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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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folgerin derselben, das höchste Bedürfniß, die völlige Räumung des französi¬
schen Gebietes vom deutschen Heer nicht noch drei Jahre hinausgeschoben zu
sehen. Regelmäßige Zustände, meint man, können sich in Frankreich nicht
entwickeln, die Neugestaltung, deren Frankreich so dringend bedarf, kann nicht
ernstlich in Angriff genommen werden, so lange das deutsche Heer auf franzö¬
sischem Boden, wenn auch nach Zahlung der ersten anderthalb Milliarden
nur noch in der Champagne und in französisch Lothringen steht. Es ist ein
natürlicher Gedanke, daß ein Land nicht eher über seine Verfassung beschlie¬
ßen kann, als es wiederum sich selbst angehört. Ob nun die französische Re¬
gierung solchen Erwägungen zugänglich ist, ob sie die Mittel findet, ihnen
gemäß zu handeln, muß erwartet werden.

Während jeder große Erfolg die Hoffnungen noch höher spannt, richten
sich doch auch die von dem Erreichten befriedigten Blicke auf den Weg, der
zu dem letzten Erfolg geführt hat. Fürst Bismarck hat in feiner Rede vom
12. Mai über das Hauptmittel, dessen er sich bedient, eine ausreichende An¬
deutung gemacht. Er hat wohl nicht erst in Frankfurt, sondern schon vorher
in Versailles eine Erklärung abgegeben, bezüglich abgeben lassen, welche die französi¬
schen Minister nach Frankfurt, und in Frankfurt zum schnellen Entschluß des Frie¬
dens geführt zu haben scheint. Diese Erklärung wird gelautet haben: wenn der
Friede sich verzögert, so muß Deutschland Paris besetzen und die französische
Armee muß sofort hinter die Loire zurückgehen, wie die Präliminarien es be¬
stimmt haben. Die Besetzung von Paris aber muß erfolgen, weil den Prä¬
liminarien zuwider eine zahlreiche bewaffnete Macht dort organisirt worden
ist, was die französische Negierung zwar nicht bewirkt, aber auch nicht verhin¬
dert hat.

Der wirksamste Theil dieser Erklärung ist, wenn wir nicht irren, die Al¬
ternative gewesen, welche für den Weg gestellt war, nach Paris zu gelangen.
Der Kanzler sagte: wir werden nach Paris gelangen entweder durch Gewalt,
oder dadurch, daß wir Beziehungen mit der Commune anknüpfen. Wenn
die französischen Minister dieses letztere Glied der Alternative in Verbindung
brachten mit der Aeußerung des Kanzlers vom 2. Mai, daß dem pariser
Aufstand das Bedürfniß nach der preußischen Städteordnung zu Grunde liege,
so mußten diese Minister sich sagen: es ist nicht unmöglich, daß Deutschland
das Bestreben der Commune, nachdem dieselbe sich von verwerflichen Elemen¬
ten gereinigt, unter seinen Schutz nimmt. Dies wäre das Ende des alten
Frankreich gewesen, das Herr Thiers ja doch retten will, und das zu reformi-
ren, wenn es nur- durch Reform gerettet werden kann, immerhin zuerst einer
französischen Negierung zukommt. Diese Aussicht, wie behutsam immer an¬
gedeutet, hat,' wie wir glauben, den Ausschlag zum Frieden gegeben.


folgerin derselben, das höchste Bedürfniß, die völlige Räumung des französi¬
schen Gebietes vom deutschen Heer nicht noch drei Jahre hinausgeschoben zu
sehen. Regelmäßige Zustände, meint man, können sich in Frankreich nicht
entwickeln, die Neugestaltung, deren Frankreich so dringend bedarf, kann nicht
ernstlich in Angriff genommen werden, so lange das deutsche Heer auf franzö¬
sischem Boden, wenn auch nach Zahlung der ersten anderthalb Milliarden
nur noch in der Champagne und in französisch Lothringen steht. Es ist ein
natürlicher Gedanke, daß ein Land nicht eher über seine Verfassung beschlie¬
ßen kann, als es wiederum sich selbst angehört. Ob nun die französische Re¬
gierung solchen Erwägungen zugänglich ist, ob sie die Mittel findet, ihnen
gemäß zu handeln, muß erwartet werden.

Während jeder große Erfolg die Hoffnungen noch höher spannt, richten
sich doch auch die von dem Erreichten befriedigten Blicke auf den Weg, der
zu dem letzten Erfolg geführt hat. Fürst Bismarck hat in feiner Rede vom
12. Mai über das Hauptmittel, dessen er sich bedient, eine ausreichende An¬
deutung gemacht. Er hat wohl nicht erst in Frankfurt, sondern schon vorher
in Versailles eine Erklärung abgegeben, bezüglich abgeben lassen, welche die französi¬
schen Minister nach Frankfurt, und in Frankfurt zum schnellen Entschluß des Frie¬
dens geführt zu haben scheint. Diese Erklärung wird gelautet haben: wenn der
Friede sich verzögert, so muß Deutschland Paris besetzen und die französische
Armee muß sofort hinter die Loire zurückgehen, wie die Präliminarien es be¬
stimmt haben. Die Besetzung von Paris aber muß erfolgen, weil den Prä¬
liminarien zuwider eine zahlreiche bewaffnete Macht dort organisirt worden
ist, was die französische Negierung zwar nicht bewirkt, aber auch nicht verhin¬
dert hat.

