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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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von der republikanisch-unversöhnlichen Partei, von der liberal-parlamentari¬
schen und von der dhnastisch-reactionären. Die erste ruinirte sich rasch durch
ihre eigene Maßlosigkeit, die zweite durch die einfältige Gutmüthigkeit, mit
der sie Ollivier's tönenden Redeschwall für baare Münze nahm und durch
das Plebiscit. Der dritten Partei gehörte Napoleon selbst an; er kannte
Frankreich zu gut, um nicht zu wissen, daß die Opposition viel weniger auf
wahrer Liebe für ein konstitutionelles Regiment beruhte, als auf dieser Erbitte¬
rung über das in Mexico und Sadowa verlorene militärische Prestige, und
er war, wie die unvorsichtige Aeußerung Rouher's bei Überreichung der
Senatsadresse zeigte, längst entschlossen, dasselbe mit den Waffen wiederherzu¬
stellen, weil er es ganz richtig als die Bedingung des persönlichen Regiments
erkannte. Eben deshalb waren auch die einsichtigen französischen Liberalen
gegen den Krieg; so sagte z. B. Thiers dem Schreiber dieser Zeilen im
Frühling 1868: suis Wut ir fgit xour ig. Mix, egr uns Zuerrö meins
vietorieuss us pourruit aboutir on's, Ja> xerpötuation inMünie du Muvör-
llement, xsrsoiuuzl.

Dies erklärt aber auch das plötzliche Austreten Grammont's am 6. Juli
im Lorps lÜAisIsM, von dem sofort Arago mit richtigem Instinct sagte, es
sei eine Kriegserklärung gegen Preußen. Man begann mit einer Erklärung,
welche so gegen alles diplomatische Herkommen verstieß, so sehr die natio¬
nalen Leidenschaften erregte, daß man, als Preußen bis an die äußerste Grenze
des Entgegenkommens gegangen war, doch nicht mehr glaubte zurück zu können
und daher den Kriegsfall um eine Etiquettenfrage herbeiführte, eine Frivoli¬
tät, welche ganz Deutschland einig machte und die übelwollenden Neutralen
brach legte.

Aber dem frevelhaften Uebermuth, mit dem Ollivier und Grammont den
Conflict provocirt, entspricht die Feigheit, die sie in der Stunde der Gefahr
zeigen. Die ersten deutschen Siege warfen das Cabinet wie ein Kartenhaus
um. Ollivier, der in der Sitzung vom 16. Juli vermessen die ganze Ver¬
antwortlichkeit des Krieges auf sich genommen, erläßt eine verzweifelte Pro-
clamation nach der andern, haranguirt a, ig. Lamartine das Volk vom
Balcon seines Ministeriums, beschwört seinen alten Gegner Rouher, die frü¬
here Feindschaft zu vergessen, überläßt ihm bereitwillig die ganze eigentliche
Führung und gibt dann nach dem ersten Sturm des Unwillens im Lorps
l^gislgtik seine Entlassung. Die Geschichte aber wird diesen Versuch der
Männer, welche Frankreich ins Verderben gestürzt haben, sich der Verant¬
wortlichkeit dadurch zu entziehen, daß sie die Last der Liquidation des Ban-
kerotts auf andere Schultern wälzen, voraussichtlich nicht ratificiren.

Ob das vom Grafen P alikao gebildete Ministerium seiner ungeheuern
Aufgabe gewachsen sein wird, ist wohl mehr als zweifelhaft. Zunächst fällt


von der republikanisch-unversöhnlichen Partei, von der liberal-parlamentari¬
schen und von der dhnastisch-reactionären. Die erste ruinirte sich rasch durch
ihre eigene Maßlosigkeit, die zweite durch die einfältige Gutmüthigkeit, mit
der sie Ollivier's tönenden Redeschwall für baare Münze nahm und durch
das Plebiscit. Der dritten Partei gehörte Napoleon selbst an; er kannte
Frankreich zu gut, um nicht zu wissen, daß die Opposition viel weniger auf
wahrer Liebe für ein konstitutionelles Regiment beruhte, als auf dieser Erbitte¬
rung über das in Mexico und Sadowa verlorene militärische Prestige, und
er war, wie die unvorsichtige Aeußerung Rouher's bei Überreichung der
Senatsadresse zeigte, längst entschlossen, dasselbe mit den Waffen wiederherzu¬
stellen, weil er es ganz richtig als die Bedingung des persönlichen Regiments
erkannte. Eben deshalb waren auch die einsichtigen französischen Liberalen
gegen den Krieg; so sagte z. B. Thiers dem Schreiber dieser Zeilen im
Frühling 1868: suis Wut ir fgit xour ig. Mix, egr uns Zuerrö meins
vietorieuss us pourruit aboutir on's, Ja> xerpötuation inMünie du Muvör-
llement, xsrsoiuuzl.

