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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Italien im letzten Kalbjaljr 1870.

Die Bestrebungen der Völker, eine nationale Einigung zu erlangen, sind
in den letzten Decennien lebhafter als je hervorgetreten. Sie haben theil-
weise bereits die günstigsten Erfolge erreicht, während die entgegengesetzte
Absicht, Völker der verschiedensten Nationalitäten zu einem Ganzen zu ver¬
einigen, immer mehr den Verfall dieser Konglomerate vorbereitete. So zeigt
sich, daß in Oestreich, wo die Interessen der Theile des Reiches vollständig
auseinandergehen, sich bis jetzt keine Hand gefunden hat, welche die Fäden
in einem gemeinsamen Punkte hätte zusammenspinnen und -knüpfen können,
so viele Mittel auch zur Anwendung gebracht, so verschiedene Versuche auch
gemacht wurden. Immer wieder fiel ein Theil heraus, sonderte sich ein an¬
derer gänzlich ab. Und die Aussichten auf eine Aenderung oder Besserung
dieser Verhältnisse verringern sich fast fortwährend. Freilich haben die Be¬
mühungen der Nationalitäten auch noch nicht alle zu dem gewünschten Ziele
geführt; einzelne Völker sind ihm näher gerückt, bei anderen haben sich schein¬
bar unüberwindliche Schwierigkeiten entgegengestellt. Auch bei diesen ist in¬
dessen vielleicht nur noch eine Frage der Zeit, wann ihre Wünsche erfüllt
werden.' Die mehrmals angestrebte Vereinigung Spaniens mit Portugal zu
einer iberischen Union, ist noch fern von ihrem Ziele.und hat sich in neuester
Zeit noch weiter davon entfernt, nachdem das portugiesische Volk und seine
Dynastie (namentlich Don Fernando, der Vater des Königs) sich entschieden
dagegen erklärt hatten; denn vor Allem war die Uebernahme der spanischen
Schuldenlast abschreckend für sie. Die panslawistischen Bestrebungen in
Nußland ferner haben zwar eine große Rührigkeit und Thätigkeit der Führer
entwickelt, sind aber der Verwirklichung kaum näher gerückt, so daß dieselbe
nicht als bevorstehend bezeichnet werden kann. Auch im Norden ist viel von
der Vereinigung Dänemarks mit Schweden und Norwegen zu einem skandina¬
vischen Reiche gesprochen worden, die ebensowenig in naher Aussicht steht.

Zwei andere Staatengruppen haben dagegen, den Hoffnungen und


Grcuzwtcn 7. 1871. 32
Italien im letzten Kalbjaljr 1870.

Die Bestrebungen der Völker, eine nationale Einigung zu erlangen, sind
in den letzten Decennien lebhafter als je hervorgetreten. Sie haben theil-
weise bereits die günstigsten Erfolge erreicht, während die entgegengesetzte
Absicht, Völker der verschiedensten Nationalitäten zu einem Ganzen zu ver¬
einigen, immer mehr den Verfall dieser Konglomerate vorbereitete. So zeigt
sich, daß in Oestreich, wo die Interessen der Theile des Reiches vollständig
auseinandergehen, sich bis jetzt keine Hand gefunden hat, welche die Fäden
in einem gemeinsamen Punkte hätte zusammenspinnen und -knüpfen können,
so viele Mittel auch zur Anwendung gebracht, so verschiedene Versuche auch
gemacht wurden. Immer wieder fiel ein Theil heraus, sonderte sich ein an¬
derer gänzlich ab. Und die Aussichten auf eine Aenderung oder Besserung
dieser Verhältnisse verringern sich fast fortwährend. Freilich haben die Be¬
mühungen der Nationalitäten auch noch nicht alle zu dem gewünschten Ziele
geführt; einzelne Völker sind ihm näher gerückt, bei anderen haben sich schein¬
bar unüberwindliche Schwierigkeiten entgegengestellt. Auch bei diesen ist in¬
dessen vielleicht nur noch eine Frage der Zeit, wann ihre Wünsche erfüllt
werden.' Die mehrmals angestrebte Vereinigung Spaniens mit Portugal zu
einer iberischen Union, ist noch fern von ihrem Ziele.und hat sich in neuester
Zeit noch weiter davon entfernt, nachdem das portugiesische Volk und seine
Dynastie (namentlich Don Fernando, der Vater des Königs) sich entschieden
dagegen erklärt hatten; denn vor Allem war die Uebernahme der spanischen
Schuldenlast abschreckend für sie. Die panslawistischen Bestrebungen in
Nußland ferner haben zwar eine große Rührigkeit und Thätigkeit der Führer
entwickelt, sind aber der Verwirklichung kaum näher gerückt, so daß dieselbe
nicht als bevorstehend bezeichnet werden kann. Auch im Norden ist viel von
der Vereinigung Dänemarks mit Schweden und Norwegen zu einem skandina¬
vischen Reiche gesprochen worden, die ebensowenig in naher Aussicht steht.

Zwei andere Staatengruppen haben dagegen, den Hoffnungen und


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[0253] Italien im letzten Kalbjaljr 1870. Die Bestrebungen der Völker, eine nationale Einigung zu erlangen, sind in den letzten Decennien lebhafter als je hervorgetreten. Sie haben theil- weise bereits die günstigsten Erfolge erreicht, während die entgegengesetzte Absicht, Völker der verschiedensten Nationalitäten zu einem Ganzen zu ver¬ einigen, immer mehr den Verfall dieser Konglomerate vorbereitete. So zeigt sich, daß in Oestreich, wo die Interessen der Theile des Reiches vollständig auseinandergehen, sich bis jetzt keine Hand gefunden hat, welche die Fäden in einem gemeinsamen Punkte hätte zusammenspinnen und -knüpfen können, so viele Mittel auch zur Anwendung gebracht, so verschiedene Versuche auch gemacht wurden. Immer wieder fiel ein Theil heraus, sonderte sich ein an¬ derer gänzlich ab. Und die Aussichten auf eine Aenderung oder Besserung dieser Verhältnisse verringern sich fast fortwährend. Freilich haben die Be¬ mühungen der Nationalitäten auch noch nicht alle zu dem gewünschten Ziele geführt; einzelne Völker sind ihm näher gerückt, bei anderen haben sich schein¬ bar unüberwindliche Schwierigkeiten entgegengestellt. Auch bei diesen ist in¬ dessen vielleicht nur noch eine Frage der Zeit, wann ihre Wünsche erfüllt werden.' Die mehrmals angestrebte Vereinigung Spaniens mit Portugal zu einer iberischen Union, ist noch fern von ihrem Ziele.und hat sich in neuester Zeit noch weiter davon entfernt, nachdem das portugiesische Volk und seine Dynastie (namentlich Don Fernando, der Vater des Königs) sich entschieden dagegen erklärt hatten; denn vor Allem war die Uebernahme der spanischen Schuldenlast abschreckend für sie. Die panslawistischen Bestrebungen in Nußland ferner haben zwar eine große Rührigkeit und Thätigkeit der Führer entwickelt, sind aber der Verwirklichung kaum näher gerückt, so daß dieselbe nicht als bevorstehend bezeichnet werden kann. Auch im Norden ist viel von der Vereinigung Dänemarks mit Schweden und Norwegen zu einem skandina¬ vischen Reiche gesprochen worden, die ebensowenig in naher Aussicht steht. Zwei andere Staatengruppen haben dagegen, den Hoffnungen und Grcuzwtcn 7. 1871. 32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/253>, abgerufen am 05.05.2024.