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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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Dom deutschen Aeichstag"

Die Woche, über welche ich diesmal berichte, kann füglich die Woche des
Staunens heißen. Der Frankfurter Friede ist am 10. Mai 4'/2 Uhr Nach¬
mittags unterzeichnet worden. Aber in der Neichstagssitzung von demselben
Tag war schon von 2^2 Uhr an das Gerücht mit steigender Lebhaftigkeit ver¬
breitet, daß der Friede noch an diesem Tage zu Stande gekommen sei oder zu
Stande kommen werde, und die an demselben Tage ausgegebene "Provinzial-
Correspondenz" verfehlte nicht, das Gerücht zwar noch nicht zu bestätigen,
wohl aber wahrscheinlich zu machen. Am Abend war durch den Telegraphen
die Friedensnachricht in Aller Händen. So groß auch die Leistungen sind,
an welche der Reichskanzler sein Vaterland gewöhnt hat, das hatte man doch
nicht erwartet, daß er, am 8. Mai von Berlin zur Besprechung mit den fran¬
zösischen Ministern abgereist, welche Besprechung demnach erst am 6. ihren
Anfang nehmen konnte, binnen fünf Tagen den Frieden zu Stande bringen
werde, dem in Brüssel Schwierigkeiten der bedenklichsten Art entgegenzutreten
schienen. Daß der Friede nicht schlecht ausgefallen, sagte das Gerücht, und
alle Welt traute es dem Kanzler zu. Als er aber am 12. Mai zu später
Stunde in die Reichstagssitzung trat und die Mittheilung über den Inhalt des
Friedens machte, da war trotz aller vorausgegangenen Erwartung das Er¬
staunen über den abermals erreichten Sieg tief und allgemein. Oder wäre es
kein Sieg, kein unerwarteter Vortheil, daß wir zwei Milliarden von der Kriegs¬
entschädigung bis zum 1. Mai 1872, also binnen Einem Jahr von der Un¬
terzeichnung des Friedens an, in baarem Geld oder in Werthzeichen, die gleich
paaren Gelde, ausgezahlt erhalten? Daß wir für die Zahlung der ersten
anderthalb Milliarden als Bürgschaft die pariser Ostforts behalten?

Frankreichs Finanzminister, also die competenteste Autorität, auf die Frank¬
reich sich berufen kann, hat in Frankfurt das Bekenntniß ablegen müssen, daß
die Zahlung der ganzen Kriegsentschädigung von fünf Milliarden nichts we¬
niger als eine Unmöglichkeit für sein Land ist. So ist denn kein Wun¬
der, wenn von manchen Seiten bereits wieder die Zuversicht geäußert wird,
Frankreich werde wohl mit der Zahlung der letzten drei Milliarden, für deren
Abtragung ihm durch den Frieden zu Frankfurt der Termin des Präliminar-
friedens, nämlich der 1. März 1874 gelassen ist, bis zu diesem Termin nicht
warten. Man macht für solche Hoffnung geltend, daß Frankreich, einmal
genöthigt, zu einer großen Anleihe zu schreiten, am besten thue, die Summe,
deren es bedarf, durch eine einzige Operation sich zu verschaffen. Außerdem,
wird gesagt, habe die jetzige Regierung Frankreichs, sowie jede etwaige Nach-


Dom deutschen Aeichstag»

Die Woche, über welche ich diesmal berichte, kann füglich die Woche des
Staunens heißen. Der Frankfurter Friede ist am 10. Mai 4'/2 Uhr Nach¬
mittags unterzeichnet worden. Aber in der Neichstagssitzung von demselben
Tag war schon von 2^2 Uhr an das Gerücht mit steigender Lebhaftigkeit ver¬
breitet, daß der Friede noch an diesem Tage zu Stande gekommen sei oder zu
Stande kommen werde, und die an demselben Tage ausgegebene „Provinzial-
Correspondenz" verfehlte nicht, das Gerücht zwar noch nicht zu bestätigen,
wohl aber wahrscheinlich zu machen. Am Abend war durch den Telegraphen
die Friedensnachricht in Aller Händen. So groß auch die Leistungen sind,
an welche der Reichskanzler sein Vaterland gewöhnt hat, das hatte man doch
nicht erwartet, daß er, am 8. Mai von Berlin zur Besprechung mit den fran¬
zösischen Ministern abgereist, welche Besprechung demnach erst am 6. ihren
Anfang nehmen konnte, binnen fünf Tagen den Frieden zu Stande bringen
werde, dem in Brüssel Schwierigkeiten der bedenklichsten Art entgegenzutreten
schienen. Daß der Friede nicht schlecht ausgefallen, sagte das Gerücht, und
alle Welt traute es dem Kanzler zu. Als er aber am 12. Mai zu später
Stunde in die Reichstagssitzung trat und die Mittheilung über den Inhalt des
Friedens machte, da war trotz aller vorausgegangenen Erwartung das Er¬
staunen über den abermals erreichten Sieg tief und allgemein. Oder wäre es
kein Sieg, kein unerwarteter Vortheil, daß wir zwei Milliarden von der Kriegs¬
entschädigung bis zum 1. Mai 1872, also binnen Einem Jahr von der Un¬
terzeichnung des Friedens an, in baarem Geld oder in Werthzeichen, die gleich
paaren Gelde, ausgezahlt erhalten? Daß wir für die Zahlung der ersten
anderthalb Milliarden als Bürgschaft die pariser Ostforts behalten?

