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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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gnug des Werks von 1866 auch beim besten Willen nicht imputirt werden
kann. Auch ohne Optimist zu sein kann man in diesem Vorgang typische
Bedeutung nachweisen: je deutlicher sich die Partei, welche bisher für die
nächste Bundesgenossin des Grafen Bismarck zu gelten den Anspruch machte,
sich von der nationalen Politik des Bundeskanzlers lossagt, desto zahlreicher
werden die Vertreter der Demokratie, die sich von der Gemeinschaft mit der"
selben nicht länger fern halten können.




Neue Kunstblätter.
Album der Casseler Gallerie. 12 Photographien nach Kreidezeichnungen
mit Text von Merkel, und
Rembrandt-Album, Photogr. nach Kreidezeichnung. Text von Prof. Friedr. Müller.
Cassel. Verlag von Theodor Kab.

Die Casseler Gemälde-Gallerie war bis vor wenig Jahren -- und galt aller¬
dings in noch höherem Grade dafür, als sie es war -- ein Buch mit sieben Sie¬
geln, ein Dornröschen mitten in unserer nüchternen und aufgeweckten Zeit. Erst der
kasZö-xArtout-Schlüssel (oder sagen wir Dietrich?), der die eigenthümliche Form eines
Schwertes hat, will sage"! die preußische Occupation, öffnete die Säle in Cassel dem
Volke und gab dieser herrlichen Sammlung von Gemälden ihre "eigenthümlichste Be¬
rechtigung" zurück, -- gesehen zu werden. Denn vordem waren sie -- nicht
unähnlich den Goethezimmern in Weimar -- von inhumaner Willkür in Sequester
gehalten worden. Wie es im Staatslexikon der deutschen Duodezdespoten des vorigen
Jahrhunderts eine ganze Reihe "Leib-Chargen" gab, so gab es in Cassel bis Anno 66
gewissermaßen auch nur eine kurfürstliche "Leib-Bildergallerie", einen "Leib-Rembrandt",
"Leib-Tizian", "Leib-Van-Dyck" und so weiter. Nach Beseitigung dieser Corporal-
zucht der Kunst tritt nun in verschiedenen Gestalten das Bemühen auf, das große
deutsche Publicum zum Genusse der fast weihnachtsartigen Bescherung einzuladen, und
zu den löblichen Unternehmungen der Art gehören die Bilder-Hefte, welche die Ver¬
lagshandlung von Th. Kab in Cassel unter dem Titel von Albums der Casseler
Gallerie und der Rembrandt-Sammlung herausgegeben hat. Mehrere ähnliche gehen
denselben zur Seite: Eines, welches mehr auf den Kreis der Kunstforscher berechnet,
die bedeutendsten Gemälde in Originalphotographien wiedergibt, ein zweites (vom Ver¬
leger der Zeitschrift für bildende Kunst angekündigt), bietet ausgezeichnete Radirungen
von W. Unger, besonders nach den hervorragendsten holländischen Meistern, die in
Cassel vertreten sind. In den obengenannten Albums, welche einander dergestalt er-


gnug des Werks von 1866 auch beim besten Willen nicht imputirt werden
kann. Auch ohne Optimist zu sein kann man in diesem Vorgang typische
Bedeutung nachweisen: je deutlicher sich die Partei, welche bisher für die
nächste Bundesgenossin des Grafen Bismarck zu gelten den Anspruch machte,
sich von der nationalen Politik des Bundeskanzlers lossagt, desto zahlreicher
werden die Vertreter der Demokratie, die sich von der Gemeinschaft mit der«
selben nicht länger fern halten können.




Neue Kunstblätter.
Album der Casseler Gallerie. 12 Photographien nach Kreidezeichnungen
mit Text von Merkel, und
Rembrandt-Album, Photogr. nach Kreidezeichnung. Text von Prof. Friedr. Müller.
Cassel. Verlag von Theodor Kab.

Die Casseler Gemälde-Gallerie war bis vor wenig Jahren — und galt aller¬
dings in noch höherem Grade dafür, als sie es war — ein Buch mit sieben Sie¬
geln, ein Dornröschen mitten in unserer nüchternen und aufgeweckten Zeit. Erst der
kasZö-xArtout-Schlüssel (oder sagen wir Dietrich?), der die eigenthümliche Form eines
Schwertes hat, will sage»! die preußische Occupation, öffnete die Säle in Cassel dem
Volke und gab dieser herrlichen Sammlung von Gemälden ihre „eigenthümlichste Be¬
rechtigung" zurück, — gesehen zu werden. Denn vordem waren sie — nicht
unähnlich den Goethezimmern in Weimar — von inhumaner Willkür in Sequester
gehalten worden. Wie es im Staatslexikon der deutschen Duodezdespoten des vorigen
Jahrhunderts eine ganze Reihe „Leib-Chargen" gab, so gab es in Cassel bis Anno 66
gewissermaßen auch nur eine kurfürstliche „Leib-Bildergallerie", einen „Leib-Rembrandt",
„Leib-Tizian", „Leib-Van-Dyck" und so weiter. Nach Beseitigung dieser Corporal-
zucht der Kunst tritt nun in verschiedenen Gestalten das Bemühen auf, das große
deutsche Publicum zum Genusse der fast weihnachtsartigen Bescherung einzuladen, und
zu den löblichen Unternehmungen der Art gehören die Bilder-Hefte, welche die Ver¬
lagshandlung von Th. Kab in Cassel unter dem Titel von Albums der Casseler
Gallerie und der Rembrandt-Sammlung herausgegeben hat. Mehrere ähnliche gehen
denselben zur Seite: Eines, welches mehr auf den Kreis der Kunstforscher berechnet,
die bedeutendsten Gemälde in Originalphotographien wiedergibt, ein zweites (vom Ver¬
leger der Zeitschrift für bildende Kunst angekündigt), bietet ausgezeichnete Radirungen
von W. Unger, besonders nach den hervorragendsten holländischen Meistern, die in
Cassel vertreten sind. In den obengenannten Albums, welche einander dergestalt er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/447>, abgerufen am 28.04.2024.