Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Ans München.

Seit die Niederlage der Ultramontanen die Theilnahme Bayerns an
dem gegenwärtigen Kriege gesichert, seit die Gefahr für die deutschen Grenzen
beseitigt war, trat auch bei uns jene Erschlaffung ein, die jedem großen politi¬
schen Kampfe regelmäßig zu folgen pflegt. In keinem deutschen Lande hatte
neben den Rüstungen sür den Krieg eine so große politische Arbeit zu ge¬
schehen, wie gerade in Bayern. München hat diesen Kampf gegen die un¬
nationale Partei, der nur von der Hauptstadt aus mit Erfolg berieben
werden konnte, mit einem Ernst und einer Energie für das Land aufgenom¬
men, die den unmittelbarsten Eindruck auf die Kammermehrheit hervorbrachte
und zur glücklichen Wendung der Dinge gewiß mehr beigetragen hat, als
man auswärts vermuthet. Es darf also nicht Wunder nehmen, wenn nach
diesen Erfolgen und Verdiensten eine gewisse Erschöpfung sich geltend machte,
die vielfach, aber mit Unrecht als Theilnahmlosigkeit ausgelegt wurde. München
nahm eine etwas frostige Miene an, und selbst die blutigen folgeschweren
Siege von Metz vermochten uns in keine freudige Erregung zu versetzen.
Lagen doch hier die Erfolge nicht so deutlich in eroberten Kanonen und
gefangenen Franzosen ausgedrückt vor Augen, als daß sie Jedermann so¬
fort hätte begreifen können. Welcher Gegensatz zu den letzten großen Sie¬
geskunden ! Als die Nachricht von der Schlacht bei Beaumont hier eintraf, lag
nach langem düstern Regenwetter der erste lachend heitere Herbsttag über
der Stadt. Der lang entbehrte Sonnenschein, die Siegesnachricht, der Um¬
stand, daß auch unsere Bayern an demselben theilgenommen hatten, alles
dies wirkte in glücklichem Verein zusammen. Niemals sah ich München so
heiter und fröhlich; es war ein politischer Feiertag. Niemand arbeitete,
alles herunter auf die Straßen. Die dichten Schaaren, die lachend und
singend die Altstadt durchzogen, riefen: Fahnen heraus! und bald hatten
auch die Häuser sich in das festliche Gewand geworfen, das der Stimmung
der Einwohner entsprach. Während nun ein Theil unserer Aristokratie nur
zögernd und gedrängt von der öffentlichen Meinung sich diesen Ovationen
anschloß, schien dagegen die Bekehrung der Geistlichkeit eine vollständige zu
sein. Wohl zum ersten Male während ihrer hundertjährigen Existenz trugen
die alten Blechhauben der Frauenkirche und selbst der Petersthurm des
Herrn Pfarrer Westermayer, dessen Reden Ihnen aus der Abgeordneten¬
kammer noch erinnerlich sein werden, die deutschen Farben. Auch von dem
erzbischöflichen Palais in der Promenadenstraße wehte es schwarz-roth-golden.


63"
Ans München.

Seit die Niederlage der Ultramontanen die Theilnahme Bayerns an
dem gegenwärtigen Kriege gesichert, seit die Gefahr für die deutschen Grenzen
beseitigt war, trat auch bei uns jene Erschlaffung ein, die jedem großen politi¬
schen Kampfe regelmäßig zu folgen pflegt. In keinem deutschen Lande hatte
neben den Rüstungen sür den Krieg eine so große politische Arbeit zu ge¬
schehen, wie gerade in Bayern. München hat diesen Kampf gegen die un¬
nationale Partei, der nur von der Hauptstadt aus mit Erfolg berieben
werden konnte, mit einem Ernst und einer Energie für das Land aufgenom¬
men, die den unmittelbarsten Eindruck auf die Kammermehrheit hervorbrachte
und zur glücklichen Wendung der Dinge gewiß mehr beigetragen hat, als
man auswärts vermuthet. Es darf also nicht Wunder nehmen, wenn nach
diesen Erfolgen und Verdiensten eine gewisse Erschöpfung sich geltend machte,
die vielfach, aber mit Unrecht als Theilnahmlosigkeit ausgelegt wurde. München
nahm eine etwas frostige Miene an, und selbst die blutigen folgeschweren
Siege von Metz vermochten uns in keine freudige Erregung zu versetzen.
