schwerin vorgebracht wurden, um die Inkompetenz des Bundes zur Errichtung des Oberhandelsgerichts¬ hofes zu Leipzig darzuthun und die Stände zu veranlassen, zur Wahrung ihrer Rechte bei der Landesregierung Protest einzulegen. Bei den bekannten Tendenzen der mecklenburgischen Stände war voraus¬ zusehen, daß die vom Grafen zur Lippe und Genossen im preußischen Herren¬ hause in dieser Beziehung vorgebrachten Klagen im Ständesaal widerhallen würden, umsomehr, als der Engere Ausschuß der Ritter- und Landschaft bereits unterm 30. April d. I. — wie freilich jetzt erst bekannt geworden — an beide Großherzoge den Antrag gerichtet hatte, daß der mecklenburgische Bevollmächtigte zum Bundesrath instruirt werden möge, gegen die Errich¬ tung des Leipziger Gerichtshofes zu stimmen. Aber ehe noch die Stände über die desfallsige Mittheilung ihres Engern Ausschusses Beschluß gefaßt hatten, gab der Bürgermeister Pohle, in der für selbständige Anträge der Ständemitglieder üblichen Weise, ein „Dictamen" zum Landtagsprotocoll, in welchem er die Gründe für die Verfassungswidrigkeit des Leipziger Tri¬ bunals des Weitern entwickelte und damit den Antrag verband, bei den Landes¬ herren dagegen zu Protestiren, daß der mecklenburgische Vertreter im Bundes¬ rath für das betreffende Bundesgesetz gestimmt habe; (ob dies geschehen, darüber waren die Stände im Lauf der Debatte nicht einig, wir meinen uns mit Sicherheit zu erinnern, daß Mecklenburg auf Seitender Minorität stimmte). Das Recht zu solchem Proteste leitete Bürgermeister Pohle aus den Zusicherungen ab, welche den Ständen bei Annahme der Bundesverfassung ertheilt seien, daß nämlich ohne ihr vorgängiges Gehör Mecklenburg keinen Veränderungen der Bundesverfassung zustimmen wolle. Wie dieser Protest materiell begrün¬ det wurde, darauf wollen wir, wie gesagt, des Näheren nicht eingehen, sondern nur beiläufig bemerken, daß Pohle dem norddeutschen Bunde das Recht abspricht, aus §. 78 der Bundesverfassung seine Competenz selbst zu erweitern, daß es hierzu vielmehr neuer Verträge unter den einzelnen Bun¬ desstaaten bedürfe, daß also auch für die außer der verfassungsmäßigen Competenz liegende Errichtung des obersten Handelsgerichts die Majorität von 2/z der im Bundesrath vertretenen Stimmen nicht genügt habe, mithin

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/350>, abgerufen am 28.04.2024.