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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Wie preußischen Provinzialsynoden.

Die politischen Köpfe im Schooße der preußischen Regierung haben es
dem Cultusminister v. Muster zum schweren Vorwurf gemacht, daß er die
Provinzialsynoden der sechs alten östlichen Provinzen, Hannovers und Kur¬
hesseus unmittelbar vor dem Concil zu Rom berufen habe, da die hiervon
zu erwartenden und auch bereits reichlich cingetretenenen ärgerlichen Auftritte
nur dazu dienen könnten, die deutsche evangelische Kirche der geschlossenen
Einheit des Katholicismus gegenüber in das Licht der Verwirrung und Zer¬
rissenheit zu setzen. Besonders die Anhänger des Grafen Eulenburg, der be¬
reits zum Sturze des Frhrn. v. d. Heydt das Seinige beigetragen hat, werden
diesen Gesichtspunkt immer wieder geltend machen. Die liberale National¬
partei braucht nichts dagegen zu haben, wenn einer ihrer alten Widersacher im
Schooße des preußischen Cabinets mit solchen Argumenten den Andern schädigt.
Allein wenn der dermalige Cultusminister nichts Schlimmeres gethan hätte,
als die Provinzialsynoden überhaupt einzuberufen, so müßte sie ihm für ihren
Theil doch Absolution ertheilen. Dieser Schritt vorwärts auf dem Wege
zur inneren Befreiung der Kirche hat wahrhaftig schon lange genug auf sich
warten lassen. Ihn des römischen Concils halber aufzuschieben, hätte höchstens
im Zusammenhang mit der engen Anschauungsweise Sinn, für deren Ver¬
treter grade vorzugsweise Herr v. Muster gilt: als ob nämlich das Ideal pro¬
testantischen Kirchenlebens dem römisch-katholischen gleich oder nahe verwandt
sei, Einheit im Glauben und Unterordnung alles Einzelnen unter eine streng¬
gegliederte, gebietende Hierarchie. Es kann sein, daß der Cultusminister,
wenn man ihm jenen Wink früher gegeben hätte, anstatt erst jetzt, wo der¬
selbe zum Vorwurf und zur Anklage wird, ihn nicht allein als einen Vor¬
wand abermaligen Hinausschiebens der Synode'begierig ergriffen, sondern
auch seinem politischen Werthe nach vollkommen gewürdigt haben würde.
Aber an der protestantischen Kirche oder an der deutschen Nation hat er sich
mit der Unterlassung dieser Rücksicht nicht versündigt. Im Gegentheil: je
handgreiflicher der künstlichen und auf finsterem Zwange beruhenden Einheit


Grenzboten IV. 18l>". 56
Wie preußischen Provinzialsynoden.