Lagen doch hier die Erfolge nicht so deutlich in eroberten Kanonen und
gefangenen Franzosen ausgedrückt vor Augen, als daß sie Jedermann so¬
fort hätte begreifen können. Welcher Gegensatz zu den letzten großen Sie¬
geskunden ! Als die Nachricht von der Schlacht bei Beaumont hier eintraf, lag
nach langem düstern Regenwetter der erste lachend heitere Herbsttag über
der Stadt. Der lang entbehrte Sonnenschein, die Siegesnachricht, der Um¬
stand, daß auch unsere Bayern an demselben theilgenommen hatten, alles
dies wirkte in glücklichem Verein zusammen. Niemals sah ich München so
heiter und fröhlich; es war ein politischer Feiertag. Niemand arbeitete,
alles herunter auf die Straßen. Die dichten Schaaren, die lachend und
singend die Altstadt durchzogen, riefen: Fahnen heraus! und bald hatten
auch die Häuser sich in das festliche Gewand geworfen, das der Stimmung
der Einwohner entsprach. Während nun ein Theil unserer Aristokratie nur
zögernd und gedrängt von der öffentlichen Meinung sich diesen Ovationen
anschloß, schien dagegen die Bekehrung der Geistlichkeit eine vollständige zu
sein. Wohl zum ersten Male während ihrer hundertjährigen Existenz trugen
die alten Blechhauben der Frauenkirche und selbst der Petersthurm des
Herrn Pfarrer Westermayer, dessen Reden Ihnen aus der Abgeordneten¬
kammer noch erinnerlich sein werden, die deutschen Farben. Auch von dem
erzbischöflichen Palais in der Promenadenstraße wehte es schwarz-roth-golden.


63"
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0495" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124647"/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Ans München.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1427" next="#ID_1428"> Seit die Niederlage der Ultramontanen die Theilnahme Bayerns an<lb/>
dem gegenwärtigen Kriege gesichert, seit die Gefahr für die deutschen Grenzen<lb/>
beseitigt war, trat auch bei uns jene Erschlaffung ein, die jedem großen politi¬<lb/>
schen Kampfe regelmäßig zu folgen pflegt. In keinem deutschen Lande hatte<lb/>
neben den Rüstungen sür den Krieg eine so große politische Arbeit zu ge¬<lb/>
schehen, wie gerade in Bayern. München hat diesen Kampf gegen die un¬<lb/>
nationale Partei, der nur von der Hauptstadt aus mit Erfolg berieben<lb/>
werden konnte, mit einem Ernst und einer Energie für das Land aufgenom¬<lb/>
men, die den unmittelbarsten Eindruck auf die Kammermehrheit hervorbrachte<lb/>
und zur glücklichen Wendung der Dinge gewiß mehr beigetragen hat, als<lb/>
man auswärts vermuthet. Es darf also nicht Wunder nehmen, wenn nach<lb/>
diesen Erfolgen und Verdiensten eine gewisse Erschöpfung sich geltend machte,<lb/>
die vielfach, aber mit Unrecht als Theilnahmlosigkeit ausgelegt wurde. München<lb/>
nahm eine etwas frostige Miene an, und selbst die blutigen folgeschweren<lb/>
Siege von Metz vermochten uns in keine freudige Erregung zu versetzen.<lb/>
Lagen doch hier die Erfolge nicht so deutlich in eroberten Kanonen und<lb/>
gefangenen Franzosen ausgedrückt vor Augen, als daß sie Jedermann so¬<lb/>
fort hätte begreifen können. Welcher Gegensatz zu den letzten großen Sie¬<lb/>
geskunden ! Als die Nachricht von der Schlacht bei Beaumont hier eintraf, lag<lb/>
nach langem düstern Regenwetter der erste lachend heitere Herbsttag über<lb/>
der Stadt. Der lang entbehrte Sonnenschein, die Siegesnachricht, der Um¬<lb/>
stand, daß auch unsere Bayern an demselben theilgenommen hatten, alles<lb/>
dies wirkte in glücklichem Verein zusammen. Niemals sah ich München so<lb/>
heiter und fröhlich; es war ein politischer Feiertag. Niemand arbeitete,<lb/>
alles herunter auf die Straßen. Die dichten Schaaren, die lachend und<lb/>
