Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Man mochte wohl denken, hierzu um so eher die Bestätigung des Senats
zu erlangen, als derselbe früher der Stephani-Gemeinde gleichartige Be¬
dingungen einer zukünftigen Mehrheit an statutarische Beschränkungen ihres
Wahlrechts hatte passiren lassen. Allein man hatte sich doch in dem Senat
geirrt. Er ließ sich nicht in der Schlinge falscher Consequenz fangen, son¬
dern erklärte geradezu, neuerliche Vorgänge -- d. h. die Schwalb'schen Hän¬
del -- hätten ihm die Ueberzeugung aufgedrungen, es sei besser, solchen Mi߬
bräuchen des gemeindlichen Selbstbestimmungsrechts zum Schaden der eigenen
Freiheit zu wehren. Er gebrauchte folglich seine absolute Gewalt, um Lehr¬
freiheit und Wahlfreiheit sogar gegen freiwillige Selbstbeschränkung einer
verfassunggebenden Gemeindemehrheit in Schutz zu nehmen. Würdiger kann
dieses überlebte alte Recht heutzutage nicht benutzt werden. Wenn es der
freien Kirche der Zukunft gesicherte Lehrfreiheit als seine Mitgift in die
Wiege legt, so hat es einen Abschied von der Welt genommen, wie nicht
viele ähnliche veraltete Vorrechte.




Briefe vom preußischen Landtag II.

Als das bedeutendste parlamentarische Ereigniß der letzten Woche wird
von allen Freunden der nationalen Sache die Annahme des MiquebLasker'-
schen Antrages auf Ausdehnung der Bundescompetenz über das gesammte
bürgerliche Recht betrachtet. Schon durch das Votum des Herrenhauses in
Betreff des Lippe'schen Antrages war die Niederlage des specifisch-preußischen
Particularismus constatirt worden. Leider hatte jedoch die von dieser Seite
ausgegangene Agitation außerhalb Preußens sofort ihre Wirkung gethan und
ein erneutes Sturmlaufen gegen die Bundesinstitutionen veranlaßt. Die
Majorität, mit der im Herrenhause der Uebergang zur Tagesordnung be¬
schlossen wurde, war überdies nur eine geringe gewesen, und der Eindruck
dieses Beschlusses wurde noch dadurch abgeschwächt, daß man hinterher von
einer durch den Bundeskanzler auf die Abstimmung ausgeübten Pression
erfuhr. Es war dem gegenüber von um so größerer Wichtigkeit, daß das
preußische Abgeordnetenhaus seinerseits ein deutliches Zeugniß dafür ablegte,
daß es zu der Gesetzgebung des Bundes Vertrauen hegt und daß es nicht
gesonnen ist, aus Gründen particularistischer Eifersucht das dem Bunde
durch seine Verfassung verbürgte Recht der Competenzcrweiterung zu be-
streiten.


50*

Man mochte wohl denken, hierzu um so eher die Bestätigung des Senats
zu erlangen, als derselbe früher der Stephani-Gemeinde gleichartige Be¬
dingungen einer zukünftigen Mehrheit an statutarische Beschränkungen ihres
Wahlrechts hatte passiren lassen. Allein man hatte sich doch in dem Senat
geirrt. Er ließ sich nicht in der Schlinge falscher Consequenz fangen, son¬
dern erklärte geradezu, neuerliche Vorgänge — d. h. die Schwalb'schen Hän¬
del — hätten ihm die Ueberzeugung aufgedrungen, es sei besser, solchen Mi߬
bräuchen des gemeindlichen Selbstbestimmungsrechts zum Schaden der eigenen
Freiheit zu wehren. Er gebrauchte folglich seine absolute Gewalt, um Lehr¬
freiheit und Wahlfreiheit sogar gegen freiwillige Selbstbeschränkung einer
verfassunggebenden Gemeindemehrheit in Schutz zu nehmen. Würdiger kann
dieses überlebte alte Recht heutzutage nicht benutzt werden. Wenn es der
freien Kirche der Zukunft gesicherte Lehrfreiheit als seine Mitgift in die
Wiege legt, so hat es einen Abschied von der Welt genommen, wie nicht
viele ähnliche veraltete Vorrechte.




