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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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Kuh Weimar's Kulturgeschichte.
1750 -- 1800.
Von Dr. C. A. H. Burkhardt. (Schluß.)

Nur in den Städten waren die Schulen damaliger Zeit leidlich, auf dem
Lande war, wie sich's bei einer Besoldung von 30 Gulden voraussetzen läßt,
der Lehrerberuf ein untergeordneter, er wurde neben andern Dingen berück¬
sichtigt, so gut es ging. Die weimarischen Staatshandbücher unserer Periode
weisen nicht einmal die Lehrerstellen auf Dörfern nach, von denen thatsächlich
freilich viele keine hatten.

In Weimar existirte eine Mägdleinschule mit 180 Kindern, eine Frei¬
schule und eine seit 1712 in ein (^mrmsium illustre umgewandelte Stadt¬
schule. Wenn Winkelschulen auftauchten, standen sie unter Aufsicht des Gym¬
nasiums, während Privatschulen Adliger, die grundsätzlich die landesherrliche
Schule nicht besuchten, ohne Controle blieben, weil ausgesprochener Maßen
eine so gebildete Klasse am besten wissen müsse, was zum Heile dieser Jugend
diente. Ein adliger Präceptor hatte das Gehalt eines Dorfschulmeisters und
jährlich einen cattunenen Schlafrock.

Das Gymnasium war zugleich Bildungsstätte für Volksschullehrer, und
nach Frequenz und Plan zu urtheilen, stand es in voller Blüthe. Aber das
erneute Schulgesetz von 1770 wirft manchen Schatten namentlich auf die
Disciplin. Freilich, die Schüler waren alte Leute, die allein 4 Jahre in
Prima sitzen mühten, mit mächtigen Bärten schritten sie einher, den Degen
an der Seite, und so war es wohl kein Wunder, daß ihnen das Gesetz wört¬
lich "im Winter das Schlittenfahren verbot." Warum auch "im Sommer"
das Baden in der Ilm, dafür haben wir keinen Grund finden können. --
Verlobungen der Gymnasiasten kamen so häufig vor, daß das Schulgesetz für
Braut und Bräutigam schwere Strafen in Aussicht stellte und natürlich das
Verhältniß annullirte. -- Der Stand der Schule war auch in wissenschaft¬
licher Beziehung nicht hoch; bei der Untersuchung, schon vor Herders Zeit,
klagte ein Lehrer, daß in 31 Lehrjahren das neue Testament noch nicht zu
Ende gelesen sei.

Mit Herder's Berufung, dessen Verdienst wir nur kurz damit charakteri-
siren wollen, daß er das Seminar vom Gymnasium trennte und eine eigene
Lehranstalt zur Hebung des Volksschulwesens gründete, muß man sich nun
nicht vorstellen, daß das Unterrichtswesen sofort zur vollen Blüthe gekommen
wäre. Es waren zunächst sehr bescheidene Mittel, die zur Verfügung standen,


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Kuh Weimar's Kulturgeschichte.
1750 — 1800.
Von Dr. C. A. H. Burkhardt. (Schluß.)

Nur in den Städten waren die Schulen damaliger Zeit leidlich, auf dem
Lande war, wie sich's bei einer Besoldung von 30 Gulden voraussetzen läßt,
der Lehrerberuf ein untergeordneter, er wurde neben andern Dingen berück¬
sichtigt, so gut es ging. Die weimarischen Staatshandbücher unserer Periode
weisen nicht einmal die Lehrerstellen auf Dörfern nach, von denen thatsächlich
freilich viele keine hatten.

In Weimar existirte eine Mägdleinschule mit 180 Kindern, eine Frei¬
schule und eine seit 1712 in ein (^mrmsium illustre umgewandelte Stadt¬
schule. Wenn Winkelschulen auftauchten, standen sie unter Aufsicht des Gym¬
nasiums, während Privatschulen Adliger, die grundsätzlich die landesherrliche
Schule nicht besuchten, ohne Controle blieben, weil ausgesprochener Maßen
eine so gebildete Klasse am besten wissen müsse, was zum Heile dieser Jugend
diente. Ein adliger Präceptor hatte das Gehalt eines Dorfschulmeisters und
jährlich einen cattunenen Schlafrock.

