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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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dieselben hinausgeht- Die liberale Partei hat Ursache genug, sich dem Ge¬
wicht dieser Thatsache nicht zu verschließen, denn dieselbe läßt zweifellos er¬
scheinen, daß der Regierung dieses Mal ernstlich an einer Verständigung und
am Zustandekommen des Gesetzes gelegen ist. Damit ist zugleich gesagt, daß
auf einer on-blooAnnahme nicht bestanden werden wird und daß man sich
bereit finden werde, mit Concessionen im Einzelnen bis an die Grenze des
Möglichen zu gehn.

Die Zeiten, in denen die Weigerung, dem gegenwärtigen Ministerium
zum Zustandekommen eines Gesetzes zu verhelfen, liberales Losungswort war,
sind zu gründlich vorüber, als daß wir irgend bezweifeln könnten, das Ab¬
geordnetenhaus werde seinerseits zögern, das Entgegenkommen der Re¬
gierung zu achten. Auch hier wird es nöthig sein, in positiver und produk¬
tiver Weise vorzugehen und die Lücken, die man in die Vorlage reißt, sofort
auszufüllen. Selbst vom Erfolg abgesehen, muß den liberalen Parteien daran
gelegen sein, ihre Regierungsfähigkeit von Jahr zu Jahr deutlicher zu be¬
weisen und auf diese Weise die Zeit des conservativen Regiments zur Ent¬
wickelung der eigenen Kräfte, zur Klärung, Befestigung und Präcisirung des
Programms zu nützen, das noch vor einigen Jahren ein verschwommenes
Nebelbild war und bei jeder Berührung mit der Wirklichkeit Fiasko machte.
Gerade für die neue Kreisordnung liegen so zahlreiche und so gründliche
Vorarbeiten vor, daß die Hoffnung gerechtfertigt erscheint, man werde sich
bei Behandlung dieser Frage vollständig gerüstet und fertig zeigen, die von
der Regierung adoptirten Grundsätze in ihrer wahren Consequenz durchzu¬
führen und beweisen, daß man mehr als eine bloße Oppositionspartei sei.

Eine Klippe bleibt freilich noch stehen: das Herrenhaus. Muß schon
die gegenwärtige Gestalt der ministeriellen Vorlage dort Kopfschütteln und
Bedenken erregen, wie viel mehr die Form, in der das Gesetz aus den Be¬
rathungen des Abgeordnetenhauses hervorgehen wird. Kommt die neue
Kreisordnung aber lediglich durch die Schuld des Herrenhauses nicht zu
Stande, so wird es sich fragen, ob das ein Verlust für die liberale Partei
ist. Das gegenwärtige Ministerium, so gering auch die Hoffnungen sind,
die wir im Uebrigen auf die innere Politik desselben setzen, würde dadurch
mit Nothwendigkeit nach links geschoben und vielleicht gezwungen, die
Macht, deren Gebrauch sonst in anderer Richtung geübt wurde, gegen das
Herrenhaus zu kehren, eine Umgestaltung desselben mindestens vorzubereiten.
Dieser Erfolg wäre größer als irgend ein anderer, ja selbst als ein Minister¬
wechsel. Und auch wenn es dazu nicht kommt, ständen die Chancen nach
dem Zustandekommen eines Gesetzes, welches wesentlich das Gepräge des
andern Hauses trägt, ungleich günstiger als vorher.




dieselben hinausgeht- Die liberale Partei hat Ursache genug, sich dem Ge¬
wicht dieser Thatsache nicht zu verschließen, denn dieselbe läßt zweifellos er¬
scheinen, daß der Regierung dieses Mal ernstlich an einer Verständigung und
am Zustandekommen des Gesetzes gelegen ist. Damit ist zugleich gesagt, daß
auf einer on-blooAnnahme nicht bestanden werden wird und daß man sich
bereit finden werde, mit Concessionen im Einzelnen bis an die Grenze des
Möglichen zu gehn.

Die Zeiten, in denen die Weigerung, dem gegenwärtigen Ministerium
zum Zustandekommen eines Gesetzes zu verhelfen, liberales Losungswort war,
sind zu gründlich vorüber, als daß wir irgend bezweifeln könnten, das Ab¬
geordnetenhaus werde seinerseits zögern, das Entgegenkommen der Re¬
gierung zu achten. Auch hier wird es nöthig sein, in positiver und produk¬
tiver Weise vorzugehen und die Lücken, die man in die Vorlage reißt, sofort
auszufüllen. Selbst vom Erfolg abgesehen, muß den liberalen Parteien daran
gelegen sein, ihre Regierungsfähigkeit von Jahr zu Jahr deutlicher zu be¬
weisen und auf diese Weise die Zeit des conservativen Regiments zur Ent¬
wickelung der eigenen Kräfte, zur Klärung, Befestigung und Präcisirung des
Programms zu nützen, das noch vor einigen Jahren ein verschwommenes
Nebelbild war und bei jeder Berührung mit der Wirklichkeit Fiasko machte.
Gerade für die neue Kreisordnung liegen so zahlreiche und so gründliche
Vorarbeiten vor, daß die Hoffnung gerechtfertigt erscheint, man werde sich
bei Behandlung dieser Frage vollständig gerüstet und fertig zeigen, die von
der Regierung adoptirten Grundsätze in ihrer wahren Consequenz durchzu¬
führen und beweisen, daß man mehr als eine bloße Oppositionspartei sei.