Briefe vom preußischen Landtag II.

Als das bedeutendste parlamentarische Ereigniß der letzten Woche wird
von allen Freunden der nationalen Sache die Annahme des MiquebLasker'-
schen Antrages auf Ausdehnung der Bundescompetenz über das gesammte
bürgerliche Recht betrachtet. Schon durch das Votum des Herrenhauses in
Betreff des Lippe'schen Antrages war die Niederlage des specifisch-preußischen
Particularismus constatirt worden. Leider hatte jedoch die von dieser Seite
ausgegangene Agitation außerhalb Preußens sofort ihre Wirkung gethan und
ein erneutes Sturmlaufen gegen die Bundesinstitutionen veranlaßt. Die
Majorität, mit der im Herrenhause der Uebergang zur Tagesordnung be¬
schlossen wurde, war überdies nur eine geringe gewesen, und der Eindruck
dieses Beschlusses wurde noch dadurch abgeschwächt, daß man hinterher von
einer durch den Bundeskanzler auf die Abstimmung ausgeübten Pression
erfuhr. Es war dem gegenüber von um so größerer Wichtigkeit, daß das
preußische Abgeordnetenhaus seinerseits ein deutliches Zeugniß dafür ablegte,
daß es zu der Gesetzgebung des Bundes Vertrauen hegt und daß es nicht
gesonnen ist, aus Gründen particularistischer Eifersucht das dem Bunde
durch seine Verfassung verbürgte Recht der Competenzcrweiterung zu be-
streiten.