singend die Altstadt durchzogen, riefen: Fahnen heraus! und bald hatten<lb/>
auch die Häuser sich in das festliche Gewand geworfen, das der Stimmung<lb/>
der Einwohner entsprach. Während nun ein Theil unserer Aristokratie nur<lb/>
zögernd und gedrängt von der öffentlichen Meinung sich diesen Ovationen<lb/>
anschloß, schien dagegen die Bekehrung der Geistlichkeit eine vollständige zu<lb/>
sein. Wohl zum ersten Male während ihrer hundertjährigen Existenz trugen<lb/>
die alten Blechhauben der Frauenkirche und selbst der Petersthurm des<lb/>
Herrn Pfarrer Westermayer, dessen Reden Ihnen aus der Abgeordneten¬<lb/>
kammer noch erinnerlich sein werden, die deutschen Farben. Auch von dem<lb/>
erzbischöflichen Palais in der Promenadenstraße wehte es schwarz-roth-golden.</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 63"</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0495] Ans München. Seit die Niederlage der Ultramontanen die Theilnahme Bayerns an dem gegenwärtigen Kriege gesichert, seit die Gefahr für die deutschen Grenzen beseitigt war, trat auch bei uns jene Erschlaffung ein, die jedem großen politi¬ schen Kampfe regelmäßig zu folgen pflegt. In keinem deutschen Lande hatte neben den Rüstungen sür den Krieg eine so große politische Arbeit zu ge¬ schehen, wie gerade in Bayern. München hat diesen Kampf gegen die un¬ nationale Partei, der nur von der Hauptstadt aus mit Erfolg berieben werden konnte, mit einem Ernst und einer Energie für das Land aufgenom¬ men, die den unmittelbarsten Eindruck auf die Kammermehrheit hervorbrachte und zur glücklichen Wendung der Dinge gewiß mehr beigetragen hat, als man auswärts vermuthet. Es darf also nicht Wunder nehmen, wenn nach diesen Erfolgen und Verdiensten eine gewisse Erschöpfung sich geltend machte, die vielfach, aber mit Unrecht als Theilnahmlosigkeit ausgelegt wurde. München nahm eine etwas frostige Miene an, und selbst die blutigen folgeschweren Siege von Metz vermochten uns in keine freudige Erregung zu versetzen. Lagen doch hier die Erfolge nicht so deutlich in eroberten Kanonen und gefangenen Franzosen ausgedrückt vor Augen, als daß sie Jedermann so¬ fort hätte begreifen können. Welcher Gegensatz zu den letzten großen Sie¬ geskunden ! Als die Nachricht von der Schlacht bei Beaumont hier eintraf, lag nach langem düstern Regenwetter der erste lachend heitere Herbsttag über der Stadt. Der lang entbehrte Sonnenschein, die Siegesnachricht, der Um¬ stand, daß auch unsere Bayern an demselben theilgenommen hatten, alles dies wirkte in glücklichem Verein zusammen. Niemals sah ich München so heiter und fröhlich; es war ein politischer Feiertag. Niemand arbeitete, alles herunter auf die Straßen. Die dichten Schaaren, die lachend und singend die Altstadt durchzogen, riefen: Fahnen heraus! und bald hatten auch die Häuser sich in das festliche Gewand geworfen, das der Stimmung der Einwohner entsprach. Während nun ein Theil unserer Aristokratie nur zögernd und gedrängt von der öffentlichen Meinung sich diesen Ovationen anschloß, schien dagegen die Bekehrung der Geistlichkeit eine vollständige zu sein. Wohl zum ersten Male während ihrer hundertjährigen Existenz trugen die alten Blechhauben der Frauenkirche und selbst der Petersthurm des Herrn Pfarrer Westermayer, dessen Reden Ihnen aus der Abgeordneten¬ kammer noch erinnerlich sein werden, die deutschen Farben. Auch von dem erzbischöflichen Palais in der Promenadenstraße wehte es schwarz-roth-golden. 63"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/495
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/495>, abgerufen am 06.05.2024.