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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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des Katholicismus, gegenüber der im Schooße der evangelischen Christenheit
herrschenden Freiheit, Mannigfaltigkeit und Lebensfülle hervortritt, desto besser
für die Menschheit, für das Vaterland und die Kirche. Nichts wäre trau¬
riger, als wenn die evangelische Kirche an diesem großen Wendepunkt nur
eine kläglich mißlungene Nachbildung der katholischen Kirche darstellte. Wenn
die letztere sich in der düstern Majestät ihrer mittelalterlichen Geschlossenheit
zusammenfaßt, so ist alles daran gelegen, daß der geschichtliche Gegensatz
nicht fehle, daß mit anderen Worten die protestantische Christenheit nicht
minder nachdrücklich und augenfällig zeige, wie das kirchliche Leben aufge¬
klärter und unabhängiger Geister beschaffen sei.

Die preußischen Provinzialsynoden, so angesehen, werden sicherlich eher
zu wenig als zu viel leistend befunden werden. Jsolirte man sie von ihrer
miterregten Umgebung, so würde man in ihnen nur ein kleines und sehr
einseitiges Stück 'evangelischen Kirchenlebens dargestellt finden. In ihrem
Schooße sammeln sich vorzugsweise die, welche der römischen Kirche ihre
vermeintlichen Vorzüge im Stillen beneiden. Aber die, welche draußen stehen
und über das Treiben dieser altgläubig-herrschsüchtigen Majoritäten zürnen,
gehören mit dazu. Es sind zu spät erwachte Schläfer, Hungrige die die
Stunde der Mahlzeit überhört haben, die sich das nächste Mal aber
desto pünktlicher einstellen und die Minderheiten auf den Synoden in Mehr¬
heiten verwandeln werden. Ob in näheren oder entfernteren Kirchen um das
Concil herum ebenfalls solche erregte Schaaren stehen werden, die mit Ein¬
bruch oder Abfall drohen, je nachdem die Thore der Kirche sich ihnen auf¬
thun oder für immer verschließen, ist trotz der rheinischen Laien-Adressen und
der gleichartigen Regungen in Süddeutschland noch sehr ungewiß. Daß da¬
gegen die Herrschaft der orthodox-hierarchischen Partei auf den protestantischen
Synoden Preußens nur noch kurz sein wird, verbürgt der anschwellende Sturm
des Unwillens in den Tausenden rings umher zur Genüge.

Die genannte Partei hat lange von der Einführung des constitutio-
nellen Princips in die Kirche nichts wissen wollen. Ihre Lehren und ge¬
heimen Besorgnisse waren es, was trotz der ausdrücklichen Zusage der
Landesverfassung in Preußen (gleichwie in Hannover und anderswo) den
Cultusminister so böswillig langsam mit Synodaleinrichtungen vorgehen
ließ. Nun da die Besorgnisse durch die Wirklichkeit anscheinend und zunächst
nicht gerechtfertigt sind, da fast auf jeder Synode eine stramme conservative
Majorität den Ton angibt, werden die Lehren wohl zeitgemäß revidirt
werden. Wie die Kreuzzeitungspartei zur Zeit der Landraths-Kammer und
der getreuen Manteuffel-Westphalen'schen Mehrheit die heimlichen Attentate
auf den Bestand der Verfassung allmälig aufgab, so wird ihr kirchliches Ab¬
bild gegenwärtig die verhaßten und gefurchtsten Synoden segnen lernen.


des Katholicismus, gegenüber der im Schooße der evangelischen Christenheit
herrschenden Freiheit, Mannigfaltigkeit und Lebensfülle hervortritt, desto besser
für die Menschheit, für das Vaterland und die Kirche. Nichts wäre trau¬
riger, als wenn die evangelische Kirche an diesem großen Wendepunkt nur
eine kläglich mißlungene Nachbildung der katholischen Kirche darstellte. Wenn
die letztere sich in der düstern Majestät ihrer mittelalterlichen Geschlossenheit
zusammenfaßt, so ist alles daran gelegen, daß der geschichtliche Gegensatz
nicht fehle, daß mit anderen Worten die protestantische Christenheit nicht
minder nachdrücklich und augenfällig zeige, wie das kirchliche Leben aufge¬
klärter und unabhängiger Geister beschaffen sei.

Die preußischen Provinzialsynoden, so angesehen, werden sicherlich eher
zu wenig als zu viel leistend befunden werden. Jsolirte man sie von ihrer
miterregten Umgebung, so würde man in ihnen nur ein kleines und sehr
einseitiges Stück 'evangelischen Kirchenlebens dargestellt finden. In ihrem
Schooße sammeln sich vorzugsweise die, welche der römischen Kirche ihre
vermeintlichen Vorzüge im Stillen beneiden. Aber die, welche draußen stehen
und über das Treiben dieser altgläubig-herrschsüchtigen Majoritäten zürnen,
gehören mit dazu. Es sind zu spät erwachte Schläfer, Hungrige die die
Stunde der Mahlzeit überhört haben, die sich das nächste Mal aber
desto pünktlicher einstellen und die Minderheiten auf den Synoden in Mehr¬
heiten verwandeln werden. Ob in näheren oder entfernteren Kirchen um das
Concil herum ebenfalls solche erregte Schaaren stehen werden, die mit Ein¬
bruch oder Abfall drohen, je nachdem die Thore der Kirche sich ihnen auf¬
thun oder für immer verschließen, ist trotz der rheinischen Laien-Adressen und
der gleichartigen Regungen in Süddeutschland noch sehr ungewiß. Daß da¬
gegen die Herrschaft der orthodox-hierarchischen Partei auf den protestantischen
Synoden Preußens nur noch kurz sein wird, verbürgt der anschwellende Sturm
des Unwillens in den Tausenden rings umher zur Genüge.

