Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

müssen wir die Beleuchtung dieses Punktes auf eine folgende Gelegenheit
v --r. verschieben.




Karl Wogt als Politiker.

"Deutsche Treu und deutsches Hemde,
Das verschleißt sich in der Fremde"
.
H. Heine.

Die Wiener "Tagespresse," ein von dem bekannten preußischen "Demo¬
kraten" Julius Frese in welfischen Sinne geleitetes Blatt, erfreut sich des
Vertrauens und der Zuschriften des Genfer "Demokraten" Carl Vogt. Herr
Vogt macht Herrn Frese Enthüllungen über die preußische Politik. Man
könnte zunächst wohl vermuthen, daß sein hoher Gönner, der 'muthige Prinz
Plon-Pou, die Quelle sei, aus welcher er schöpft. Allein Herr Vogt weist
diese Voraussetzung mit "demokratischer" Entrüstung zurück. Er hat seine
Quelle im Schoße des Volks. Seine Quelle ist der -- Oberkellner."

Hören wir seine neueste Enthüllung in Nummer 84 der "Tagespresse.
Sie beginnt mit den Worten: "Man speist recht gut im Pavillon Heinrich IV.
in Se. Germain en Laye." Eine solche Behauptung an der Spitze eines
politischen Leitartikels aus der Feder eines so großen Demokraten hat etwas
Eigenthümliches. Indessen, da Herr Vogt hier aus eigener Wissenschaft spricht,
was bekanntlich bei seinen Mittheilungen über die Abstammung der Menschen
und über die preußische Politik nicht der Fall ist, so wollen wir seinen Satz
nicht in Zweifel ziehen.

Dann folgt eine mit recht behaglicher Breite vorgetragene Beschreibung
des, Schlosses von Se. Germain und der darin befindlichen historischen Samm¬
lungen, nebst einem gevatterschaftlichen Gegenseitigkeits-Assecuranz-Lob für die
beiden Directoren der letzteren, Herrn Bertrand und Herrn de Mortillet. Alles
für ein Feuilleton recht nett; was aber die Auseinandersetzung über "Stein¬
zeit und Rennthierzeit" dem politischen Leitartikel helfen soll, begreisen
wir nicht.

-- "Sehr natürlich," sagt Vogt, "Ihr seid ja auch ""verrückt genug,""
an Deutschland zu glauben, während es sich doch nur um den preußischen
Corporalstock handelt! Wie könnt Ihr also meine sublime kosmopolitische
Weisheit begreifen?"

Nun gut, gehen wir weiter und lauschen wir den eigentlichen "Ent¬
hüllungen." "Auch der König Wilhelm hat den Pavillon Henry IV. besucht
und dort gespeist," flüstert uns Vogt durch das Sprachrohr seines Freundes
Frese zu. Wir, in unserer "teutonischen Bornirtheit," merken immer noch
nichts. Da erbarmt sich endlich Herr Vogt unserer Dummheit. Er lüftet
den Schleier und berichtet uns Folgendes über jenes entsetzliche Diner:

-- "Es war viel hohe Generalität dabei, -- Bismarck aber nicht. Man
sprach von der zukünftigen Entwickelung Deutschlands, namentlich auf dem
Meere. Weiß nicht, ob gerade damals irgend eine ärgerliche Thatsache zur
See begegnet war, -- die ganze Unterhaltung bei Tische drehte sich um dieses
Thema und wurde sogar sehr lebhaft. Es sei undenkbar, lautete die allgemeine
Ansicht, daß Deutschlands Marine oder die holländischen Häfen zu irgend


müssen wir die Beleuchtung dieses Punktes auf eine folgende Gelegenheit
v —r. verschieben.




Karl Wogt als Politiker.

„Deutsche Treu und deutsches Hemde,
Das verschleißt sich in der Fremde"
.
H. Heine.

Die Wiener „Tagespresse," ein von dem bekannten preußischen „Demo¬
kraten" Julius Frese in welfischen Sinne geleitetes Blatt, erfreut sich des
Vertrauens und der Zuschriften des Genfer „Demokraten" Carl Vogt. Herr
Vogt macht Herrn Frese Enthüllungen über die preußische Politik. Man
könnte zunächst wohl vermuthen, daß sein hoher Gönner, der 'muthige Prinz
Plon-Pou, die Quelle sei, aus welcher er schöpft. Allein Herr Vogt weist
diese Voraussetzung mit „demokratischer" Entrüstung zurück. Er hat seine
Quelle im Schoße des Volks. Seine Quelle ist der — Oberkellner."

Hören wir seine neueste Enthüllung in Nummer 84 der „Tagespresse.
Sie beginnt mit den Worten: „Man speist recht gut im Pavillon Heinrich IV.
in Se. Germain en Laye." Eine solche Behauptung an der Spitze eines
politischen Leitartikels aus der Feder eines so großen Demokraten hat etwas
Eigenthümliches. Indessen, da Herr Vogt hier aus eigener Wissenschaft spricht,
was bekanntlich bei seinen Mittheilungen über die Abstammung der Menschen
und über die preußische Politik nicht der Fall ist, so wollen wir seinen Satz
nicht in Zweifel ziehen.