Die politischen Köpfe im Schooße der preußischen Regierung haben es
dem Cultusminister v. Muster zum schweren Vorwurf gemacht, daß er die
Provinzialsynoden der sechs alten östlichen Provinzen, Hannovers und Kur¬
hesseus unmittelbar vor dem Concil zu Rom berufen habe, da die hiervon
zu erwartenden und auch bereits reichlich cingetretenenen ärgerlichen Auftritte
nur dazu dienen könnten, die deutsche evangelische Kirche der geschlossenen
Einheit des Katholicismus gegenüber in das Licht der Verwirrung und Zer¬
rissenheit zu setzen. Besonders die Anhänger des Grafen Eulenburg, der be¬
reits zum Sturze des Frhrn. v. d. Heydt das Seinige beigetragen hat, werden
diesen Gesichtspunkt immer wieder geltend machen. Die liberale National¬
partei braucht nichts dagegen zu haben, wenn einer ihrer alten Widersacher im
Schooße des preußischen Cabinets mit solchen Argumenten den Andern schädigt.
Allein wenn der dermalige Cultusminister nichts Schlimmeres gethan hätte,
als die Provinzialsynoden überhaupt einzuberufen, so müßte sie ihm für ihren
Theil doch Absolution ertheilen. Dieser Schritt vorwärts auf dem Wege
zur inneren Befreiung der Kirche hat wahrhaftig schon lange genug auf sich
warten lassen. Ihn des römischen Concils halber aufzuschieben, hätte höchstens
im Zusammenhang mit der engen Anschauungsweise Sinn, für deren Ver¬
treter grade vorzugsweise Herr v. Muster gilt: als ob nämlich das Ideal pro¬
testantischen Kirchenlebens dem römisch-katholischen gleich oder nahe verwandt
sei, Einheit im Glauben und Unterordnung alles Einzelnen unter eine streng¬
gegliederte, gebietende Hierarchie. Es kann sein, daß der Cultusminister,
wenn man ihm jenen Wink früher gegeben hätte, anstatt erst jetzt, wo der¬
selbe zum Vorwurf und zur Anklage wird, ihn nicht allein als einen Vor¬
wand abermaligen Hinausschiebens der Synode'begierig ergriffen, sondern
auch seinem politischen Werthe nach vollkommen gewürdigt haben würde.
Aber an der protestantischen Kirche oder an der deutschen Nation hat er sich
mit der Unterlassung dieser Rücksicht nicht versündigt. Im Gegentheil: je
handgreiflicher der künstlichen und auf finsterem Zwange beruhenden Einheit


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[0449] Wie preußischen Provinzialsynoden. Die politischen Köpfe im Schooße der preußischen Regierung haben es dem Cultusminister v. Muster zum schweren Vorwurf gemacht, daß er die Provinzialsynoden der sechs alten östlichen Provinzen, Hannovers und Kur¬ hesseus unmittelbar vor dem Concil zu Rom berufen habe, da die hiervon zu erwartenden und auch bereits reichlich cingetretenenen ärgerlichen Auftritte nur dazu dienen könnten, die deutsche evangelische Kirche der geschlossenen Einheit des Katholicismus gegenüber in das Licht der Verwirrung und Zer¬ rissenheit zu setzen. Besonders die Anhänger des Grafen Eulenburg, der be¬ reits zum Sturze des Frhrn. v. d. Heydt das Seinige beigetragen hat, werden diesen Gesichtspunkt immer wieder geltend machen. Die liberale National¬ partei braucht nichts dagegen zu haben, wenn einer ihrer alten Widersacher im Schooße des preußischen Cabinets mit solchen Argumenten den Andern schädigt. Allein wenn der dermalige Cultusminister nichts Schlimmeres gethan hätte, als die Provinzialsynoden überhaupt einzuberufen, so müßte sie ihm für ihren Theil doch Absolution ertheilen. Dieser Schritt vorwärts auf dem Wege zur inneren Befreiung der Kirche hat wahrhaftig schon lange genug auf sich warten lassen. Ihn des römischen Concils halber aufzuschieben, hätte höchstens im Zusammenhang mit der engen Anschauungsweise Sinn, für deren Ver¬ treter grade vorzugsweise Herr v. Muster gilt: als ob nämlich das Ideal pro¬ testantischen Kirchenlebens dem römisch-katholischen gleich oder nahe verwandt sei, Einheit im Glauben und Unterordnung alles Einzelnen unter eine streng¬ gegliederte, gebietende Hierarchie. Es kann sein, daß der Cultusminister, wenn man ihm jenen Wink früher gegeben hätte, anstatt erst jetzt, wo der¬ selbe zum Vorwurf und zur Anklage wird, ihn nicht allein als einen Vor¬ wand abermaligen Hinausschiebens der Synode'begierig ergriffen, sondern auch seinem politischen Werthe nach vollkommen gewürdigt haben würde. Aber an der protestantischen Kirche oder an der deutschen Nation hat er sich mit der Unterlassung dieser Rücksicht nicht versündigt. Im Gegentheil: je handgreiflicher der künstlichen und auf finsterem Zwange beruhenden Einheit Grenzboten IV. 18l>». 56

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/449>, abgerufen am 28.04.2024.