Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Was neue französische Ministerium und die Situation in Paris.

Das Ministerium Ollivier ist gefallen und zwar mit Schmach und Schimpf.
Diese Blätter haben von Anfang an, während der größte Theil der liberalen
Presse das soi-clisant liberal gewordene Kaiserthum mit Beifall begrüßte,
darauf hingewiesen, daß der für baare Münze genommenen Bekehrung des
Kaisers jede Bürgschaft fehle, daß der nominelle Chef des Cabinets ein be¬
gabter Redner, aber eitler Mann sei, der niemals eine Probe staatsmänni¬
scher Befähigung gegeben habe, daß der Kaiser kein wesentliches Attribut
seiner persönlichen Machtvollkommenheit außer Händen gegeben und demnach
das Ministerium immer nur brauchen werde, um sich für seine Politik zu decken.
Wir haben unter den vorigen Ministern nur eine Ausnahme statuirt, näm¬
lich den Grafen Daru und bereits unmittelbar nach der Constituirung des
Cabinets betont, daß dieser Mann die einzige Garantie einer unabhängigen
Politik sei; wir haben dann, als derselbe sich in Folge des beschlossenen Ple¬
biscits zurückzog, wiederholt bemerkt, daß nunmehr die Wiederherstellung des
persönlichen Regiments eine vollendete Thatsache sei und Ollivier nur als
gefügiges Werkzeug desselben gelten könne, um der Kammer die Decrete des
Kaisers mundgerecht zu machen. Man würde diesem traurigen Politiker Un¬
recht thun, wenn man ihn der Falschheit anklagte. Als er Ende Juni im
Lorxs 16sis1g,til erklärte, der Friede sei niemals so gesichert gewesen als jetzt,
wußte er von den Plänen der kaiserlichen Camarilla nichts; man erachtete es
nicht mehr für erforderlich, ihn auch nur um seine Ansicht zu fragen. Der
Kaiser hatte den Kriegsminister Leboeuf und den Marineminister Rigault
aus dem früheren Cabinet herübergenommen, er ergänzte dieselben jetzt durch
die Berufung des Herzogs v. Grammont, eines willfährigen Dieners, von
dem wir am 15. Juni (p. 374) bemerkten, seine Bedeutung sei einzig die,
daß Napoleon die auswärtige Politik wieder selbst machen wolle. Und er
hat es gethan. Alles, was Grammont und Ollivier gesagt und geschrieben,
geschah nur auf Befehl von oben. Von drei Seiten sah der Kaiser sich bei
jenem plötzlichen Ausbruch der Opposition im Juli vorigen Jahres bedroht,


Grenzboten III. 1870. 38
Was neue französische Ministerium und die Situation in Paris.

Das Ministerium Ollivier ist gefallen und zwar mit Schmach und Schimpf.
Diese Blätter haben von Anfang an, während der größte Theil der liberalen
Presse das soi-clisant liberal gewordene Kaiserthum mit Beifall begrüßte,
darauf hingewiesen, daß der für baare Münze genommenen Bekehrung des
Kaisers jede Bürgschaft fehle, daß der nominelle Chef des Cabinets ein be¬
gabter Redner, aber eitler Mann sei, der niemals eine Probe staatsmänni¬
scher Befähigung gegeben habe, daß der Kaiser kein wesentliches Attribut
seiner persönlichen Machtvollkommenheit außer Händen gegeben und demnach
das Ministerium immer nur brauchen werde, um sich für seine Politik zu decken.
Wir haben unter den vorigen Ministern nur eine Ausnahme statuirt, näm¬
lich den Grafen Daru und bereits unmittelbar nach der Constituirung des
Cabinets betont, daß dieser Mann die einzige Garantie einer unabhängigen
Politik sei; wir haben dann, als derselbe sich in Folge des beschlossenen Ple¬
biscits zurückzog, wiederholt bemerkt, daß nunmehr die Wiederherstellung des
persönlichen Regiments eine vollendete Thatsache sei und Ollivier nur als
gefügiges Werkzeug desselben gelten könne, um der Kammer die Decrete des
Kaisers mundgerecht zu machen. Man würde diesem traurigen Politiker Un¬
recht thun, wenn man ihn der Falschheit anklagte. Als er Ende Juni im
Lorxs 16sis1g,til erklärte, der Friede sei niemals so gesichert gewesen als jetzt,
wußte er von den Plänen der kaiserlichen Camarilla nichts; man erachtete es
nicht mehr für erforderlich, ihn auch nur um seine Ansicht zu fragen. Der
Kaiser hatte den Kriegsminister Leboeuf und den Marineminister Rigault
aus dem früheren Cabinet herübergenommen, er ergänzte dieselben jetzt durch
die Berufung des Herzogs v. Grammont, eines willfährigen Dieners, von
dem wir am 15. Juni (p. 374) bemerkten, seine Bedeutung sei einzig die,
daß Napoleon die auswärtige Politik wieder selbst machen wolle. Und er
hat es gethan. Alles, was Grammont und Ollivier gesagt und geschrieben,
geschah nur auf Befehl von oben. Von drei Seiten sah der Kaiser sich bei
jenem plötzlichen Ausbruch der Opposition im Juli vorigen Jahres bedroht,