50*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0403" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/122158"/>
          <p xml:id="ID_1118" prev="#ID_1117"> Man mochte wohl denken, hierzu um so eher die Bestätigung des Senats<lb/>
zu erlangen, als derselbe früher der Stephani-Gemeinde gleichartige Be¬<lb/>
dingungen einer zukünftigen Mehrheit an statutarische Beschränkungen ihres<lb/>
Wahlrechts hatte passiren lassen. Allein man hatte sich doch in dem Senat<lb/>
geirrt. Er ließ sich nicht in der Schlinge falscher Consequenz fangen, son¬<lb/>
dern erklärte geradezu, neuerliche Vorgänge &#x2014; d. h. die Schwalb'schen Hän¬<lb/>
del &#x2014; hätten ihm die Ueberzeugung aufgedrungen, es sei besser, solchen Mi߬<lb/>
bräuchen des gemeindlichen Selbstbestimmungsrechts zum Schaden der eigenen<lb/>
Freiheit zu wehren. Er gebrauchte folglich seine absolute Gewalt, um Lehr¬<lb/>
freiheit und Wahlfreiheit sogar gegen freiwillige Selbstbeschränkung einer<lb/>
verfassunggebenden Gemeindemehrheit in Schutz zu nehmen. Würdiger kann<lb/>
dieses überlebte alte Recht heutzutage nicht benutzt werden. Wenn es der<lb/>
freien Kirche der Zukunft gesicherte Lehrfreiheit als seine Mitgift in die<lb/>
Wiege legt, so hat es einen Abschied von der Welt genommen, wie nicht<lb/>
viele ähnliche veraltete Vorrechte.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Briefe vom preußischen Landtag II.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1119"> Als das bedeutendste parlamentarische Ereigniß der letzten Woche wird<lb/>
von allen Freunden der nationalen Sache die Annahme des MiquebLasker'-<lb/>
schen Antrages auf Ausdehnung der Bundescompetenz über das gesammte<lb/>
bürgerliche Recht betrachtet. Schon durch das Votum des Herrenhauses in<lb/>
Betreff des Lippe'schen Antrages war die Niederlage des specifisch-preußischen<lb/>
Particularismus constatirt worden. Leider hatte jedoch die von dieser Seite<lb/>
ausgegangene Agitation außerhalb Preußens sofort ihre Wirkung gethan und<lb/>
ein erneutes Sturmlaufen gegen die Bundesinstitutionen veranlaßt. Die<lb/>
Majorität, mit der im Herrenhause der Uebergang zur Tagesordnung be¬<lb/>
schlossen wurde, war überdies nur eine geringe gewesen, und der Eindruck<lb/>
dieses Beschlusses wurde noch dadurch abgeschwächt, daß man hinterher von<lb/>
einer durch den Bundeskanzler auf die Abstimmung ausgeübten Pression<lb/>
erfuhr. Es war dem gegenüber von um so größerer Wichtigkeit, daß das<lb/>
preußische Abgeordnetenhaus seinerseits ein deutliches Zeugniß dafür ablegte,<lb/>
daß es zu der Gesetzgebung des Bundes Vertrauen hegt und daß es nicht<lb/>
gesonnen ist, aus Gründen particularistischer Eifersucht das dem Bunde<lb/>
durch seine Verfassung verbürgte Recht der Competenzcrweiterung zu be-<lb/>
streiten.</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 50*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0403] Man mochte wohl denken, hierzu um so eher die Bestätigung des Senats zu erlangen, als derselbe früher der Stephani-Gemeinde gleichartige Be¬ dingungen einer zukünftigen Mehrheit an statutarische Beschränkungen ihres Wahlrechts hatte passiren lassen. Allein man hatte sich doch in dem Senat geirrt. Er ließ sich nicht in der Schlinge falscher Consequenz fangen, son¬ dern erklärte geradezu, neuerliche Vorgänge — d. h. die Schwalb'schen Hän¬ del — hätten ihm die Ueberzeugung aufgedrungen, es sei besser, solchen Mi߬ bräuchen des gemeindlichen Selbstbestimmungsrechts zum Schaden der eigenen Freiheit zu wehren. Er gebrauchte folglich seine absolute Gewalt, um Lehr¬ freiheit und Wahlfreiheit sogar gegen freiwillige Selbstbeschränkung einer verfassunggebenden Gemeindemehrheit in Schutz zu nehmen. Würdiger kann dieses überlebte alte Recht heutzutage nicht benutzt werden. Wenn es der freien Kirche der Zukunft gesicherte Lehrfreiheit als seine Mitgift in die Wiege legt, so hat es einen Abschied von der Welt genommen, wie nicht viele ähnliche veraltete Vorrechte. Briefe vom preußischen Landtag II. Als das bedeutendste parlamentarische Ereigniß der letzten Woche wird von allen Freunden der nationalen Sache die Annahme des MiquebLasker'- schen Antrages auf Ausdehnung der Bundescompetenz über das gesammte bürgerliche Recht betrachtet. Schon durch das Votum des Herrenhauses in Betreff des Lippe'schen Antrages war die Niederlage des specifisch-preußischen Particularismus constatirt worden. Leider hatte jedoch die von dieser Seite ausgegangene Agitation außerhalb Preußens sofort ihre Wirkung gethan und ein erneutes Sturmlaufen gegen die Bundesinstitutionen veranlaßt. Die Majorität, mit der im Herrenhause der Uebergang zur Tagesordnung be¬ schlossen wurde, war überdies nur eine geringe gewesen, und der Eindruck dieses Beschlusses wurde noch dadurch abgeschwächt, daß man hinterher von einer durch den Bundeskanzler auf die Abstimmung ausgeübten Pression erfuhr. Es war dem gegenüber von um so größerer Wichtigkeit, daß das preußische Abgeordnetenhaus seinerseits ein deutliches Zeugniß dafür ablegte, daß es zu der Gesetzgebung des Bundes Vertrauen hegt und daß es nicht gesonnen ist, aus Gründen particularistischer Eifersucht das dem Bunde durch seine Verfassung verbürgte Recht der Competenzcrweiterung zu be- streiten. 50*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/403
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/403>, abgerufen am 27.04.2024.