Dann folgt eine mit recht behaglicher Breite vorgetragene Beschreibung
des, Schlosses von Se. Germain und der darin befindlichen historischen Samm¬
lungen, nebst einem gevatterschaftlichen Gegenseitigkeits-Assecuranz-Lob für die
beiden Directoren der letzteren, Herrn Bertrand und Herrn de Mortillet. Alles
für ein Feuilleton recht nett; was aber die Auseinandersetzung über „Stein¬
zeit und Rennthierzeit" dem politischen Leitartikel helfen soll, begreisen
wir nicht.

— „Sehr natürlich," sagt Vogt, „Ihr seid ja auch „„verrückt genug,""
an Deutschland zu glauben, während es sich doch nur um den preußischen
Corporalstock handelt! Wie könnt Ihr also meine sublime kosmopolitische
Weisheit begreifen?"

Nun gut, gehen wir weiter und lauschen wir den eigentlichen „Ent¬
hüllungen." „Auch der König Wilhelm hat den Pavillon Henry IV. besucht
und dort gespeist," flüstert uns Vogt durch das Sprachrohr seines Freundes
Frese zu. Wir, in unserer „teutonischen Bornirtheit," merken immer noch
nichts. Da erbarmt sich endlich Herr Vogt unserer Dummheit. Er lüftet
den Schleier und berichtet uns Folgendes über jenes entsetzliche Diner:

— „Es war viel hohe Generalität dabei, — Bismarck aber nicht. Man
sprach von der zukünftigen Entwickelung Deutschlands, namentlich auf dem
Meere. Weiß nicht, ob gerade damals irgend eine ärgerliche Thatsache zur
See begegnet war, — die ganze Unterhaltung bei Tische drehte sich um dieses
Thema und wurde sogar sehr lebhaft. Es sei undenkbar, lautete die allgemeine
Ansicht, daß Deutschlands Marine oder die holländischen Häfen zu irgend


