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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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im Ganzen eine Summe von 200 Thlr.,*) mit denen das Seminar unter¬
halten wurde, während Herder beim Vergleich des Gymnasiums mit dem
Basedow'schen Institute schreiben konnte: O du armes Gymnasium, anjetzt zu
320 Schülern mit 7 Lehrern und 2 Collaboratoren ohne Gehalt.**) Und
als Carl August mitten in Herder's Reorganisation die Gymnasialacten
studirte, äußerte er in sehr bezeichnender Weise zu Knebel: "Wenn einer keinen
Begriff von einer menschlichen Behandlung hätte, so müßte er ihn durchs
Contrarium bekommen, sobald er diese Acten läse." Das war 1782.

Aber auch einer andern, bis jetzt nicht geahnten Thätigkeit will ich an
dieser Stelle gedenken. Wir Alle wissen, daß Carl August sein Militär liebte,
Goethe keine Neigung nach dieser Seite hin je bekundet hat. Aber seitdem
Goethe in die Kriegscommission getreten war, sorgte er wenigstens für das
geistige Wohl der Soldatenkinder. Mit Eifer wandte er sich dem Ausbau
der Garnisonschule zu, deren Lehrplan er nach dem Muster der Frank¬
furter Stadtschule aufstellen ließ. Er gründete mit seinem noch nicht
hinreichend gewürdigten Philipp Seidel eine Strick-, Nah- und Spinn¬
schule, deren Existenz bei einiger Dankbarkeit der Bevölkerung von segensreich
dauernden Folgen gewesen wäre. Gerade diese praktische Thätigkeit***) des
Dichters verlohnt sich einmal in ganz concreter Weise zu veranschaulichen
und es gehört zu einer meiner letzten und erfreulichen Entdeckungen, daß
Goethe für die Kinder Weimars eine Anweisung zum Spinnen nieder¬
schreiben ließ, die einzig in ihrer Art ist und nun, nachdem sie ihren Zweck
bei den Soldatenkindern Weimars verfehlt hat, demnächst als Goethe's Spinn¬
büchlein in die Literatur eintreten wird.

So galt es ein Vorwärts auch auf diesem Gebiete und wo Cultur, da
ist auch Wohlthätigkeit. Neben den öffentlichen Armenpredigten tauchten die
Armenvorstellungen im Theater auf, mit denen Bellomo 1787 begann; man
arbeitete an Armenanstalten, an der besseren Einrichtung eines Siechhauses, und
gründete eine Krankenunterstützungskasse für Einheimische und Fremde zugleich.
Vorüber war nun die grausame Zeit, in der fremdes Elend von Ort zu Ort
geschafft wurde, um es im eigenen Lande los zu sein. Für Wittwen und
Waisen wurde nach haltbar wissenschaftlichen Grundsätzen eine Societät ge¬
gründet, deren Fond sich nicht wehr erschöpfte. Hufeland arbeitete auf die
Gründung eines Leichenhauses hin, welches -- ein Zeichen der Zeit -- nicht





') Diese hatten zu gleichen Theilen die Stände der Weimarischen, Jenaischen und
Eilenachischcn Landesportion bewilligt.
") Geh. Canzlei-Acten über das Gymnasium.
Sie ist ja nur zu", kleine" Theil durch Vogels bekanntes Buch und von Müllers
Aufsah, der ja nicht auf die Sache üdera" eingeht, geschildert morden.

im Ganzen eine Summe von 200 Thlr.,*) mit denen das Seminar unter¬
halten wurde, während Herder beim Vergleich des Gymnasiums mit dem
Basedow'schen Institute schreiben konnte: O du armes Gymnasium, anjetzt zu
320 Schülern mit 7 Lehrern und 2 Collaboratoren ohne Gehalt.**) Und
als Carl August mitten in Herder's Reorganisation die Gymnasialacten
studirte, äußerte er in sehr bezeichnender Weise zu Knebel: „Wenn einer keinen
Begriff von einer menschlichen Behandlung hätte, so müßte er ihn durchs
Contrarium bekommen, sobald er diese Acten läse." Das war 1782.

Aber auch einer andern, bis jetzt nicht geahnten Thätigkeit will ich an
dieser Stelle gedenken. Wir Alle wissen, daß Carl August sein Militär liebte,
Goethe keine Neigung nach dieser Seite hin je bekundet hat. Aber seitdem
Goethe in die Kriegscommission getreten war, sorgte er wenigstens für das
geistige Wohl der Soldatenkinder. Mit Eifer wandte er sich dem Ausbau
der Garnisonschule zu, deren Lehrplan er nach dem Muster der Frank¬
furter Stadtschule aufstellen ließ. Er gründete mit seinem noch nicht
hinreichend gewürdigten Philipp Seidel eine Strick-, Nah- und Spinn¬
schule, deren Existenz bei einiger Dankbarkeit der Bevölkerung von segensreich
dauernden Folgen gewesen wäre. Gerade diese praktische Thätigkeit***) des
Dichters verlohnt sich einmal in ganz concreter Weise zu veranschaulichen
und es gehört zu einer meiner letzten und erfreulichen Entdeckungen, daß
Goethe für die Kinder Weimars eine Anweisung zum Spinnen nieder¬
schreiben ließ, die einzig in ihrer Art ist und nun, nachdem sie ihren Zweck
bei den Soldatenkindern Weimars verfehlt hat, demnächst als Goethe's Spinn¬
büchlein in die Literatur eintreten wird.

