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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Hus und die Schlesier.

Niemand ist von den Deutschen so verschieden beurtheilt worden, als der
böhmische Reformator Johann Hus. Lange Zeit allerdings schied sich das
Urtheil über ihn einfach nach den Confessionen. Von jedem Protestanten
schien es selbstverständlich, daß er Hus' Freund war, in ihm den Vorläufer
der Reformation verehrte. Luther selbst hat ja wiederholt mit rückhaltsloser
Anerkennung von Hus gesprochen. Freilich stand er anders zu Hus, als
dieser wieder zu Wilkes; hatte Wilkes den böhmischen Prediger unmittelbar
beeinflußt und zu seiner Opposition angeregt, so lernte Luther Hus erst
kennen, als er selbst bereits in voller Thätigkeit war, und freute sich dann,
daß schon ein Jahrhundert vor ihm ein Mann viele der Ueberzeugungen
ausgesprochen, die er selbst in schwerer Gedankenarbeit sich zur Klarheit ge¬
bracht hatte. Doch er ging auch weiter; in seinem Commentar zum Jesaias
sagt er ganz direkt: "Das Evangelium, das wir haben, erachte ich, haben
Hus und Hieronymus uns mit ihrem Blute erkauft" und erkennt so die
böhmischen Reformatoren als Vorarbeiter für sein Werk unzweideutig an.
In der Reformationszeit wurden deshalb auch die Werke von Hus und
Hieronymus gesammelt und gedruckt, und die allgemeine Sympathie gab
jenen beiden Sagen den Ursprung, deren eine Hieronymus seine Richter in
100 Jahren vor Gottes Richterstuhl berufen läßt, während die andere an-
knüpfend an die Bedeutung des Namens Hus im Czechischen diesen noch auf
dem Scheiterhaufen sagen läßt: "heut bratet ihr eine Gans, aber in 100 Jahren
wird kommen ein Schwan, den werdet ihr ungebraten lassen." *) Beides



") ES sei hierzu bemerkt, daß allerdings Kuh im Czechischen die Gans heißt, aber nicht etwa.
Wie vielfach geglaubt wird, auch inter der Schwan. Die Entstehungszeit der Sage vermag ich
nicht anzugeben. In der Aufgabe von Hus' Werken, 1bS8, ist das beigegebene Bild von Hus
mit lateinischen Distichen geziert, welche Hus als die weiße Gans feiern. Wäre damals jene Ge"
schichte schon bekannt gewesen, man hätte sich schwerlich die Antithese des Schwanes entgehen
lassen.
Grenzboten II. 1870. 26
Hus und die Schlesier.

Niemand ist von den Deutschen so verschieden beurtheilt worden, als der
böhmische Reformator Johann Hus. Lange Zeit allerdings schied sich das
Urtheil über ihn einfach nach den Confessionen. Von jedem Protestanten
schien es selbstverständlich, daß er Hus' Freund war, in ihm den Vorläufer
der Reformation verehrte. Luther selbst hat ja wiederholt mit rückhaltsloser
Anerkennung von Hus gesprochen. Freilich stand er anders zu Hus, als
dieser wieder zu Wilkes; hatte Wilkes den böhmischen Prediger unmittelbar
beeinflußt und zu seiner Opposition angeregt, so lernte Luther Hus erst
kennen, als er selbst bereits in voller Thätigkeit war, und freute sich dann,
daß schon ein Jahrhundert vor ihm ein Mann viele der Ueberzeugungen
ausgesprochen, die er selbst in schwerer Gedankenarbeit sich zur Klarheit ge¬
bracht hatte. Doch er ging auch weiter; in seinem Commentar zum Jesaias
sagt er ganz direkt: „Das Evangelium, das wir haben, erachte ich, haben
Hus und Hieronymus uns mit ihrem Blute erkauft" und erkennt so die
böhmischen Reformatoren als Vorarbeiter für sein Werk unzweideutig an.
In der Reformationszeit wurden deshalb auch die Werke von Hus und
Hieronymus gesammelt und gedruckt, und die allgemeine Sympathie gab
jenen beiden Sagen den Ursprung, deren eine Hieronymus seine Richter in
100 Jahren vor Gottes Richterstuhl berufen läßt, während die andere an-
knüpfend an die Bedeutung des Namens Hus im Czechischen diesen noch auf
dem Scheiterhaufen sagen läßt: „heut bratet ihr eine Gans, aber in 100 Jahren
wird kommen ein Schwan, den werdet ihr ungebraten lassen." *) Beides



") ES sei hierzu bemerkt, daß allerdings Kuh im Czechischen die Gans heißt, aber nicht etwa.
Wie vielfach geglaubt wird, auch inter der Schwan. Die Entstehungszeit der Sage vermag ich
nicht anzugeben. In der Aufgabe von Hus' Werken, 1bS8, ist das beigegebene Bild von Hus
mit lateinischen Distichen geziert, welche Hus als die weiße Gans feiern. Wäre damals jene Ge»
schichte schon bekannt gewesen, man hätte sich schwerlich die Antithese des Schwanes entgehen
lassen.
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[0207] Hus und die Schlesier. Niemand ist von den Deutschen so verschieden beurtheilt worden, als der böhmische Reformator Johann Hus. Lange Zeit allerdings schied sich das Urtheil über ihn einfach nach den Confessionen. Von jedem Protestanten schien es selbstverständlich, daß er Hus' Freund war, in ihm den Vorläufer der Reformation verehrte. Luther selbst hat ja wiederholt mit rückhaltsloser Anerkennung von Hus gesprochen. Freilich stand er anders zu Hus, als dieser wieder zu Wilkes; hatte Wilkes den böhmischen Prediger unmittelbar beeinflußt und zu seiner Opposition angeregt, so lernte Luther Hus erst kennen, als er selbst bereits in voller Thätigkeit war, und freute sich dann, daß schon ein Jahrhundert vor ihm ein Mann viele der Ueberzeugungen ausgesprochen, die er selbst in schwerer Gedankenarbeit sich zur Klarheit ge¬ bracht hatte. Doch er ging auch weiter; in seinem Commentar zum Jesaias sagt er ganz direkt: „Das Evangelium, das wir haben, erachte ich, haben Hus und Hieronymus uns mit ihrem Blute erkauft" und erkennt so die böhmischen Reformatoren als Vorarbeiter für sein Werk unzweideutig an. In der Reformationszeit wurden deshalb auch die Werke von Hus und Hieronymus gesammelt und gedruckt, und die allgemeine Sympathie gab jenen beiden Sagen den Ursprung, deren eine Hieronymus seine Richter in 100 Jahren vor Gottes Richterstuhl berufen läßt, während die andere an- knüpfend an die Bedeutung des Namens Hus im Czechischen diesen noch auf dem Scheiterhaufen sagen läßt: „heut bratet ihr eine Gans, aber in 100 Jahren wird kommen ein Schwan, den werdet ihr ungebraten lassen." *) Beides ") ES sei hierzu bemerkt, daß allerdings Kuh im Czechischen die Gans heißt, aber nicht etwa. Wie vielfach geglaubt wird, auch inter der Schwan. Die Entstehungszeit der Sage vermag ich nicht anzugeben. In der Aufgabe von Hus' Werken, 1bS8, ist das beigegebene Bild von Hus mit lateinischen Distichen geziert, welche Hus als die weiße Gans feiern. Wäre damals jene Ge» schichte schon bekannt gewesen, man hätte sich schwerlich die Antithese des Schwanes entgehen lassen. Grenzboten II. 1870. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/207>, abgerufen am 04.05.2024.