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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Skandinavien und der deutsch-franMsche Krieg.

Die Regierungen in Stockholm und Kopenhagen sind nicht zuletzt in
das Geheimniß der französischen Kriegsabstcht eingeweiht worden; denn der
Krieg war kaum erklärt, als man die Rückkehr des Grafen Wachtmeister,
schwedischen Ministers des Auswärtigen, und des General Raaslöff. früheren
dänischen Kriegsministers, aus Paris erfuhr, wohin sie gereist waren, ohne
daß öffentlich etwas verlautet hätte. Wir dürfen daher annehmen, entweder
daß der Kaiser Napoleon die beiden Höfe um Absendung eines Vertrauens¬
mannes ersucht hatte, oder daß die Höfe selbst auf gewisse verfängliche Er¬
öffnungen sich -- vorsichtiger als Graf Benedetti -- lieber mündlich als
schriftlich auslassen wollten. Auf den Inhalt der damals abgegebenen Er¬
klärungen läßt das nachfolgende Verhalten Dänemarks und Schwedens schlie¬
ßen. Dänemark kann nicht anders als seine Bereitschaft und Willigkeit er¬
klärt haben, in den Kampf gegen Preußen oder Deutschland miteinzutreten,
vorausgesetzt, daß die beiden neutral bleibenden nachbarlichen Großmächte
England und Rußland es nicht niederhielten, oder daß in diesem Fall die
französische Flotte den Auftrag empfinge, durch die mächtigere unmittelbare
Wirkung ihrer Gegenwart mit scheinbarem Druck und Zwange die Rücksichten
zu übertönen, welche man Rußland und England schuldig war. König
Karl XV. von Schweden und Norwegen hätte für seine Person gewiß lei¬
denschaftlich gern eine gleichartige Versicherung ertheilt; aber er verfügt nicht
sonderlich frei über eine ohnehin ziemlich schwache Aggressivkraft, und mußte
wie Oestreich fürchten, Rußland zu entfesseln, sobald er sich am Kriege be¬
theiligte. Was hätte in der That der russischen Politik, die nach ein paar
der nördlichen norwegischen Häfen zum Behuf der Erlangung freien oceani¬
schen Verkehrs trachtet, gelegener kommen können als die Verwickelung Skan¬
dinaviens in diesen Krieg, der keine Landmacht in Europa übrig ließ, um
gegen den Einmarsch russischer Truppen in Finmarken wirksam zu Protestiren?
Rußlands sofortige unprovocirte Theilnahme am Kriege auf Preußens Seite,
von der gleich nach der Enthüllung der französischen Pläne ein Berliner
Börsenblatt fabelte, hätte umgekehrt unzweifelhaft den Uebergang Schweden-
Norwegens und Dänemarks ins entgegengesetzte Lager nach sich gezogen.
Dann wäre dort die skandinavische Einheit, vergrößert durch ein tüchtiges
Stück von Schleswig, als Kampfziel aufgestellt worden, und der Krieg hätte
das ganze nördliche Europa ergriffen.

Rußlands Neutralität ist uus unendlich viel werthvoller, als seine directe


Skandinavien und der deutsch-franMsche Krieg.

Die Regierungen in Stockholm und Kopenhagen sind nicht zuletzt in
das Geheimniß der französischen Kriegsabstcht eingeweiht worden; denn der
Krieg war kaum erklärt, als man die Rückkehr des Grafen Wachtmeister,
schwedischen Ministers des Auswärtigen, und des General Raaslöff. früheren
dänischen Kriegsministers, aus Paris erfuhr, wohin sie gereist waren, ohne
daß öffentlich etwas verlautet hätte. Wir dürfen daher annehmen, entweder
daß der Kaiser Napoleon die beiden Höfe um Absendung eines Vertrauens¬
mannes ersucht hatte, oder daß die Höfe selbst auf gewisse verfängliche Er¬
öffnungen sich — vorsichtiger als Graf Benedetti — lieber mündlich als
schriftlich auslassen wollten. Auf den Inhalt der damals abgegebenen Er¬
klärungen läßt das nachfolgende Verhalten Dänemarks und Schwedens schlie¬
ßen. Dänemark kann nicht anders als seine Bereitschaft und Willigkeit er¬
klärt haben, in den Kampf gegen Preußen oder Deutschland miteinzutreten,
vorausgesetzt, daß die beiden neutral bleibenden nachbarlichen Großmächte
England und Rußland es nicht niederhielten, oder daß in diesem Fall die
französische Flotte den Auftrag empfinge, durch die mächtigere unmittelbare
Wirkung ihrer Gegenwart mit scheinbarem Druck und Zwange die Rücksichten
zu übertönen, welche man Rußland und England schuldig war. König
Karl XV. von Schweden und Norwegen hätte für seine Person gewiß lei¬
denschaftlich gern eine gleichartige Versicherung ertheilt; aber er verfügt nicht
sonderlich frei über eine ohnehin ziemlich schwache Aggressivkraft, und mußte
wie Oestreich fürchten, Rußland zu entfesseln, sobald er sich am Kriege be¬
theiligte. Was hätte in der That der russischen Politik, die nach ein paar
der nördlichen norwegischen Häfen zum Behuf der Erlangung freien oceani¬
schen Verkehrs trachtet, gelegener kommen können als die Verwickelung Skan¬
dinaviens in diesen Krieg, der keine Landmacht in Europa übrig ließ, um
gegen den Einmarsch russischer Truppen in Finmarken wirksam zu Protestiren?
Rußlands sofortige unprovocirte Theilnahme am Kriege auf Preußens Seite,
von der gleich nach der Enthüllung der französischen Pläne ein Berliner
Börsenblatt fabelte, hätte umgekehrt unzweifelhaft den Uebergang Schweden-
Norwegens und Dänemarks ins entgegengesetzte Lager nach sich gezogen.
Dann wäre dort die skandinavische Einheit, vergrößert durch ein tüchtiges
Stück von Schleswig, als Kampfziel aufgestellt worden, und der Krieg hätte
das ganze nördliche Europa ergriffen.

