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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Die mecklenburgischen Patrimonialgerichte und der Entwurf einer
Norddeutschen Civilproceßordnung.

Als das deutsche Vaterland noch in hundert und aber hundert Staaten
zerfiel, deren Mehrzahl nichts weniger als diesen Titel verdiente, deren
Herren darum aber nur desto lauter auf ihre Autorität pochten, da pflegten
diese ihren Großmachtskitzel in freilich harmloser Weise u. A. dadurch zu be¬
friedigen, daß sie sauber ausgeführte Karten von ihren Ländchen in mög¬
lichst großem Maßstabe anfertigen ließen, auf denen jeder Weiler, jeder Hügel
und jeder Graben verzeichnet wurde, sodaß das kartographische Conterfei ihrer
Herrschaft recht wohl für das Bild eines Landes mit ebenso vielen volkreichen
Städten, gewaltigen Gebirgen und schiffbaren Strömen oder Kanälen pas-
siren konnte. Und namentlich durfte auf diesen Bilderbogen der Galgen¬
berg als Zeichen des eigenen Blutbannes, der Macht über Leben und Tod
der Unterthanen nicht fehlen, der als Ausfluß landesherrlicher Machtvollkom¬
menheit diese selbst im Bilde repräsentirte und so dem Beschauer auf den
ersten Blick die staatsrechtliche Qualität des Territoriums aä oculos demon-
strtrte. Wie diese Karten vermoderten, deren sich nur noch wenige in den
Archiven und etwa in den Bibliotheken literarischer Curiositätensammler er¬
halten haben mögen, so fielen auch die auf denselben verzeichneten Galgen
und Räder der reichsunmittelbaren hochnotpeinlichen Halsgerichte, und mit
ihnen verschwand die Mehrzahl jener Staatsatome von der deutschen Land¬
karte, die freilich immer noch viel zu bunt blieb, als daß wir selbst ihre
neueste Auflage als die letzte betrachten möchten.

Gleichwie die kleinen deutschen Landesherren und Reichsunmittelbaren
als das bezeichnendste Symbol ihrer Macht in Ermangelung eines andern
die Gerichtsbarkeit darzustellen beliebten, so gilt der Besitz eigener Gerichts¬
barkeit in Mecklenburg ihren Inhabern noch heut zu Tage als eines der
köstlichsten Vorrechte, auf das sie nicht minder stolz sind, als die ehemaligen
deutschen Reichsfürsten und Städte auf die ihrigen. Wollte man von diesem
Vergleichungspunkt ausgehend die Parallele ziehen, so ließe sich wohl nach¬
weisen, daß die politische Stellung der mecklenburgischen Stände, besonders
der Rittergutsbesitzer, für das mecklenburgische Staatsleben wesentlich dieselbe
-- negative -- Bedeutung hat. welche die Reichsfürsten und Reichsunmittel¬
baren für das deutsche Reich hatten. Gleichwie diese die natürliche Consoli-
dation des deutschen Staates verhinderten, so ist die Stellung der mecklen¬
burgischen Stände zum Lande und dessen Regierung mit dem Begriff des
Staates unvereinbar, wie denn auch faktisch, so lange die ständische Ver¬
fassung besteht, Mecklenburg nicht sowohl den Eindruck eines solchen, als


Die mecklenburgischen Patrimonialgerichte und der Entwurf einer
Norddeutschen Civilproceßordnung.

Als das deutsche Vaterland noch in hundert und aber hundert Staaten
zerfiel, deren Mehrzahl nichts weniger als diesen Titel verdiente, deren
Herren darum aber nur desto lauter auf ihre Autorität pochten, da pflegten
diese ihren Großmachtskitzel in freilich harmloser Weise u. A. dadurch zu be¬
friedigen, daß sie sauber ausgeführte Karten von ihren Ländchen in mög¬
lichst großem Maßstabe anfertigen ließen, auf denen jeder Weiler, jeder Hügel
und jeder Graben verzeichnet wurde, sodaß das kartographische Conterfei ihrer
Herrschaft recht wohl für das Bild eines Landes mit ebenso vielen volkreichen
Städten, gewaltigen Gebirgen und schiffbaren Strömen oder Kanälen pas-
siren konnte. Und namentlich durfte auf diesen Bilderbogen der Galgen¬
berg als Zeichen des eigenen Blutbannes, der Macht über Leben und Tod
der Unterthanen nicht fehlen, der als Ausfluß landesherrlicher Machtvollkom¬
menheit diese selbst im Bilde repräsentirte und so dem Beschauer auf den
ersten Blick die staatsrechtliche Qualität des Territoriums aä oculos demon-
strtrte. Wie diese Karten vermoderten, deren sich nur noch wenige in den
Archiven und etwa in den Bibliotheken literarischer Curiositätensammler er¬
halten haben mögen, so fielen auch die auf denselben verzeichneten Galgen
und Räder der reichsunmittelbaren hochnotpeinlichen Halsgerichte, und mit
ihnen verschwand die Mehrzahl jener Staatsatome von der deutschen Land¬
karte, die freilich immer noch viel zu bunt blieb, als daß wir selbst ihre
neueste Auflage als die letzte betrachten möchten.