Das Gymnasium war zugleich Bildungsstätte für Volksschullehrer, und
nach Frequenz und Plan zu urtheilen, stand es in voller Blüthe. Aber das
erneute Schulgesetz von 1770 wirft manchen Schatten namentlich auf die
Disciplin. Freilich, die Schüler waren alte Leute, die allein 4 Jahre in
Prima sitzen mühten, mit mächtigen Bärten schritten sie einher, den Degen
an der Seite, und so war es wohl kein Wunder, daß ihnen das Gesetz wört¬
lich „im Winter das Schlittenfahren verbot." Warum auch „im Sommer"
das Baden in der Ilm, dafür haben wir keinen Grund finden können. —
Verlobungen der Gymnasiasten kamen so häufig vor, daß das Schulgesetz für
Braut und Bräutigam schwere Strafen in Aussicht stellte und natürlich das
Verhältniß annullirte. — Der Stand der Schule war auch in wissenschaft¬
licher Beziehung nicht hoch; bei der Untersuchung, schon vor Herders Zeit,
klagte ein Lehrer, daß in 31 Lehrjahren das neue Testament noch nicht zu
Ende gelesen sei.

Mit Herder's Berufung, dessen Verdienst wir nur kurz damit charakteri-
siren wollen, daß er das Seminar vom Gymnasium trennte und eine eigene
Lehranstalt zur Hebung des Volksschulwesens gründete, muß man sich nun
nicht vorstellen, daß das Unterrichtswesen sofort zur vollen Blüthe gekommen
wäre. Es waren zunächst sehr bescheidene Mittel, die zur Verfügung standen,


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[0185] Kuh Weimar's Kulturgeschichte. 1750 — 1800. Von Dr. C. A. H. Burkhardt. (Schluß.) Nur in den Städten waren die Schulen damaliger Zeit leidlich, auf dem Lande war, wie sich's bei einer Besoldung von 30 Gulden voraussetzen läßt, der Lehrerberuf ein untergeordneter, er wurde neben andern Dingen berück¬ sichtigt, so gut es ging. Die weimarischen Staatshandbücher unserer Periode weisen nicht einmal die Lehrerstellen auf Dörfern nach, von denen thatsächlich freilich viele keine hatten. In Weimar existirte eine Mägdleinschule mit 180 Kindern, eine Frei¬ schule und eine seit 1712 in ein (^mrmsium illustre umgewandelte Stadt¬ schule. Wenn Winkelschulen auftauchten, standen sie unter Aufsicht des Gym¬ nasiums, während Privatschulen Adliger, die grundsätzlich die landesherrliche Schule nicht besuchten, ohne Controle blieben, weil ausgesprochener Maßen eine so gebildete Klasse am besten wissen müsse, was zum Heile dieser Jugend diente. Ein adliger Präceptor hatte das Gehalt eines Dorfschulmeisters und jährlich einen cattunenen Schlafrock. Das Gymnasium war zugleich Bildungsstätte für Volksschullehrer, und nach Frequenz und Plan zu urtheilen, stand es in voller Blüthe. Aber das erneute Schulgesetz von 1770 wirft manchen Schatten namentlich auf die Disciplin. Freilich, die Schüler waren alte Leute, die allein 4 Jahre in Prima sitzen mühten, mit mächtigen Bärten schritten sie einher, den Degen an der Seite, und so war es wohl kein Wunder, daß ihnen das Gesetz wört¬ lich „im Winter das Schlittenfahren verbot." Warum auch „im Sommer" das Baden in der Ilm, dafür haben wir keinen Grund finden können. — Verlobungen der Gymnasiasten kamen so häufig vor, daß das Schulgesetz für Braut und Bräutigam schwere Strafen in Aussicht stellte und natürlich das Verhältniß annullirte. — Der Stand der Schule war auch in wissenschaft¬ licher Beziehung nicht hoch; bei der Untersuchung, schon vor Herders Zeit, klagte ein Lehrer, daß in 31 Lehrjahren das neue Testament noch nicht zu Ende gelesen sei. Mit Herder's Berufung, dessen Verdienst wir nur kurz damit charakteri- siren wollen, daß er das Seminar vom Gymnasium trennte und eine eigene Lehranstalt zur Hebung des Volksschulwesens gründete, muß man sich nun nicht vorstellen, daß das Unterrichtswesen sofort zur vollen Blüthe gekommen wäre. Es waren zunächst sehr bescheidene Mittel, die zur Verfügung standen, Gmiztwtm i. 187 >. 89

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/185>, abgerufen am 30.04.2024.