Rußlands Neutralität ist uus unendlich viel werthvoller, als seine directe


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[0319] Skandinavien und der deutsch-franMsche Krieg. Die Regierungen in Stockholm und Kopenhagen sind nicht zuletzt in das Geheimniß der französischen Kriegsabstcht eingeweiht worden; denn der Krieg war kaum erklärt, als man die Rückkehr des Grafen Wachtmeister, schwedischen Ministers des Auswärtigen, und des General Raaslöff. früheren dänischen Kriegsministers, aus Paris erfuhr, wohin sie gereist waren, ohne daß öffentlich etwas verlautet hätte. Wir dürfen daher annehmen, entweder daß der Kaiser Napoleon die beiden Höfe um Absendung eines Vertrauens¬ mannes ersucht hatte, oder daß die Höfe selbst auf gewisse verfängliche Er¬ öffnungen sich — vorsichtiger als Graf Benedetti — lieber mündlich als schriftlich auslassen wollten. Auf den Inhalt der damals abgegebenen Er¬ klärungen läßt das nachfolgende Verhalten Dänemarks und Schwedens schlie¬ ßen. Dänemark kann nicht anders als seine Bereitschaft und Willigkeit er¬ klärt haben, in den Kampf gegen Preußen oder Deutschland miteinzutreten, vorausgesetzt, daß die beiden neutral bleibenden nachbarlichen Großmächte England und Rußland es nicht niederhielten, oder daß in diesem Fall die französische Flotte den Auftrag empfinge, durch die mächtigere unmittelbare Wirkung ihrer Gegenwart mit scheinbarem Druck und Zwange die Rücksichten zu übertönen, welche man Rußland und England schuldig war. König Karl XV. von Schweden und Norwegen hätte für seine Person gewiß lei¬ denschaftlich gern eine gleichartige Versicherung ertheilt; aber er verfügt nicht sonderlich frei über eine ohnehin ziemlich schwache Aggressivkraft, und mußte wie Oestreich fürchten, Rußland zu entfesseln, sobald er sich am Kriege be¬ theiligte. Was hätte in der That der russischen Politik, die nach ein paar der nördlichen norwegischen Häfen zum Behuf der Erlangung freien oceani¬ schen Verkehrs trachtet, gelegener kommen können als die Verwickelung Skan¬ dinaviens in diesen Krieg, der keine Landmacht in Europa übrig ließ, um gegen den Einmarsch russischer Truppen in Finmarken wirksam zu Protestiren? Rußlands sofortige unprovocirte Theilnahme am Kriege auf Preußens Seite, von der gleich nach der Enthüllung der französischen Pläne ein Berliner Börsenblatt fabelte, hätte umgekehrt unzweifelhaft den Uebergang Schweden- Norwegens und Dänemarks ins entgegengesetzte Lager nach sich gezogen. Dann wäre dort die skandinavische Einheit, vergrößert durch ein tüchtiges Stück von Schleswig, als Kampfziel aufgestellt worden, und der Krieg hätte das ganze nördliche Europa ergriffen. Rußlands Neutralität ist uus unendlich viel werthvoller, als seine directe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/319>, abgerufen am 06.05.2024.