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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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bild irgend eines Nachfolgers von Franc!" Bigio, und einer heiligen Familie
in lebensgroßen Figuren (Bes. Graf Berchem), Replik des Bildes im Pa-
lazzo Barbarini in Rom, welches auf einer Stufe mit denen der Grosvenor-
Sammlung und der Madrider Gallerie steht. -- Unter dem Titel Sasso-
ferrato ferner begegnet uns eine Molinari'sche Copie des bekannten "Silence"
genannten Bildes im Louvre, das dem Annibale Caracci zugeschrieben wird.
Ebenso ist der "S. Sebastian von Guido" eine Copie, auch der heilige Hiero-
nymus, welcher für Correggio gilt, hat nicht das mindeste Recht an diesen
Namen. Das Porträt, Kniestück, eines Edelmanns, das dem Paris Bordone
zugewiesen ist. läßt ungeachtet der Beschädigung erkennen, wie meisterlich der
Venezianer durch die Hand des Georg Perez nachgeahmt wurde. Die
"Tizian'sche Madonna, ein unechtes Stück aus der ehemaligen Artaria'schen
Sammlung in Wien, ist immerhin ein interessantes Bild, das man am ersten
dem Polidoro Lanzani wird zuschreiben dürfen.




Victor Chertmliez.

"Genf ist die Welt in einer Nuß". -- es will scheinen, als ob diese
Worte, die Bonstetten gegen Ende des vorigen Jahrhunderts schrieb, sich
immer mehr und mehr bewahrheiteten. Ist doch der Genfer je länger je
mehr Cosmopolit geworden; in einem Contingent, wie es schwerlich eine
andere Stadt aufweisen wird, sendet es seine Söhne und Töchter in die Familien
aller Länder, und nicht geringer ist der Gegenstrom fremder Einzügler. Zu den
mannigfaltigen Gattungen derselben kommt in unseren Tagen wohl eine ganz
neue: die jungen Helden von Frankfurt, welche um xroeul militiis leben zu können,
ins Land der Winkelriede verstoßen werden. Die Stadt am Lemar hat
für den Pulsschlag der Fremde gleichsam ein doppeltes Sensorium und es
spiegeln sich ja in dem inneren Leben des kleinen Staates die religiösen und
socialen Gegensätze, welche die Welt bewegen, concentrirter und schärfer als
je. Aber gerade in Bonstettens Sinne treffen seine Worte nicht mehr zu.
Denn was er hervorheben wollte, war jenes harmonische Zusammenleben
und gegenseitige Aufeinanderwirken der geistigen Aristokratie, vor allem der
lirerarischen Größen, die hier residirten und in ihrem Verkehre die Reize der
Pariser Geselligkeit, die man in der großen Stadt nur zerstreut zu genießen
vermochte, in holderer Enge vereinigten. Diese Eigenschaft mußte Genf, je
mehr es selbst große Stadt und namentlich Fremdenstadt wurde, verlieren;


bild irgend eines Nachfolgers von Franc!« Bigio, und einer heiligen Familie
in lebensgroßen Figuren (Bes. Graf Berchem), Replik des Bildes im Pa-
lazzo Barbarini in Rom, welches auf einer Stufe mit denen der Grosvenor-
Sammlung und der Madrider Gallerie steht. — Unter dem Titel Sasso-
ferrato ferner begegnet uns eine Molinari'sche Copie des bekannten „Silence"
genannten Bildes im Louvre, das dem Annibale Caracci zugeschrieben wird.
Ebenso ist der „S. Sebastian von Guido" eine Copie, auch der heilige Hiero-
nymus, welcher für Correggio gilt, hat nicht das mindeste Recht an diesen
Namen. Das Porträt, Kniestück, eines Edelmanns, das dem Paris Bordone
zugewiesen ist. läßt ungeachtet der Beschädigung erkennen, wie meisterlich der
Venezianer durch die Hand des Georg Perez nachgeahmt wurde. Die
„Tizian'sche Madonna, ein unechtes Stück aus der ehemaligen Artaria'schen
Sammlung in Wien, ist immerhin ein interessantes Bild, das man am ersten
dem Polidoro Lanzani wird zuschreiben dürfen.




Victor Chertmliez.

„Genf ist die Welt in einer Nuß". — es will scheinen, als ob diese
Worte, die Bonstetten gegen Ende des vorigen Jahrhunderts schrieb, sich
immer mehr und mehr bewahrheiteten. Ist doch der Genfer je länger je
mehr Cosmopolit geworden; in einem Contingent, wie es schwerlich eine
andere Stadt aufweisen wird, sendet es seine Söhne und Töchter in die Familien
aller Länder, und nicht geringer ist der Gegenstrom fremder Einzügler. Zu den
mannigfaltigen Gattungen derselben kommt in unseren Tagen wohl eine ganz
neue: die jungen Helden von Frankfurt, welche um xroeul militiis leben zu können,
ins Land der Winkelriede verstoßen werden. Die Stadt am Lemar hat
für den Pulsschlag der Fremde gleichsam ein doppeltes Sensorium und es
spiegeln sich ja in dem inneren Leben des kleinen Staates die religiösen und
socialen Gegensätze, welche die Welt bewegen, concentrirter und schärfer als
je. Aber gerade in Bonstettens Sinne treffen seine Worte nicht mehr zu.
Denn was er hervorheben wollte, war jenes harmonische Zusammenleben
und gegenseitige Aufeinanderwirken der geistigen Aristokratie, vor allem der
lirerarischen Größen, die hier residirten und in ihrem Verkehre die Reize der
Pariser Geselligkeit, die man in der großen Stadt nur zerstreut zu genießen
vermochte, in holderer Enge vereinigten. Diese Eigenschaft mußte Genf, je
mehr es selbst große Stadt und namentlich Fremdenstadt wurde, verlieren;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/72>, abgerufen am 28.04.2024.