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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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militärische Hilfe hätte werden können. Wie Frankreich 1866, wäre es ein
sehr unbequemer Bundesgenosse gewesen, während es in den Reihen der neu¬
tralen Mächte uns Dienste leistet, zu denen England mit seiner im Freihandel
und Frieden verkommenen Politik niemals im Stande gewesen sein würde;
und wenn diese Haltung abermals das Verdienst des Grafen Bismarck ist,
so können wir uns eines solchen Führers nicht genug getrösten und rühmen.
Die Furcht vor der englischen Flotte hätte in Kopenhagen schwerlich hin¬
reichenden Eindruck gemacht, um Volk, Presse und Regierung gegen Frank¬
reichs Verlockungen zu feien. Die russische Diplomatie hat wirksamere
Waffen in ihrem Arsenal und wird dieselben nicht gespart haben. Sie läßt
in diesem Augenblick den Großfürsten Thronfolger in Kopenhagen erscheinen,
dessen notorischen brutalen Deutschenhaß ihn den Dänen annehmbar machen
muß, der aber gegenwärtig doch schon durch seine bloße Anwesenheit bei sei¬
nem königlichen Schwiegervater das Gewicht der von Petersburg her er-
gangenen Warnungen verstärken muß. Die dänische Presse hat ihn denn
auch bereits vor seiner Ankunft mit ihrem bekannten Freimuth aufgefordert,
sich so schleunigst wie möglich wieder zu trollen. Sollte der junge Mann
sich jemals zu einer veränderten Anschauung von Dänen und Deutschen be¬
kehren, so würde man es wohl dieser ungewohnten Zumuthung zu danken
haben. Auch sein britischer Schwager freilich, der Prinz von Wales, der vor
ihm da war, erhielt die fragliche öffentliche Aufforderung; allein für ihn ist
es längst keine neue Empfindung mehr, sich schwarz auf weiß vor Jeder¬
manns Augen zurechtgesetzt zu sehen, und er hat sich auch wirklich bald wie¬
der aus dem Staube gemacht.

Das Erscheinen der französischen Panzerflotte hätte nun alle diese ab¬
wiegelnden Rücksichten überwältigen sollen. Daß dies die Verabredung
zwischen Paris und Kopenhagen war, ersah man deutlich aus den einge¬
weihten dänischen Blättern, die Dänemarks Entschluß für diesen Moment in
Aussicht stellten und auf denselben stufenweise vorbereiteten; man kann es
auch folgern aus dem halbfertigen Zustande, in welchem die erste Abtheilung
gerades Weges von Cherbourg oder Brest nach dem Sunde ausgelaufen zu
sein scheint. Aber der große Augenblick ging gleichwohl ungenutzt vorüber.
Die Kopenhagener Lärmmacher, von ihren Freunden in der Regierung ge¬
warnt, setzten den schon arrangirten Spektakel weislich nicht in Scene. Wes¬
halb? Man kann darüber nur Vermuthungen äußern, entweder daß Ru߬
land für diese Gelegenheit ein paar besonders starke Trümpfe aufgespart hatte,
oder daß der rasche Aufmarsch des deutschen Küstenheers in seiner jede mög¬
liche französische Truppenlandung weit überbietendem Stärke, zusammen mit der
Erinnerung an den einstigen unerwarteten Uebergang der Preußen nach Alsen,
Dänemark denn doch der Rache Deutschlands allzu sehr blosgestellt erscheinen ließ.


militärische Hilfe hätte werden können. Wie Frankreich 1866, wäre es ein
sehr unbequemer Bundesgenosse gewesen, während es in den Reihen der neu¬
tralen Mächte uns Dienste leistet, zu denen England mit seiner im Freihandel
und Frieden verkommenen Politik niemals im Stande gewesen sein würde;
und wenn diese Haltung abermals das Verdienst des Grafen Bismarck ist,
so können wir uns eines solchen Führers nicht genug getrösten und rühmen.
Die Furcht vor der englischen Flotte hätte in Kopenhagen schwerlich hin¬
reichenden Eindruck gemacht, um Volk, Presse und Regierung gegen Frank¬
reichs Verlockungen zu feien. Die russische Diplomatie hat wirksamere
Waffen in ihrem Arsenal und wird dieselben nicht gespart haben. Sie läßt
in diesem Augenblick den Großfürsten Thronfolger in Kopenhagen erscheinen,
dessen notorischen brutalen Deutschenhaß ihn den Dänen annehmbar machen
muß, der aber gegenwärtig doch schon durch seine bloße Anwesenheit bei sei¬
nem königlichen Schwiegervater das Gewicht der von Petersburg her er-
gangenen Warnungen verstärken muß. Die dänische Presse hat ihn denn
auch bereits vor seiner Ankunft mit ihrem bekannten Freimuth aufgefordert,
sich so schleunigst wie möglich wieder zu trollen. Sollte der junge Mann
sich jemals zu einer veränderten Anschauung von Dänen und Deutschen be¬
kehren, so würde man es wohl dieser ungewohnten Zumuthung zu danken
haben. Auch sein britischer Schwager freilich, der Prinz von Wales, der vor
ihm da war, erhielt die fragliche öffentliche Aufforderung; allein für ihn ist
es längst keine neue Empfindung mehr, sich schwarz auf weiß vor Jeder¬
manns Augen zurechtgesetzt zu sehen, und er hat sich auch wirklich bald wie¬
der aus dem Staube gemacht.

Das Erscheinen der französischen Panzerflotte hätte nun alle diese ab¬
wiegelnden Rücksichten überwältigen sollen. Daß dies die Verabredung
zwischen Paris und Kopenhagen war, ersah man deutlich aus den einge¬
weihten dänischen Blättern, die Dänemarks Entschluß für diesen Moment in
Aussicht stellten und auf denselben stufenweise vorbereiteten; man kann es
auch folgern aus dem halbfertigen Zustande, in welchem die erste Abtheilung
gerades Weges von Cherbourg oder Brest nach dem Sunde ausgelaufen zu
sein scheint. Aber der große Augenblick ging gleichwohl ungenutzt vorüber.
Die Kopenhagener Lärmmacher, von ihren Freunden in der Regierung ge¬
warnt, setzten den schon arrangirten Spektakel weislich nicht in Scene. Wes¬
halb? Man kann darüber nur Vermuthungen äußern, entweder daß Ru߬
land für diese Gelegenheit ein paar besonders starke Trümpfe aufgespart hatte,
oder daß der rasche Aufmarsch des deutschen Küstenheers in seiner jede mög¬
liche französische Truppenlandung weit überbietendem Stärke, zusammen mit der
Erinnerung an den einstigen unerwarteten Uebergang der Preußen nach Alsen,
Dänemark denn doch der Rache Deutschlands allzu sehr blosgestellt erscheinen ließ.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/320>, abgerufen am 19.05.2024.