Die genannte Partei hat lange von der Einführung des constitutio-
nellen Princips in die Kirche nichts wissen wollen. Ihre Lehren und ge¬
heimen Besorgnisse waren es, was trotz der ausdrücklichen Zusage der
Landesverfassung in Preußen (gleichwie in Hannover und anderswo) den
Cultusminister so böswillig langsam mit Synodaleinrichtungen vorgehen
ließ. Nun da die Besorgnisse durch die Wirklichkeit anscheinend und zunächst
nicht gerechtfertigt sind, da fast auf jeder Synode eine stramme conservative
Majorität den Ton angibt, werden die Lehren wohl zeitgemäß revidirt
werden. Wie die Kreuzzeitungspartei zur Zeit der Landraths-Kammer und
der getreuen Manteuffel-Westphalen'schen Mehrheit die heimlichen Attentate
auf den Bestand der Verfassung allmälig aufgab, so wird ihr kirchliches Ab¬
bild gegenwärtig die verhaßten und gefurchtsten Synoden segnen lernen.


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[0450] des Katholicismus, gegenüber der im Schooße der evangelischen Christenheit herrschenden Freiheit, Mannigfaltigkeit und Lebensfülle hervortritt, desto besser für die Menschheit, für das Vaterland und die Kirche. Nichts wäre trau¬ riger, als wenn die evangelische Kirche an diesem großen Wendepunkt nur eine kläglich mißlungene Nachbildung der katholischen Kirche darstellte. Wenn die letztere sich in der düstern Majestät ihrer mittelalterlichen Geschlossenheit zusammenfaßt, so ist alles daran gelegen, daß der geschichtliche Gegensatz nicht fehle, daß mit anderen Worten die protestantische Christenheit nicht minder nachdrücklich und augenfällig zeige, wie das kirchliche Leben aufge¬ klärter und unabhängiger Geister beschaffen sei. Die preußischen Provinzialsynoden, so angesehen, werden sicherlich eher zu wenig als zu viel leistend befunden werden. Jsolirte man sie von ihrer miterregten Umgebung, so würde man in ihnen nur ein kleines und sehr einseitiges Stück 'evangelischen Kirchenlebens dargestellt finden. In ihrem Schooße sammeln sich vorzugsweise die, welche der römischen Kirche ihre vermeintlichen Vorzüge im Stillen beneiden. Aber die, welche draußen stehen und über das Treiben dieser altgläubig-herrschsüchtigen Majoritäten zürnen, gehören mit dazu. Es sind zu spät erwachte Schläfer, Hungrige die die Stunde der Mahlzeit überhört haben, die sich das nächste Mal aber desto pünktlicher einstellen und die Minderheiten auf den Synoden in Mehr¬ heiten verwandeln werden. Ob in näheren oder entfernteren Kirchen um das Concil herum ebenfalls solche erregte Schaaren stehen werden, die mit Ein¬ bruch oder Abfall drohen, je nachdem die Thore der Kirche sich ihnen auf¬ thun oder für immer verschließen, ist trotz der rheinischen Laien-Adressen und der gleichartigen Regungen in Süddeutschland noch sehr ungewiß. Daß da¬ gegen die Herrschaft der orthodox-hierarchischen Partei auf den protestantischen Synoden Preußens nur noch kurz sein wird, verbürgt der anschwellende Sturm des Unwillens in den Tausenden rings umher zur Genüge. Die genannte Partei hat lange von der Einführung des constitutio- nellen Princips in die Kirche nichts wissen wollen. Ihre Lehren und ge¬ heimen Besorgnisse waren es, was trotz der ausdrücklichen Zusage der Landesverfassung in Preußen (gleichwie in Hannover und anderswo) den Cultusminister so böswillig langsam mit Synodaleinrichtungen vorgehen ließ. Nun da die Besorgnisse durch die Wirklichkeit anscheinend und zunächst nicht gerechtfertigt sind, da fast auf jeder Synode eine stramme conservative Majorität den Ton angibt, werden die Lehren wohl zeitgemäß revidirt werden. Wie die Kreuzzeitungspartei zur Zeit der Landraths-Kammer und der getreuen Manteuffel-Westphalen'schen Mehrheit die heimlichen Attentate auf den Bestand der Verfassung allmälig aufgab, so wird ihr kirchliches Ab¬ bild gegenwärtig die verhaßten und gefurchtsten Synoden segnen lernen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/450>, abgerufen am 13.05.2024.