Dies erklärt aber auch das plötzliche Austreten Grammont's am 6. Juli
im Lorps lÜAisIsM, von dem sofort Arago mit richtigem Instinct sagte, es
sei eine Kriegserklärung gegen Preußen. Man begann mit einer Erklärung,
welche so gegen alles diplomatische Herkommen verstieß, so sehr die natio¬
nalen Leidenschaften erregte, daß man, als Preußen bis an die äußerste Grenze
des Entgegenkommens gegangen war, doch nicht mehr glaubte zurück zu können
und daher den Kriegsfall um eine Etiquettenfrage herbeiführte, eine Frivoli¬
tät, welche ganz Deutschland einig machte und die übelwollenden Neutralen
brach legte.

Aber dem frevelhaften Uebermuth, mit dem Ollivier und Grammont den
Conflict provocirt, entspricht die Feigheit, die sie in der Stunde der Gefahr
zeigen. Die ersten deutschen Siege warfen das Cabinet wie ein Kartenhaus
um. Ollivier, der in der Sitzung vom 16. Juli vermessen die ganze Ver¬
antwortlichkeit des Krieges auf sich genommen, erläßt eine verzweifelte Pro-
clamation nach der andern, haranguirt a, ig. Lamartine das Volk vom
Balcon seines Ministeriums, beschwört seinen alten Gegner Rouher, die frü¬
here Feindschaft zu vergessen, überläßt ihm bereitwillig die ganze eigentliche
Führung und gibt dann nach dem ersten Sturm des Unwillens im Lorps
l^gislgtik seine Entlassung. Die Geschichte aber wird diesen Versuch der
Männer, welche Frankreich ins Verderben gestürzt haben, sich der Verant¬
wortlichkeit dadurch zu entziehen, daß sie die Last der Liquidation des Ban-
kerotts auf andere Schultern wälzen, voraussichtlich nicht ratificiren.

Ob das vom Grafen P alikao gebildete Ministerium seiner ungeheuern
Aufgabe gewachsen sein wird, ist wohl mehr als zweifelhaft. Zunächst fällt


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[0298] von der republikanisch-unversöhnlichen Partei, von der liberal-parlamentari¬ schen und von der dhnastisch-reactionären. Die erste ruinirte sich rasch durch ihre eigene Maßlosigkeit, die zweite durch die einfältige Gutmüthigkeit, mit der sie Ollivier's tönenden Redeschwall für baare Münze nahm und durch das Plebiscit. Der dritten Partei gehörte Napoleon selbst an; er kannte Frankreich zu gut, um nicht zu wissen, daß die Opposition viel weniger auf wahrer Liebe für ein konstitutionelles Regiment beruhte, als auf dieser Erbitte¬ rung über das in Mexico und Sadowa verlorene militärische Prestige, und er war, wie die unvorsichtige Aeußerung Rouher's bei Überreichung der Senatsadresse zeigte, längst entschlossen, dasselbe mit den Waffen wiederherzu¬ stellen, weil er es ganz richtig als die Bedingung des persönlichen Regiments erkannte. Eben deshalb waren auch die einsichtigen französischen Liberalen gegen den Krieg; so sagte z. B. Thiers dem Schreiber dieser Zeilen im Frühling 1868: suis Wut ir fgit xour ig. Mix, egr uns Zuerrö meins vietorieuss us pourruit aboutir on's, Ja> xerpötuation inMünie du Muvör- llement, xsrsoiuuzl. Dies erklärt aber auch das plötzliche Austreten Grammont's am 6. Juli im Lorps lÜAisIsM, von dem sofort Arago mit richtigem Instinct sagte, es sei eine Kriegserklärung gegen Preußen. Man begann mit einer Erklärung, welche so gegen alles diplomatische Herkommen verstieß, so sehr die natio¬ nalen Leidenschaften erregte, daß man, als Preußen bis an die äußerste Grenze des Entgegenkommens gegangen war, doch nicht mehr glaubte zurück zu können und daher den Kriegsfall um eine Etiquettenfrage herbeiführte, eine Frivoli¬ tät, welche ganz Deutschland einig machte und die übelwollenden Neutralen brach legte. Aber dem frevelhaften Uebermuth, mit dem Ollivier und Grammont den Conflict provocirt, entspricht die Feigheit, die sie in der Stunde der Gefahr zeigen. Die ersten deutschen Siege warfen das Cabinet wie ein Kartenhaus um. Ollivier, der in der Sitzung vom 16. Juli vermessen die ganze Ver¬ antwortlichkeit des Krieges auf sich genommen, erläßt eine verzweifelte Pro- clamation nach der andern, haranguirt a, ig. Lamartine das Volk vom Balcon seines Ministeriums, beschwört seinen alten Gegner Rouher, die frü¬ here Feindschaft zu vergessen, überläßt ihm bereitwillig die ganze eigentliche Führung und gibt dann nach dem ersten Sturm des Unwillens im Lorps l^gislgtik seine Entlassung. Die Geschichte aber wird diesen Versuch der Männer, welche Frankreich ins Verderben gestürzt haben, sich der Verant¬ wortlichkeit dadurch zu entziehen, daß sie die Last der Liquidation des Ban- kerotts auf andere Schultern wälzen, voraussichtlich nicht ratificiren. Ob das vom Grafen P alikao gebildete Ministerium seiner ungeheuern Aufgabe gewachsen sein wird, ist wohl mehr als zweifelhaft. Zunächst fällt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/298>, abgerufen am 26.05.2024.