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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Französisches "Fartewesen.
Von Georg Zelle.
4. Die Parteien während des Kaiserthums und nach dem
Sturze desselben.

Der Sturz der Julidynastie war das Ergebniß eines lange geplanten
und vorbereiteten revolutionären Staatsstreichs der Republikaner und Socia¬
listen, dessen Gelingen indessen wesentlich bedingt war von der Mitwirkung
derjenigen Partei, die zwar Alles aufbot, um Guizot zu stürzen, aber keines¬
wegs das Königthum in den Sturz des glühend gehaßten Ministers zu ver¬
wickeln wünschte. Die Republikaner hatten, so lange ihnen das meist orlea-
nistisch gesinnte Bürgerthum als geschlossene Einheit gegenüber trat, bei allen
gewaltsamen Angriffen gegen das Königthum stets den Kürzeren gezogen.
Es war ihnen zwar oft ohne besondere Schwierigkeit gelungen, eine Emeute
anzustiften, sie aber zur Revolution zu steigern hatten sie nicht vermocht, so
lange jeder Aufstandsversuch sür die Anhänger des constitutionellen Systems
das Signal wurde, sich fester um den Thron zu schaaren. Durch die Erfah¬
rung gewitzigt, standen sie daher von einer Kriegführung ab, die einerseits
die Wachsamkeit der Regierung schärfte und die monarchischen Parteien we¬
nigstens gelegentlich zu festem Zusammenhalte mahnte, andrerseits aber in
Folge der beständigen Niederlagen die revolutionären Massen mit Mißtrauen
gegen die'Führer und dem Bewußtsein der eigenen Schwäche erfüllte und
daher entmuthigte. Man bedürfte für den Angriff einer sorgfältigen Vorbe¬
reitung und einer breiteren Operationsbasis, als die Clubs und heimlichen
Verbindungen sie boten. Es kam darauf an, im Bürgerthum selbst Boden
zu gewinnen und die dynastische Opposition auf revolutionäre Pfade zu
locken. Der starre Widerstand Guizots selbst gegen eine gemäßigte Reform
des oligarchischen Wahlgesetzes lieferte denn auch den Stoff zu einer Auf¬
regung, die von den Republikanern und Socialisten geschickt benutzt wurde,
um alle Unterschiede innerhalb der Opposition so weit zu verwischen, daß alle,


Grenzboten II. 1871. 41
Französisches "Fartewesen.
Von Georg Zelle.
4. Die Parteien während des Kaiserthums und nach dem
Sturze desselben.

Der Sturz der Julidynastie war das Ergebniß eines lange geplanten
und vorbereiteten revolutionären Staatsstreichs der Republikaner und Socia¬
listen, dessen Gelingen indessen wesentlich bedingt war von der Mitwirkung
derjenigen Partei, die zwar Alles aufbot, um Guizot zu stürzen, aber keines¬
wegs das Königthum in den Sturz des glühend gehaßten Ministers zu ver¬
wickeln wünschte. Die Republikaner hatten, so lange ihnen das meist orlea-
nistisch gesinnte Bürgerthum als geschlossene Einheit gegenüber trat, bei allen
gewaltsamen Angriffen gegen das Königthum stets den Kürzeren gezogen.
Es war ihnen zwar oft ohne besondere Schwierigkeit gelungen, eine Emeute
anzustiften, sie aber zur Revolution zu steigern hatten sie nicht vermocht, so
lange jeder Aufstandsversuch sür die Anhänger des constitutionellen Systems
das Signal wurde, sich fester um den Thron zu schaaren. Durch die Erfah¬
rung gewitzigt, standen sie daher von einer Kriegführung ab, die einerseits
die Wachsamkeit der Regierung schärfte und die monarchischen Parteien we¬
nigstens gelegentlich zu festem Zusammenhalte mahnte, andrerseits aber in
Folge der beständigen Niederlagen die revolutionären Massen mit Mißtrauen
gegen die'Führer und dem Bewußtsein der eigenen Schwäche erfüllte und
daher entmuthigte. Man bedürfte für den Angriff einer sorgfältigen Vorbe¬
reitung und einer breiteren Operationsbasis, als die Clubs und heimlichen
Verbindungen sie boten. Es kam darauf an, im Bürgerthum selbst Boden
zu gewinnen und die dynastische Opposition auf revolutionäre Pfade zu
locken. Der starre Widerstand Guizots selbst gegen eine gemäßigte Reform
des oligarchischen Wahlgesetzes lieferte denn auch den Stoff zu einer Auf¬
regung, die von den Republikanern und Socialisten geschickt benutzt wurde,
um alle Unterschiede innerhalb der Opposition so weit zu verwischen, daß alle,


Grenzboten II. 1871. 41
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[0329] Französisches "Fartewesen. Von Georg Zelle. 4. Die Parteien während des Kaiserthums und nach dem Sturze desselben. Der Sturz der Julidynastie war das Ergebniß eines lange geplanten und vorbereiteten revolutionären Staatsstreichs der Republikaner und Socia¬ listen, dessen Gelingen indessen wesentlich bedingt war von der Mitwirkung derjenigen Partei, die zwar Alles aufbot, um Guizot zu stürzen, aber keines¬ wegs das Königthum in den Sturz des glühend gehaßten Ministers zu ver¬ wickeln wünschte. Die Republikaner hatten, so lange ihnen das meist orlea- nistisch gesinnte Bürgerthum als geschlossene Einheit gegenüber trat, bei allen gewaltsamen Angriffen gegen das Königthum stets den Kürzeren gezogen. Es war ihnen zwar oft ohne besondere Schwierigkeit gelungen, eine Emeute anzustiften, sie aber zur Revolution zu steigern hatten sie nicht vermocht, so lange jeder Aufstandsversuch sür die Anhänger des constitutionellen Systems das Signal wurde, sich fester um den Thron zu schaaren. Durch die Erfah¬ rung gewitzigt, standen sie daher von einer Kriegführung ab, die einerseits die Wachsamkeit der Regierung schärfte und die monarchischen Parteien we¬ nigstens gelegentlich zu festem Zusammenhalte mahnte, andrerseits aber in Folge der beständigen Niederlagen die revolutionären Massen mit Mißtrauen gegen die'Führer und dem Bewußtsein der eigenen Schwäche erfüllte und daher entmuthigte. Man bedürfte für den Angriff einer sorgfältigen Vorbe¬ reitung und einer breiteren Operationsbasis, als die Clubs und heimlichen Verbindungen sie boten. Es kam darauf an, im Bürgerthum selbst Boden zu gewinnen und die dynastische Opposition auf revolutionäre Pfade zu locken. Der starre Widerstand Guizots selbst gegen eine gemäßigte Reform des oligarchischen Wahlgesetzes lieferte denn auch den Stoff zu einer Auf¬ regung, die von den Republikanern und Socialisten geschickt benutzt wurde, um alle Unterschiede innerhalb der Opposition so weit zu verwischen, daß alle, Grenzboten II. 1871. 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/329>, abgerufen am 02.05.2024.