Frankreichs Finanzminister, also die competenteste Autorität, auf die Frank¬
reich sich berufen kann, hat in Frankfurt das Bekenntniß ablegen müssen, daß
die Zahlung der ganzen Kriegsentschädigung von fünf Milliarden nichts we¬
niger als eine Unmöglichkeit für sein Land ist. So ist denn kein Wun¬
der, wenn von manchen Seiten bereits wieder die Zuversicht geäußert wird,
Frankreich werde wohl mit der Zahlung der letzten drei Milliarden, für deren
Abtragung ihm durch den Frieden zu Frankfurt der Termin des Präliminar-
friedens, nämlich der 1. März 1874 gelassen ist, bis zu diesem Termin nicht
warten. Man macht für solche Hoffnung geltend, daß Frankreich, einmal
genöthigt, zu einer großen Anleihe zu schreiten, am besten thue, die Summe,
deren es bedarf, durch eine einzige Operation sich zu verschaffen. Außerdem,
wird gesagt, habe die jetzige Regierung Frankreichs, sowie jede etwaige Nach-


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[0326] Dom deutschen Aeichstag» Die Woche, über welche ich diesmal berichte, kann füglich die Woche des Staunens heißen. Der Frankfurter Friede ist am 10. Mai 4'/2 Uhr Nach¬ mittags unterzeichnet worden. Aber in der Neichstagssitzung von demselben Tag war schon von 2^2 Uhr an das Gerücht mit steigender Lebhaftigkeit ver¬ breitet, daß der Friede noch an diesem Tage zu Stande gekommen sei oder zu Stande kommen werde, und die an demselben Tage ausgegebene „Provinzial- Correspondenz" verfehlte nicht, das Gerücht zwar noch nicht zu bestätigen, wohl aber wahrscheinlich zu machen. Am Abend war durch den Telegraphen die Friedensnachricht in Aller Händen. So groß auch die Leistungen sind, an welche der Reichskanzler sein Vaterland gewöhnt hat, das hatte man doch nicht erwartet, daß er, am 8. Mai von Berlin zur Besprechung mit den fran¬ zösischen Ministern abgereist, welche Besprechung demnach erst am 6. ihren Anfang nehmen konnte, binnen fünf Tagen den Frieden zu Stande bringen werde, dem in Brüssel Schwierigkeiten der bedenklichsten Art entgegenzutreten schienen. Daß der Friede nicht schlecht ausgefallen, sagte das Gerücht, und alle Welt traute es dem Kanzler zu. Als er aber am 12. Mai zu später Stunde in die Reichstagssitzung trat und die Mittheilung über den Inhalt des Friedens machte, da war trotz aller vorausgegangenen Erwartung das Er¬ staunen über den abermals erreichten Sieg tief und allgemein. Oder wäre es kein Sieg, kein unerwarteter Vortheil, daß wir zwei Milliarden von der Kriegs¬ entschädigung bis zum 1. Mai 1872, also binnen Einem Jahr von der Un¬ terzeichnung des Friedens an, in baarem Geld oder in Werthzeichen, die gleich paaren Gelde, ausgezahlt erhalten? Daß wir für die Zahlung der ersten anderthalb Milliarden als Bürgschaft die pariser Ostforts behalten? Frankreichs Finanzminister, also die competenteste Autorität, auf die Frank¬ reich sich berufen kann, hat in Frankfurt das Bekenntniß ablegen müssen, daß die Zahlung der ganzen Kriegsentschädigung von fünf Milliarden nichts we¬ niger als eine Unmöglichkeit für sein Land ist. So ist denn kein Wun¬ der, wenn von manchen Seiten bereits wieder die Zuversicht geäußert wird, Frankreich werde wohl mit der Zahlung der letzten drei Milliarden, für deren Abtragung ihm durch den Frieden zu Frankfurt der Termin des Präliminar- friedens, nämlich der 1. März 1874 gelassen ist, bis zu diesem Termin nicht warten. Man macht für solche Hoffnung geltend, daß Frankreich, einmal genöthigt, zu einer großen Anleihe zu schreiten, am besten thue, die Summe, deren es bedarf, durch eine einzige Operation sich zu verschaffen. Außerdem, wird gesagt, habe die jetzige Regierung Frankreichs, sowie jede etwaige Nach-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/326>, abgerufen am 30.04.2024.