Der wirksamste Theil dieser Erklärung ist, wenn wir nicht irren, die Al¬
ternative gewesen, welche für den Weg gestellt war, nach Paris zu gelangen.
Der Kanzler sagte: wir werden nach Paris gelangen entweder durch Gewalt,
oder dadurch, daß wir Beziehungen mit der Commune anknüpfen. Wenn
die französischen Minister dieses letztere Glied der Alternative in Verbindung
brachten mit der Aeußerung des Kanzlers vom 2. Mai, daß dem pariser
Aufstand das Bedürfniß nach der preußischen Städteordnung zu Grunde liege,
so mußten diese Minister sich sagen: es ist nicht unmöglich, daß Deutschland
das Bestreben der Commune, nachdem dieselbe sich von verwerflichen Elemen¬
ten gereinigt, unter seinen Schutz nimmt. Dies wäre das Ende des alten
Frankreich gewesen, das Herr Thiers ja doch retten will, und das zu reformi-
ren, wenn es nur- durch Reform gerettet werden kann, immerhin zuerst einer
französischen Negierung zukommt. Diese Aussicht, wie behutsam immer an¬
gedeutet, hat,' wie wir glauben, den Ausschlag zum Frieden gegeben.


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[0327] folgerin derselben, das höchste Bedürfniß, die völlige Räumung des französi¬ schen Gebietes vom deutschen Heer nicht noch drei Jahre hinausgeschoben zu sehen. Regelmäßige Zustände, meint man, können sich in Frankreich nicht entwickeln, die Neugestaltung, deren Frankreich so dringend bedarf, kann nicht ernstlich in Angriff genommen werden, so lange das deutsche Heer auf franzö¬ sischem Boden, wenn auch nach Zahlung der ersten anderthalb Milliarden nur noch in der Champagne und in französisch Lothringen steht. Es ist ein natürlicher Gedanke, daß ein Land nicht eher über seine Verfassung beschlie¬ ßen kann, als es wiederum sich selbst angehört. Ob nun die französische Re¬ gierung solchen Erwägungen zugänglich ist, ob sie die Mittel findet, ihnen gemäß zu handeln, muß erwartet werden. Während jeder große Erfolg die Hoffnungen noch höher spannt, richten sich doch auch die von dem Erreichten befriedigten Blicke auf den Weg, der zu dem letzten Erfolg geführt hat. Fürst Bismarck hat in feiner Rede vom 12. Mai über das Hauptmittel, dessen er sich bedient, eine ausreichende An¬ deutung gemacht. Er hat wohl nicht erst in Frankfurt, sondern schon vorher in Versailles eine Erklärung abgegeben, bezüglich abgeben lassen, welche die französi¬ schen Minister nach Frankfurt, und in Frankfurt zum schnellen Entschluß des Frie¬ dens geführt zu haben scheint. Diese Erklärung wird gelautet haben: wenn der Friede sich verzögert, so muß Deutschland Paris besetzen und die französische Armee muß sofort hinter die Loire zurückgehen, wie die Präliminarien es be¬ stimmt haben. Die Besetzung von Paris aber muß erfolgen, weil den Prä¬ liminarien zuwider eine zahlreiche bewaffnete Macht dort organisirt worden ist, was die französische Negierung zwar nicht bewirkt, aber auch nicht verhin¬ dert hat. Der wirksamste Theil dieser Erklärung ist, wenn wir nicht irren, die Al¬ ternative gewesen, welche für den Weg gestellt war, nach Paris zu gelangen. Der Kanzler sagte: wir werden nach Paris gelangen entweder durch Gewalt, oder dadurch, daß wir Beziehungen mit der Commune anknüpfen. Wenn die französischen Minister dieses letztere Glied der Alternative in Verbindung brachten mit der Aeußerung des Kanzlers vom 2. Mai, daß dem pariser Aufstand das Bedürfniß nach der preußischen Städteordnung zu Grunde liege, so mußten diese Minister sich sagen: es ist nicht unmöglich, daß Deutschland das Bestreben der Commune, nachdem dieselbe sich von verwerflichen Elemen¬ ten gereinigt, unter seinen Schutz nimmt. Dies wäre das Ende des alten Frankreich gewesen, das Herr Thiers ja doch retten will, und das zu reformi- ren, wenn es nur- durch Reform gerettet werden kann, immerhin zuerst einer französischen Negierung zukommt. Diese Aussicht, wie behutsam immer an¬ gedeutet, hat,' wie wir glauben, den Ausschlag zum Frieden gegeben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/327>, abgerufen am 21.05.2024.