Eine Klippe bleibt freilich noch stehen: das Herrenhaus. Muß schon
die gegenwärtige Gestalt der ministeriellen Vorlage dort Kopfschütteln und
Bedenken erregen, wie viel mehr die Form, in der das Gesetz aus den Be¬
rathungen des Abgeordnetenhauses hervorgehen wird. Kommt die neue
Kreisordnung aber lediglich durch die Schuld des Herrenhauses nicht zu
Stande, so wird es sich fragen, ob das ein Verlust für die liberale Partei
ist. Das gegenwärtige Ministerium, so gering auch die Hoffnungen sind,
die wir im Uebrigen auf die innere Politik desselben setzen, würde dadurch
mit Nothwendigkeit nach links geschoben und vielleicht gezwungen, die
Macht, deren Gebrauch sonst in anderer Richtung geübt wurde, gegen das
Herrenhaus zu kehren, eine Umgestaltung desselben mindestens vorzubereiten.
Dieser Erfolg wäre größer als irgend ein anderer, ja selbst als ein Minister¬
wechsel. Und auch wenn es dazu nicht kommt, ständen die Chancen nach
dem Zustandekommen eines Gesetzes, welches wesentlich das Gepräge des
andern Hauses trägt, ungleich günstiger als vorher.




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[0052] dieselben hinausgeht- Die liberale Partei hat Ursache genug, sich dem Ge¬ wicht dieser Thatsache nicht zu verschließen, denn dieselbe läßt zweifellos er¬ scheinen, daß der Regierung dieses Mal ernstlich an einer Verständigung und am Zustandekommen des Gesetzes gelegen ist. Damit ist zugleich gesagt, daß auf einer on-blooAnnahme nicht bestanden werden wird und daß man sich bereit finden werde, mit Concessionen im Einzelnen bis an die Grenze des Möglichen zu gehn. Die Zeiten, in denen die Weigerung, dem gegenwärtigen Ministerium zum Zustandekommen eines Gesetzes zu verhelfen, liberales Losungswort war, sind zu gründlich vorüber, als daß wir irgend bezweifeln könnten, das Ab¬ geordnetenhaus werde seinerseits zögern, das Entgegenkommen der Re¬ gierung zu achten. Auch hier wird es nöthig sein, in positiver und produk¬ tiver Weise vorzugehen und die Lücken, die man in die Vorlage reißt, sofort auszufüllen. Selbst vom Erfolg abgesehen, muß den liberalen Parteien daran gelegen sein, ihre Regierungsfähigkeit von Jahr zu Jahr deutlicher zu be¬ weisen und auf diese Weise die Zeit des conservativen Regiments zur Ent¬ wickelung der eigenen Kräfte, zur Klärung, Befestigung und Präcisirung des Programms zu nützen, das noch vor einigen Jahren ein verschwommenes Nebelbild war und bei jeder Berührung mit der Wirklichkeit Fiasko machte. Gerade für die neue Kreisordnung liegen so zahlreiche und so gründliche Vorarbeiten vor, daß die Hoffnung gerechtfertigt erscheint, man werde sich bei Behandlung dieser Frage vollständig gerüstet und fertig zeigen, die von der Regierung adoptirten Grundsätze in ihrer wahren Consequenz durchzu¬ führen und beweisen, daß man mehr als eine bloße Oppositionspartei sei. Eine Klippe bleibt freilich noch stehen: das Herrenhaus. Muß schon die gegenwärtige Gestalt der ministeriellen Vorlage dort Kopfschütteln und Bedenken erregen, wie viel mehr die Form, in der das Gesetz aus den Be¬ rathungen des Abgeordnetenhauses hervorgehen wird. Kommt die neue Kreisordnung aber lediglich durch die Schuld des Herrenhauses nicht zu Stande, so wird es sich fragen, ob das ein Verlust für die liberale Partei ist. Das gegenwärtige Ministerium, so gering auch die Hoffnungen sind, die wir im Uebrigen auf die innere Politik desselben setzen, würde dadurch mit Nothwendigkeit nach links geschoben und vielleicht gezwungen, die Macht, deren Gebrauch sonst in anderer Richtung geübt wurde, gegen das Herrenhaus zu kehren, eine Umgestaltung desselben mindestens vorzubereiten. Dieser Erfolg wäre größer als irgend ein anderer, ja selbst als ein Minister¬ wechsel. Und auch wenn es dazu nicht kommt, ständen die Chancen nach dem Zustandekommen eines Gesetzes, welches wesentlich das Gepräge des andern Hauses trägt, ungleich günstiger als vorher.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/52>, abgerufen am 09.05.2024.