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0120" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125902"/>
          <p xml:id="ID_365" prev="#ID_364"> müssen wir die Beleuchtung dieses Punktes auf eine folgende Gelegenheit<lb/><note type="byline"> v &#x2014;r.</note> verschieben. </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Karl Wogt als Politiker.</head><lb/>
          <quote type="epigraph"> &#x201E;Deutsche Treu und deutsches Hemde,<lb/>
Das verschleißt sich in der Fremde"<lb/><bibl> .<lb/>
H. Heine.</bibl></quote><lb/>
          <p xml:id="ID_366"> Die Wiener &#x201E;Tagespresse," ein von dem bekannten preußischen &#x201E;Demo¬<lb/>
kraten" Julius Frese in welfischen Sinne geleitetes Blatt, erfreut sich des<lb/>
Vertrauens und der Zuschriften des Genfer &#x201E;Demokraten" Carl Vogt. Herr<lb/>
Vogt macht Herrn Frese Enthüllungen über die preußische Politik. Man<lb/>
könnte zunächst wohl vermuthen, daß sein hoher Gönner, der 'muthige Prinz<lb/>
Plon-Pou, die Quelle sei, aus welcher er schöpft. Allein Herr Vogt weist<lb/>
diese Voraussetzung mit &#x201E;demokratischer" Entrüstung zurück. Er hat seine<lb/>
Quelle im Schoße des Volks.  Seine Quelle ist der &#x2014; Oberkellner."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_367"> Hören wir seine neueste Enthüllung in Nummer 84 der &#x201E;Tagespresse.<lb/>
Sie beginnt mit den Worten: &#x201E;Man speist recht gut im Pavillon Heinrich IV.<lb/>
in Se. Germain en Laye." Eine solche Behauptung an der Spitze eines<lb/>
politischen Leitartikels aus der Feder eines so großen Demokraten hat etwas<lb/>
Eigenthümliches. Indessen, da Herr Vogt hier aus eigener Wissenschaft spricht,<lb/>
was bekanntlich bei seinen Mittheilungen über die Abstammung der Menschen<lb/>
und über die preußische Politik nicht der Fall ist, so wollen wir seinen Satz<lb/>
nicht in Zweifel ziehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_368"> Dann folgt eine mit recht behaglicher Breite vorgetragene Beschreibung<lb/>
des, Schlosses von Se. Germain und der darin befindlichen historischen Samm¬<lb/>
lungen, nebst einem gevatterschaftlichen Gegenseitigkeits-Assecuranz-Lob für die<lb/>
beiden Directoren der letzteren, Herrn Bertrand und Herrn de Mortillet. Alles<lb/>
für ein Feuilleton recht nett; was aber die Auseinandersetzung über &#x201E;Stein¬<lb/>
zeit und Rennthierzeit" dem politischen Leitartikel helfen soll, begreisen<lb/>
wir nicht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_369"> &#x2014; &#x201E;Sehr natürlich," sagt Vogt, &#x201E;Ihr seid ja auch &#x201E;&#x201E;verrückt genug,""<lb/>
an Deutschland zu glauben, während es sich doch nur um den preußischen<lb/>
Corporalstock handelt! Wie könnt Ihr also meine sublime kosmopolitische<lb/>
Weisheit begreifen?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_370"> Nun gut, gehen wir weiter und lauschen wir den eigentlichen &#x201E;Ent¬<lb/>
hüllungen." &#x201E;Auch der König Wilhelm hat den Pavillon Henry IV. besucht<lb/>
und dort gespeist," flüstert uns Vogt durch das Sprachrohr seines Freundes<lb/>
Frese zu. Wir, in unserer &#x201E;teutonischen Bornirtheit," merken immer noch<lb/>
nichts. Da erbarmt sich endlich Herr Vogt unserer Dummheit. Er lüftet<lb/>
den Schleier und berichtet uns Folgendes über jenes entsetzliche Diner:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_371" next="#ID_372"> &#x2014; &#x201E;Es war viel hohe Generalität dabei, &#x2014; Bismarck aber nicht. Man<lb/>
sprach von der zukünftigen Entwickelung Deutschlands, namentlich auf dem<lb/>
Meere. Weiß nicht, ob gerade damals irgend eine ärgerliche Thatsache zur<lb/>
See begegnet war, &#x2014; die ganze Unterhaltung bei Tische drehte sich um dieses<lb/>
Thema und wurde sogar sehr lebhaft. Es sei undenkbar, lautete die allgemeine<lb/>
Ansicht, daß Deutschlands Marine oder die holländischen Häfen zu irgend</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0120] müssen wir die Beleuchtung dieses Punktes auf eine folgende Gelegenheit v —r. verschieben. Karl Wogt als Politiker. „Deutsche Treu und deutsches Hemde, Das verschleißt sich in der Fremde" . H. Heine. Die Wiener „Tagespresse," ein von dem bekannten preußischen „Demo¬ kraten" Julius Frese in welfischen Sinne geleitetes Blatt, erfreut sich des Vertrauens und der Zuschriften des Genfer „Demokraten" Carl Vogt. Herr Vogt macht Herrn Frese Enthüllungen über die preußische Politik. Man könnte zunächst wohl vermuthen, daß sein hoher Gönner, der 'muthige Prinz Plon-Pou, die Quelle sei, aus welcher er schöpft. Allein Herr Vogt weist diese Voraussetzung mit „demokratischer" Entrüstung zurück. Er hat seine Quelle im Schoße des Volks. Seine Quelle ist der — Oberkellner." Hören wir seine neueste Enthüllung in Nummer 84 der „Tagespresse. Sie beginnt mit den Worten: „Man speist recht gut im Pavillon Heinrich IV. in Se. Germain en Laye." Eine solche Behauptung an der Spitze eines politischen Leitartikels aus der Feder eines so großen Demokraten hat etwas Eigenthümliches. Indessen, da Herr Vogt hier aus eigener Wissenschaft spricht, was bekanntlich bei seinen Mittheilungen über die Abstammung der Menschen und über die preußische Politik nicht der Fall ist, so wollen wir seinen Satz nicht in Zweifel ziehen. Dann folgt eine mit recht behaglicher Breite vorgetragene Beschreibung des, Schlosses von Se. Germain und der darin befindlichen historischen Samm¬ lungen, nebst einem gevatterschaftlichen Gegenseitigkeits-Assecuranz-Lob für die beiden Directoren der letzteren, Herrn Bertrand und Herrn de Mortillet. Alles für ein Feuilleton recht nett; was aber die Auseinandersetzung über „Stein¬ zeit und Rennthierzeit" dem politischen Leitartikel helfen soll, begreisen wir nicht. — „Sehr natürlich," sagt Vogt, „Ihr seid ja auch „„verrückt genug,"" an Deutschland zu glauben, während es sich doch nur um den preußischen Corporalstock handelt! Wie könnt Ihr also meine sublime kosmopolitische Weisheit begreifen?" Nun gut, gehen wir weiter und lauschen wir den eigentlichen „Ent¬ hüllungen." „Auch der König Wilhelm hat den Pavillon Henry IV. besucht und dort gespeist," flüstert uns Vogt durch das Sprachrohr seines Freundes Frese zu. Wir, in unserer „teutonischen Bornirtheit," merken immer noch nichts. Da erbarmt sich endlich Herr Vogt unserer Dummheit. Er lüftet den Schleier und berichtet uns Folgendes über jenes entsetzliche Diner: — „Es war viel hohe Generalität dabei, — Bismarck aber nicht. Man sprach von der zukünftigen Entwickelung Deutschlands, namentlich auf dem Meere. Weiß nicht, ob gerade damals irgend eine ärgerliche Thatsache zur See begegnet war, — die ganze Unterhaltung bei Tische drehte sich um dieses Thema und wurde sogar sehr lebhaft. Es sei undenkbar, lautete die allgemeine Ansicht, daß Deutschlands Marine oder die holländischen Häfen zu irgend

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/120
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/120>, abgerufen am 30.04.2024.