So galt es ein Vorwärts auch auf diesem Gebiete und wo Cultur, da
ist auch Wohlthätigkeit. Neben den öffentlichen Armenpredigten tauchten die
Armenvorstellungen im Theater auf, mit denen Bellomo 1787 begann; man
arbeitete an Armenanstalten, an der besseren Einrichtung eines Siechhauses, und
gründete eine Krankenunterstützungskasse für Einheimische und Fremde zugleich.
Vorüber war nun die grausame Zeit, in der fremdes Elend von Ort zu Ort
geschafft wurde, um es im eigenen Lande los zu sein. Für Wittwen und
Waisen wurde nach haltbar wissenschaftlichen Grundsätzen eine Societät ge¬
gründet, deren Fond sich nicht wehr erschöpfte. Hufeland arbeitete auf die
Gründung eines Leichenhauses hin, welches — ein Zeichen der Zeit — nicht





') Diese hatten zu gleichen Theilen die Stände der Weimarischen, Jenaischen und
Eilenachischcn Landesportion bewilligt.
") Geh. Canzlei-Acten über das Gymnasium.
Sie ist ja nur zu», kleine» Theil durch Vogels bekanntes Buch und von Müllers
Aufsah, der ja nicht auf die Sache üdera» eingeht, geschildert morden.
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[0186] im Ganzen eine Summe von 200 Thlr.,*) mit denen das Seminar unter¬ halten wurde, während Herder beim Vergleich des Gymnasiums mit dem Basedow'schen Institute schreiben konnte: O du armes Gymnasium, anjetzt zu 320 Schülern mit 7 Lehrern und 2 Collaboratoren ohne Gehalt.**) Und als Carl August mitten in Herder's Reorganisation die Gymnasialacten studirte, äußerte er in sehr bezeichnender Weise zu Knebel: „Wenn einer keinen Begriff von einer menschlichen Behandlung hätte, so müßte er ihn durchs Contrarium bekommen, sobald er diese Acten läse." Das war 1782. Aber auch einer andern, bis jetzt nicht geahnten Thätigkeit will ich an dieser Stelle gedenken. Wir Alle wissen, daß Carl August sein Militär liebte, Goethe keine Neigung nach dieser Seite hin je bekundet hat. Aber seitdem Goethe in die Kriegscommission getreten war, sorgte er wenigstens für das geistige Wohl der Soldatenkinder. Mit Eifer wandte er sich dem Ausbau der Garnisonschule zu, deren Lehrplan er nach dem Muster der Frank¬ furter Stadtschule aufstellen ließ. Er gründete mit seinem noch nicht hinreichend gewürdigten Philipp Seidel eine Strick-, Nah- und Spinn¬ schule, deren Existenz bei einiger Dankbarkeit der Bevölkerung von segensreich dauernden Folgen gewesen wäre. Gerade diese praktische Thätigkeit***) des Dichters verlohnt sich einmal in ganz concreter Weise zu veranschaulichen und es gehört zu einer meiner letzten und erfreulichen Entdeckungen, daß Goethe für die Kinder Weimars eine Anweisung zum Spinnen nieder¬ schreiben ließ, die einzig in ihrer Art ist und nun, nachdem sie ihren Zweck bei den Soldatenkindern Weimars verfehlt hat, demnächst als Goethe's Spinn¬ büchlein in die Literatur eintreten wird. So galt es ein Vorwärts auch auf diesem Gebiete und wo Cultur, da ist auch Wohlthätigkeit. Neben den öffentlichen Armenpredigten tauchten die Armenvorstellungen im Theater auf, mit denen Bellomo 1787 begann; man arbeitete an Armenanstalten, an der besseren Einrichtung eines Siechhauses, und gründete eine Krankenunterstützungskasse für Einheimische und Fremde zugleich. Vorüber war nun die grausame Zeit, in der fremdes Elend von Ort zu Ort geschafft wurde, um es im eigenen Lande los zu sein. Für Wittwen und Waisen wurde nach haltbar wissenschaftlichen Grundsätzen eine Societät ge¬ gründet, deren Fond sich nicht wehr erschöpfte. Hufeland arbeitete auf die Gründung eines Leichenhauses hin, welches — ein Zeichen der Zeit — nicht ') Diese hatten zu gleichen Theilen die Stände der Weimarischen, Jenaischen und Eilenachischcn Landesportion bewilligt. ") Geh. Canzlei-Acten über das Gymnasium. Sie ist ja nur zu», kleine» Theil durch Vogels bekanntes Buch und von Müllers Aufsah, der ja nicht auf die Sache üdera» eingeht, geschildert morden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/186>, abgerufen am 21.05.2024.