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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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tag noch ausgeglichen wird, namentlich wenn die Reichstagsmehrheit zu
erkennen giebt, daß sie geneigt ist, bei hervortretendem Bedürfniß den Termin
für die Einführung der Reichsverfassung über den 1. Januar hinaus zu ver¬
schieben, ebenso wie der Reichskanzler bereits erklärt hat, daß der Termin je
nach den zu machenden Erfahrungen auch verkürzt werden könne.

Da die nächste Sitzung des Reichstages am 31. Mai stattfindet, bis
wohin der Commissionsbericht den Reichstagsmitgliedern jedenfalls vorgelegen
haben wird, so dürfen wir vielleicht an diesem Tage die Entscheidung der
C--r. Frage erwarten.




Die Schlacht bei AorKing.
Erinnerungen eines Freiwilligen.
II.

Der panische Schrecken und die Aufregung dieses Tages, wie die Fonds
bis auf 35 heruntergingen, das Laufen nach der Bank und deren Zahlungs¬
einstellung, der Fall fast der Hälfte der Geschäfte in der City, wie die Re¬
gierung eine Bekanntmachung erließ, durch welche die Baarzahlungm und die
Einlösung von Wechseln suspendirt wurden -- welche letztgenannte Vor¬
sichtsmaßregel zu spät kam für die meisten Firmen mit Einschluß von Carter
u. Compagnie, welche ihre Zahlung schon einstellten, als mein Vater ins
Geschäft kam, der Aufruf zu den Waffen und die einmüthige Antwort des
Landes darauf -- alles das ist Geschichte, die ich nicht zu wiederholen brauche.
Ihr wollt meinen eignen Antheil an dem Thun dieser Zeit hören.

Nun denn, seit der Kriegserklärung war der Zudrang zu den Freiwilli¬
gen ganz ungeheuer gewachsen, und unser Regiment vermehrte sich von seiner
gewöhnlichen Stärke von 600 Mann in ein paar Tagen bis fast auf 1000.
Aber der Vorrath von Gewehren war unzureichend. Man versprach uns,in
wenigen Tagen mehr zu liefern, aber sie kamen nicht, und während das Re¬
giment auf sie wartete, mußte es in zwei Hälften getheilt werden, die Re-
cruten exercirten mit den Gewehren am Morgen und wir alten Mannschaften
am Abend. Die Bankerotte und Arbeitseinstellungen an diesem trübseligen
Freitag nahmen einer ungeheuren Zahl junger Leute ihre Beschäftigung, und
so waren wir am nächsten Tage schon 1400 Mann stark, aber was nutzten
alle diese Mannschaften ohne Waffen? Am Sonnabend wurde bekannt ge¬
macht, daß ein Haufen glatter Musketen, der im Tower aufbewahrt wurde,
an die Regimenter vertheilt werden sollte, die darum einkamen, und es fand


tag noch ausgeglichen wird, namentlich wenn die Reichstagsmehrheit zu
erkennen giebt, daß sie geneigt ist, bei hervortretendem Bedürfniß den Termin
für die Einführung der Reichsverfassung über den 1. Januar hinaus zu ver¬
schieben, ebenso wie der Reichskanzler bereits erklärt hat, daß der Termin je
nach den zu machenden Erfahrungen auch verkürzt werden könne.

Da die nächste Sitzung des Reichstages am 31. Mai stattfindet, bis
wohin der Commissionsbericht den Reichstagsmitgliedern jedenfalls vorgelegen
haben wird, so dürfen wir vielleicht an diesem Tage die Entscheidung der
C—r. Frage erwarten.




Die Schlacht bei AorKing.
Erinnerungen eines Freiwilligen.
II.

Der panische Schrecken und die Aufregung dieses Tages, wie die Fonds
bis auf 35 heruntergingen, das Laufen nach der Bank und deren Zahlungs¬
einstellung, der Fall fast der Hälfte der Geschäfte in der City, wie die Re¬
gierung eine Bekanntmachung erließ, durch welche die Baarzahlungm und die
Einlösung von Wechseln suspendirt wurden — welche letztgenannte Vor¬
sichtsmaßregel zu spät kam für die meisten Firmen mit Einschluß von Carter
u. Compagnie, welche ihre Zahlung schon einstellten, als mein Vater ins
Geschäft kam, der Aufruf zu den Waffen und die einmüthige Antwort des
Landes darauf — alles das ist Geschichte, die ich nicht zu wiederholen brauche.
Ihr wollt meinen eignen Antheil an dem Thun dieser Zeit hören.

Nun denn, seit der Kriegserklärung war der Zudrang zu den Freiwilli¬
gen ganz ungeheuer gewachsen, und unser Regiment vermehrte sich von seiner
gewöhnlichen Stärke von 600 Mann in ein paar Tagen bis fast auf 1000.
Aber der Vorrath von Gewehren war unzureichend. Man versprach uns,in
wenigen Tagen mehr zu liefern, aber sie kamen nicht, und während das Re¬
giment auf sie wartete, mußte es in zwei Hälften getheilt werden, die Re-
cruten exercirten mit den Gewehren am Morgen und wir alten Mannschaften
am Abend. Die Bankerotte und Arbeitseinstellungen an diesem trübseligen
Freitag nahmen einer ungeheuren Zahl junger Leute ihre Beschäftigung, und
so waren wir am nächsten Tage schon 1400 Mann stark, aber was nutzten
alle diese Mannschaften ohne Waffen? Am Sonnabend wurde bekannt ge¬
macht, daß ein Haufen glatter Musketen, der im Tower aufbewahrt wurde,
an die Regimenter vertheilt werden sollte, die darum einkamen, und es fand


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/394>, abgerufen am 30.04.2024.