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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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keine der Abänderungen, welche das Haus an seiner Bill vorgenommen,
für schlechterdings unannehmbar erklärt hat. Auch das Schicksal des Camp-
hciusenschen Finanzplans ist noch nicht entschieden, aber die Aussichten für
Annahme desselben mehren sich täglich. Zu diesen Aussichten muß entschie¬
den gerechnet werden, daß die extremen Parteien auf beiden Seiten des
Hauses sich gegen die Consolidation der Staatsschulden erklärt haben, die
AlbConservativen noch entschiedener als die Demokraten. Dafür hat sich
von Seiten der Mittelparteien eine entschiedene Geneigtheit auf Unterhand¬
lungen mit den Ministern einzugehen, kundgegeben, und Herrn Camphausen's
bisherige Haltung leistet dafür Bürgschaft, daß Meinungsverschiedenheiten
über Einzelheiten das Ganze nicht zu Fall bringen werden. Von den in die
Commission gewählten Gliedern der national-liberalen Partei hat sich der
überwiegende Theil zu Gunsten der Vorlage ausgesprochen; wenn es auch
nicht wahrscheinlich ist, daß die andersdenkenden Vertreter der Fraction sich
der Parteidisciplin zu Liebe der Majorität ihrer Genossen fügen, so läßt sich
mindestens erwarren, daß dieselben es bei der Abgabe verneinender Stimmen
bewenden lassen werden.

Auf die Verhandlungen über den Cultusetat ist in diesen Blättern so
ausführlich eingegangen worden, daß wir nicht nöthig haben, dieselben noch¬
mals zu recapituliren. Der Erwähnung bedarf nur, daß die Taktik der
Opposition dieses Mal sehr viel glücklicher gewesen ist, als im December 1868,
und daß man von den damals gemachten Fehlern in erfreulicher Weise ge¬
lernt hat. Die linke Seite des Abgeordnetenhauses kann in der That sagen,
daß es Heuer nicht ihre Schuld ist, wenn Herr v. Muster im Amte bleibt,
und daß die Anhänger dieses Ministers keinen Grund haben, über Ma߬
losigkeiten und Ueberstürzungen ihrer Gegner zu triumphiren.

Der gegen das Bundes-Oberhandelsgericht gewendete Antrag des Grafen
zur Lippe, der bei der Eröffnung der Session mit so vielem Geräusch einge¬
bracht wurde, ist dem verdienten Schicksal nicht entgangen. Selbst das Her¬
renhaus hat nicht den Muth gehabt, sich mit dieser Ausgeburt des beschränk-
testen Particularismus zu identificiren und die kleinstaatlichen Feinde des
neuen Bundes haben vergeblich darauf gerechnet, für das Recht ihrer
bundesfeindlichen Wünsche ein preußisches Zeugniß anführen zu können.
Im Gegentheil hat dieses Attentat auf die Competenz des Reichstags den
Erfolg gehabt, der nationalen Sache zu einem Siege zu verhelfen, der
unter anderen Umständen vielleicht minder vollständig gewesen wäre. Der
Miquel-Laster'sche Antrag ist unter entschiedener Zustimmung der Fortschritts¬
partei angenommen worden und kann sich auf eine Majorität berufen, welche
manchen Namen für sich hat, dem eine principielle Geneigtheit für Befesti-


keine der Abänderungen, welche das Haus an seiner Bill vorgenommen,
für schlechterdings unannehmbar erklärt hat. Auch das Schicksal des Camp-
hciusenschen Finanzplans ist noch nicht entschieden, aber die Aussichten für
Annahme desselben mehren sich täglich. Zu diesen Aussichten muß entschie¬
den gerechnet werden, daß die extremen Parteien auf beiden Seiten des
Hauses sich gegen die Consolidation der Staatsschulden erklärt haben, die
AlbConservativen noch entschiedener als die Demokraten. Dafür hat sich
von Seiten der Mittelparteien eine entschiedene Geneigtheit auf Unterhand¬
lungen mit den Ministern einzugehen, kundgegeben, und Herrn Camphausen's
bisherige Haltung leistet dafür Bürgschaft, daß Meinungsverschiedenheiten
über Einzelheiten das Ganze nicht zu Fall bringen werden. Von den in die
Commission gewählten Gliedern der national-liberalen Partei hat sich der
überwiegende Theil zu Gunsten der Vorlage ausgesprochen; wenn es auch
nicht wahrscheinlich ist, daß die andersdenkenden Vertreter der Fraction sich
der Parteidisciplin zu Liebe der Majorität ihrer Genossen fügen, so läßt sich
mindestens erwarren, daß dieselben es bei der Abgabe verneinender Stimmen
bewenden lassen werden.

Auf die Verhandlungen über den Cultusetat ist in diesen Blättern so
ausführlich eingegangen worden, daß wir nicht nöthig haben, dieselben noch¬
mals zu recapituliren. Der Erwähnung bedarf nur, daß die Taktik der
Opposition dieses Mal sehr viel glücklicher gewesen ist, als im December 1868,
und daß man von den damals gemachten Fehlern in erfreulicher Weise ge¬
lernt hat. Die linke Seite des Abgeordnetenhauses kann in der That sagen,
daß es Heuer nicht ihre Schuld ist, wenn Herr v. Muster im Amte bleibt,
und daß die Anhänger dieses Ministers keinen Grund haben, über Ma߬
losigkeiten und Ueberstürzungen ihrer Gegner zu triumphiren.

Der gegen das Bundes-Oberhandelsgericht gewendete Antrag des Grafen
zur Lippe, der bei der Eröffnung der Session mit so vielem Geräusch einge¬
bracht wurde, ist dem verdienten Schicksal nicht entgangen. Selbst das Her¬
renhaus hat nicht den Muth gehabt, sich mit dieser Ausgeburt des beschränk-
testen Particularismus zu identificiren und die kleinstaatlichen Feinde des
neuen Bundes haben vergeblich darauf gerechnet, für das Recht ihrer
bundesfeindlichen Wünsche ein preußisches Zeugniß anführen zu können.
Im Gegentheil hat dieses Attentat auf die Competenz des Reichstags den
Erfolg gehabt, der nationalen Sache zu einem Siege zu verhelfen, der
unter anderen Umständen vielleicht minder vollständig gewesen wäre. Der
Miquel-Laster'sche Antrag ist unter entschiedener Zustimmung der Fortschritts¬
partei angenommen worden und kann sich auf eine Majorität berufen, welche
manchen Namen für sich hat, dem eine principielle Geneigtheit für Befesti-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/446>, abgerufen am 12.05.2024.