Gleichwie die kleinen deutschen Landesherren und Reichsunmittelbaren
als das bezeichnendste Symbol ihrer Macht in Ermangelung eines andern
die Gerichtsbarkeit darzustellen beliebten, so gilt der Besitz eigener Gerichts¬
barkeit in Mecklenburg ihren Inhabern noch heut zu Tage als eines der
köstlichsten Vorrechte, auf das sie nicht minder stolz sind, als die ehemaligen
deutschen Reichsfürsten und Städte auf die ihrigen. Wollte man von diesem
Vergleichungspunkt ausgehend die Parallele ziehen, so ließe sich wohl nach¬
weisen, daß die politische Stellung der mecklenburgischen Stände, besonders
der Rittergutsbesitzer, für das mecklenburgische Staatsleben wesentlich dieselbe
— negative — Bedeutung hat. welche die Reichsfürsten und Reichsunmittel¬
baren für das deutsche Reich hatten. Gleichwie diese die natürliche Consoli-
dation des deutschen Staates verhinderten, so ist die Stellung der mecklen¬
burgischen Stände zum Lande und dessen Regierung mit dem Begriff des
Staates unvereinbar, wie denn auch faktisch, so lange die ständische Ver¬
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[0053] Die mecklenburgischen Patrimonialgerichte und der Entwurf einer Norddeutschen Civilproceßordnung. Als das deutsche Vaterland noch in hundert und aber hundert Staaten zerfiel, deren Mehrzahl nichts weniger als diesen Titel verdiente, deren Herren darum aber nur desto lauter auf ihre Autorität pochten, da pflegten diese ihren Großmachtskitzel in freilich harmloser Weise u. A. dadurch zu be¬ friedigen, daß sie sauber ausgeführte Karten von ihren Ländchen in mög¬ lichst großem Maßstabe anfertigen ließen, auf denen jeder Weiler, jeder Hügel und jeder Graben verzeichnet wurde, sodaß das kartographische Conterfei ihrer Herrschaft recht wohl für das Bild eines Landes mit ebenso vielen volkreichen Städten, gewaltigen Gebirgen und schiffbaren Strömen oder Kanälen pas- siren konnte. Und namentlich durfte auf diesen Bilderbogen der Galgen¬ berg als Zeichen des eigenen Blutbannes, der Macht über Leben und Tod der Unterthanen nicht fehlen, der als Ausfluß landesherrlicher Machtvollkom¬ menheit diese selbst im Bilde repräsentirte und so dem Beschauer auf den ersten Blick die staatsrechtliche Qualität des Territoriums aä oculos demon- strtrte. Wie diese Karten vermoderten, deren sich nur noch wenige in den Archiven und etwa in den Bibliotheken literarischer Curiositätensammler er¬ halten haben mögen, so fielen auch die auf denselben verzeichneten Galgen und Räder der reichsunmittelbaren hochnotpeinlichen Halsgerichte, und mit ihnen verschwand die Mehrzahl jener Staatsatome von der deutschen Land¬ karte, die freilich immer noch viel zu bunt blieb, als daß wir selbst ihre neueste Auflage als die letzte betrachten möchten. Gleichwie die kleinen deutschen Landesherren und Reichsunmittelbaren als das bezeichnendste Symbol ihrer Macht in Ermangelung eines andern die Gerichtsbarkeit darzustellen beliebten, so gilt der Besitz eigener Gerichts¬ barkeit in Mecklenburg ihren Inhabern noch heut zu Tage als eines der köstlichsten Vorrechte, auf das sie nicht minder stolz sind, als die ehemaligen deutschen Reichsfürsten und Städte auf die ihrigen. Wollte man von diesem Vergleichungspunkt ausgehend die Parallele ziehen, so ließe sich wohl nach¬ weisen, daß die politische Stellung der mecklenburgischen Stände, besonders der Rittergutsbesitzer, für das mecklenburgische Staatsleben wesentlich dieselbe — negative — Bedeutung hat. welche die Reichsfürsten und Reichsunmittel¬ baren für das deutsche Reich hatten. Gleichwie diese die natürliche Consoli- dation des deutschen Staates verhinderten, so ist die Stellung der mecklen¬ burgischen Stände zum Lande und dessen Regierung mit dem Begriff des Staates unvereinbar, wie denn auch faktisch, so lange die ständische Ver¬ fassung besteht, Mecklenburg nicht sowohl den Eindruck eines solchen, als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/53>, abgerufen am 27.04.2024.