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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Mit ganz besonderer Freude haben wir davon Act genommen, daß in
diesem Falle auch die Fortschrittspartei sich durch ihre Abstimmung wenigstens
thatsächlich auf die Seite der Nationalliberalen gestellt hat. In allge¬
meinerem Sinne ist leider von einer Annäherung dieser Partei und von einer
definitiven und ehrlichen Aussöhnung derselben mit der nationalen Politik
und ihren Zielen noch nichts zu merken. Den inneren Widerspruch, in dem
sie sich von vornherein zu dem durch das Jahr 1866 herbeigeführten Einheits¬
werke befand, das inconsequente Schwanken zwischen halber Anerkennung und
und zwischen heimlichem Groll vermag sie auch jetzt noch nicht völlig zu über¬
winden, und ihre Organe fahren fM, die Nationalliberalen in der bekannten
Weise zu verlästern und mit den Bundesorganen zu schmollen. Doch sollte
man meinen, daß die Elemente, aus denen sich die Armee der BundeSfeind-
lichen zusammensetzt, eine deutliche Warnung enthielten und darüber auf¬
klären müßten, auf welcher Seite denn wirklich die ernstlichsten Gefahren für
die Freiheit lägen. Wenn sich außerhalb Preußens die ungesundesten Koa¬
litionen bilden, so ist es eben der Preußenhaß, der die verschiedenen Interessen
einigt und die Gemüther gegen den Bund allarmirt. In Preußen selbst
wären solche Parteicombinationen ebenso unhaltbar, wie eine künstlich genährte
Opposition gegen die Bundesverfassung erfolglos bleiben muß. Wenn wir
die "Volkszeitung" auch wirklich hin und wieder auf gleichen Pfaden mit
der "Kreuzzeitung" ertappen, und die enragirtesten Fortschrittler Verrath
schreien, wo die Feudalen ihre theuersten Vorrechte gefährdet glauben:
auf die Dauer ist der sichere Jnstinct des Volkes durch eine solche Ver¬
schiebung der Gegensätze nicht zu täuschen. Die Solidarität des preußischen
Staates und des norddeutschen Bundes ist in sich zu fest begründet, die
realen Interessen Beider sind zu sehr dieselben, als daß der Glaube an einen
wirklichen Gegensatz zwischen Beiden ernstlich Platz greifen könnte. Am
wenigsten wird man sich durch die Art von patriotischem Preußenthum düpiren
lassen, worin Herr Windthorst seinen Particularismus zu kleiden diesmal für
gut fand. Wir haben allen Respect vor der parlamentarischen Taetik und
Gewandtheit des Abgeordneten für Meppen. Er hat schon im Reichstage
die Losung zu der heurigen particularistischen Fehde gegeben und darf sicher¬
lich auch für den eigentlichen Vater des Lippeschen Antrages gelten. Er ist
überhaupt in allen Sätteln gewiegt und versteht es, die Waffen und die
Kampfart nach der jedesmaligen Beschaffenheit des Terrains zu bemessen.
Aber diese neuste Maske stand ihm denn doch etwas schlecht zu Gesicht.
Sie hat denn wenigstens auch im Hause Niemanden getäuscht und die
Kammer nicht verhindern können, mit überwiegender Majorität ihre na¬
tionale Gesinnung auszusprechen. Es kann den Werth dieser Kundgebung
nicht beeinträchtigen, wenn darin in der That die Absicht eines "Contrecoups"


Mit ganz besonderer Freude haben wir davon Act genommen, daß in
diesem Falle auch die Fortschrittspartei sich durch ihre Abstimmung wenigstens
thatsächlich auf die Seite der Nationalliberalen gestellt hat. In allge¬
meinerem Sinne ist leider von einer Annäherung dieser Partei und von einer
definitiven und ehrlichen Aussöhnung derselben mit der nationalen Politik
und ihren Zielen noch nichts zu merken. Den inneren Widerspruch, in dem
sie sich von vornherein zu dem durch das Jahr 1866 herbeigeführten Einheits¬
werke befand, das inconsequente Schwanken zwischen halber Anerkennung und
und zwischen heimlichem Groll vermag sie auch jetzt noch nicht völlig zu über¬
winden, und ihre Organe fahren fM, die Nationalliberalen in der bekannten
Weise zu verlästern und mit den Bundesorganen zu schmollen. Doch sollte
man meinen, daß die Elemente, aus denen sich die Armee der BundeSfeind-
lichen zusammensetzt, eine deutliche Warnung enthielten und darüber auf¬
klären müßten, auf welcher Seite denn wirklich die ernstlichsten Gefahren für
die Freiheit lägen. Wenn sich außerhalb Preußens die ungesundesten Koa¬
litionen bilden, so ist es eben der Preußenhaß, der die verschiedenen Interessen
einigt und die Gemüther gegen den Bund allarmirt. In Preußen selbst
wären solche Parteicombinationen ebenso unhaltbar, wie eine künstlich genährte
Opposition gegen die Bundesverfassung erfolglos bleiben muß. Wenn wir
die „Volkszeitung" auch wirklich hin und wieder auf gleichen Pfaden mit
der „Kreuzzeitung" ertappen, und die enragirtesten Fortschrittler Verrath
schreien, wo die Feudalen ihre theuersten Vorrechte gefährdet glauben:
auf die Dauer ist der sichere Jnstinct des Volkes durch eine solche Ver¬
schiebung der Gegensätze nicht zu täuschen. Die Solidarität des preußischen
Staates und des norddeutschen Bundes ist in sich zu fest begründet, die
realen Interessen Beider sind zu sehr dieselben, als daß der Glaube an einen
wirklichen Gegensatz zwischen Beiden ernstlich Platz greifen könnte. Am
wenigsten wird man sich durch die Art von patriotischem Preußenthum düpiren
lassen, worin Herr Windthorst seinen Particularismus zu kleiden diesmal für
gut fand. Wir haben allen Respect vor der parlamentarischen Taetik und
Gewandtheit des Abgeordneten für Meppen. Er hat schon im Reichstage
die Losung zu der heurigen particularistischen Fehde gegeben und darf sicher¬
lich auch für den eigentlichen Vater des Lippeschen Antrages gelten. Er ist
überhaupt in allen Sätteln gewiegt und versteht es, die Waffen und die
Kampfart nach der jedesmaligen Beschaffenheit des Terrains zu bemessen.
Aber diese neuste Maske stand ihm denn doch etwas schlecht zu Gesicht.
Sie hat denn wenigstens auch im Hause Niemanden getäuscht und die
Kammer nicht verhindern können, mit überwiegender Majorität ihre na¬
tionale Gesinnung auszusprechen. Es kann den Werth dieser Kundgebung
nicht beeinträchtigen, wenn darin in der That die Absicht eines „Contrecoups"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/404>, abgerufen am 12.05.2024.