Grenzboten III. 1870. 38
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0297" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124447"/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Was neue französische Ministerium und die Situation in Paris.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_859" next="#ID_860"> Das Ministerium Ollivier ist gefallen und zwar mit Schmach und Schimpf.<lb/>
Diese Blätter haben von Anfang an, während der größte Theil der liberalen<lb/>
Presse das soi-clisant liberal gewordene Kaiserthum mit Beifall begrüßte,<lb/>
darauf hingewiesen, daß der für baare Münze genommenen Bekehrung des<lb/>
Kaisers jede Bürgschaft fehle, daß der nominelle Chef des Cabinets ein be¬<lb/>
gabter Redner, aber eitler Mann sei, der niemals eine Probe staatsmänni¬<lb/>
scher Befähigung gegeben habe, daß der Kaiser kein wesentliches Attribut<lb/>
seiner persönlichen Machtvollkommenheit außer Händen gegeben und demnach<lb/>
das Ministerium immer nur brauchen werde, um sich für seine Politik zu decken.<lb/>
Wir haben unter den vorigen Ministern nur eine Ausnahme statuirt, näm¬<lb/>
lich den Grafen Daru und bereits unmittelbar nach der Constituirung des<lb/>
Cabinets betont, daß dieser Mann die einzige Garantie einer unabhängigen<lb/>
Politik sei; wir haben dann, als derselbe sich in Folge des beschlossenen Ple¬<lb/>
biscits zurückzog, wiederholt bemerkt, daß nunmehr die Wiederherstellung des<lb/>
persönlichen Regiments eine vollendete Thatsache sei und Ollivier nur als<lb/>
gefügiges Werkzeug desselben gelten könne, um der Kammer die Decrete des<lb/>
Kaisers mundgerecht zu machen. Man würde diesem traurigen Politiker Un¬<lb/>
recht thun, wenn man ihn der Falschheit anklagte. Als er Ende Juni im<lb/>
Lorxs 16sis1g,til erklärte, der Friede sei niemals so gesichert gewesen als jetzt,<lb/>
wußte er von den Plänen der kaiserlichen Camarilla nichts; man erachtete es<lb/>
nicht mehr für erforderlich, ihn auch nur um seine Ansicht zu fragen. Der<lb/>
Kaiser hatte den Kriegsminister Leboeuf und den Marineminister Rigault<lb/>
aus dem früheren Cabinet herübergenommen, er ergänzte dieselben jetzt durch<lb/>
die Berufung des Herzogs v. Grammont, eines willfährigen Dieners, von<lb/>
dem wir am 15. Juni (p. 374) bemerkten, seine Bedeutung sei einzig die,<lb/>
daß Napoleon die auswärtige Politik wieder selbst machen wolle. Und er<lb/>
hat es gethan. Alles, was Grammont und Ollivier gesagt und geschrieben,<lb/>
geschah nur auf Befehl von oben. Von drei Seiten sah der Kaiser sich bei<lb/>
jenem plötzlichen Ausbruch der Opposition im Juli vorigen Jahres bedroht,</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 1870. 38</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0297] Was neue französische Ministerium und die Situation in Paris. Das Ministerium Ollivier ist gefallen und zwar mit Schmach und Schimpf. Diese Blätter haben von Anfang an, während der größte Theil der liberalen Presse das soi-clisant liberal gewordene Kaiserthum mit Beifall begrüßte, darauf hingewiesen, daß der für baare Münze genommenen Bekehrung des Kaisers jede Bürgschaft fehle, daß der nominelle Chef des Cabinets ein be¬ gabter Redner, aber eitler Mann sei, der niemals eine Probe staatsmänni¬ scher Befähigung gegeben habe, daß der Kaiser kein wesentliches Attribut seiner persönlichen Machtvollkommenheit außer Händen gegeben und demnach das Ministerium immer nur brauchen werde, um sich für seine Politik zu decken. Wir haben unter den vorigen Ministern nur eine Ausnahme statuirt, näm¬ lich den Grafen Daru und bereits unmittelbar nach der Constituirung des Cabinets betont, daß dieser Mann die einzige Garantie einer unabhängigen Politik sei; wir haben dann, als derselbe sich in Folge des beschlossenen Ple¬ biscits zurückzog, wiederholt bemerkt, daß nunmehr die Wiederherstellung des persönlichen Regiments eine vollendete Thatsache sei und Ollivier nur als gefügiges Werkzeug desselben gelten könne, um der Kammer die Decrete des Kaisers mundgerecht zu machen. Man würde diesem traurigen Politiker Un¬ recht thun, wenn man ihn der Falschheit anklagte. Als er Ende Juni im Lorxs 16sis1g,til erklärte, der Friede sei niemals so gesichert gewesen als jetzt, wußte er von den Plänen der kaiserlichen Camarilla nichts; man erachtete es nicht mehr für erforderlich, ihn auch nur um seine Ansicht zu fragen. Der Kaiser hatte den Kriegsminister Leboeuf und den Marineminister Rigault aus dem früheren Cabinet herübergenommen, er ergänzte dieselben jetzt durch die Berufung des Herzogs v. Grammont, eines willfährigen Dieners, von dem wir am 15. Juni (p. 374) bemerkten, seine Bedeutung sei einzig die, daß Napoleon die auswärtige Politik wieder selbst machen wolle. Und er hat es gethan. Alles, was Grammont und Ollivier gesagt und geschrieben, geschah nur auf Befehl von oben. Von drei Seiten sah der Kaiser sich bei jenem plötzlichen Ausbruch der Opposition im Juli vorigen Jahres bedroht, Grenzboten III. 1870. 38

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/297
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/297>, abgerufen am 06.05.2024.