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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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auch die monarchischen Schätzungen derselben in geschlossenen Reihen zum
Angriffe vorgingen. Von dem Augenblicke an, wo die dynastische Linke an
der Banket-Agitation sich betheiligte, war denn auch ein ernster Zusammenstoß
mit der Regierung unvermeidlich geworden. Die orleanistischen Mitglieder
der Coalition hegten zwar den Wunsch, es bei Demonstrationen bewenden zu
lassen und auf dem gesetzlichen Boden zu beharren. Die Republikaner waren
aber eben so fest entschlossen, aus der Demonstration eine Revolution hervor¬
gehen zu lassen. Sie gingen rücksichtslos vor, in der Voraussetzung, daß das
liberale Bürgerthum, nachdem es unter Odilon Barrots Führung sich in die
Banket-Bewegung gestürzt hatte, unfähig sein werde, selbst Halt zu machen,
geschweige denn dem Sturm Halt zu gebieten. Die Berechnung der Repu¬
blikaner erwies sich auch als vollkommen richtig. Als die Liberalen den Ab¬
grund erblickten, an den sie sich hatten ziehen lassen, waren sie nicht mehr im
Stande, sich entschieden von den Republikanern los zu sagen; sie suchten
zwar der Bewegung ihren antidynastisch revolutionären Charakter zu nehmen;
sie suchten den Conflict in eine zwischen ihnen und dem Ministerium streitige
Rechtsfrage zu verwandeln; aber diese verspäteten Bemühungen waren ver¬
geblich. Der Schlag, der Guizot hatte treffen sollen, zerschmetterte das Kö¬
nigthum: die Republikaner hatten das lange vergeblich erstrebte Ziel durch
geschickte Benutzung der in der Orleanistenpartei herrschenden Spaltungen er¬
reicht.

In der Republik trat nun sofort eine neue Gruppirung der Parteien
ein. Die Rolle, welche während der Monarchie die "anständigen" Republi¬
kaner gespielt hatten, übernahmen jetzt die Socialdemokraten und Communi-
sten, kurz alle die unter dem Gesammtnamen der rothen Republikaner zu¬
sammengefaßten Elemente, die bis dahin in den Clubs und der Presse zwar
auf die Massen einen großen Einfluß geübt hatten, in der Kammer aber nur
durch wenige Führer, wie Ledru Rollin, vertreten gewesen waren. Ihr ent¬
scheidendes Eingreifen in den Februartagen machte sie auf einige Tage zu
Herren der Hauptstadt. Sofort trar ihnen aber eine Coalition der sämmt¬
lichen gemäßigten Elemente gegenüber, deren Zusammenwirken es gelang,
wenigstens der Alleinherrschaft der rothen Republikaner vorzubeugen. Die
"alten Parteien," deren Spaltung an dem Sturze Ludwig Philipps die
Schuld trug, vereinigten sich, wenn auch nur vorübergehend und ohne gegen¬
seitiges Vertrauen, mit den gemäßigten Republikanern gegen die Socialisten,
denen man jedoch einen bedeutenden Antheil an der provisorischen Regierung
zugestehen mußte, so daß innerhalb der Regierung selbst die Gegensätze sich
aufs erbittertste bekämpften, durch ihren Kampf die Verwaltung völlig lahm
legten und der Anarchie den weitesten Spielraum gewährten. Cavaignacs
Sieg in den IunMmpfen beseitigte die augenblickliche Gefahr, beschwichtigte


auch die monarchischen Schätzungen derselben in geschlossenen Reihen zum
Angriffe vorgingen. Von dem Augenblicke an, wo die dynastische Linke an
der Banket-Agitation sich betheiligte, war denn auch ein ernster Zusammenstoß
mit der Regierung unvermeidlich geworden. Die orleanistischen Mitglieder
der Coalition hegten zwar den Wunsch, es bei Demonstrationen bewenden zu
lassen und auf dem gesetzlichen Boden zu beharren. Die Republikaner waren
aber eben so fest entschlossen, aus der Demonstration eine Revolution hervor¬
gehen zu lassen. Sie gingen rücksichtslos vor, in der Voraussetzung, daß das
liberale Bürgerthum, nachdem es unter Odilon Barrots Führung sich in die
Banket-Bewegung gestürzt hatte, unfähig sein werde, selbst Halt zu machen,
geschweige denn dem Sturm Halt zu gebieten. Die Berechnung der Repu¬
blikaner erwies sich auch als vollkommen richtig. Als die Liberalen den Ab¬
grund erblickten, an den sie sich hatten ziehen lassen, waren sie nicht mehr im
Stande, sich entschieden von den Republikanern los zu sagen; sie suchten
zwar der Bewegung ihren antidynastisch revolutionären Charakter zu nehmen;
sie suchten den Conflict in eine zwischen ihnen und dem Ministerium streitige
Rechtsfrage zu verwandeln; aber diese verspäteten Bemühungen waren ver¬
geblich. Der Schlag, der Guizot hatte treffen sollen, zerschmetterte das Kö¬
nigthum: die Republikaner hatten das lange vergeblich erstrebte Ziel durch
geschickte Benutzung der in der Orleanistenpartei herrschenden Spaltungen er¬
reicht.

In der Republik trat nun sofort eine neue Gruppirung der Parteien
ein. Die Rolle, welche während der Monarchie die „anständigen" Republi¬
kaner gespielt hatten, übernahmen jetzt die Socialdemokraten und Communi-
sten, kurz alle die unter dem Gesammtnamen der rothen Republikaner zu¬
sammengefaßten Elemente, die bis dahin in den Clubs und der Presse zwar
auf die Massen einen großen Einfluß geübt hatten, in der Kammer aber nur
durch wenige Führer, wie Ledru Rollin, vertreten gewesen waren. Ihr ent¬
scheidendes Eingreifen in den Februartagen machte sie auf einige Tage zu
Herren der Hauptstadt. Sofort trar ihnen aber eine Coalition der sämmt¬
lichen gemäßigten Elemente gegenüber, deren Zusammenwirken es gelang,
wenigstens der Alleinherrschaft der rothen Republikaner vorzubeugen. Die
„alten Parteien," deren Spaltung an dem Sturze Ludwig Philipps die
Schuld trug, vereinigten sich, wenn auch nur vorübergehend und ohne gegen¬
seitiges Vertrauen, mit den gemäßigten Republikanern gegen die Socialisten,
denen man jedoch einen bedeutenden Antheil an der provisorischen Regierung
zugestehen mußte, so daß innerhalb der Regierung selbst die Gegensätze sich
aufs erbittertste bekämpften, durch ihren Kampf die Verwaltung völlig lahm
legten und der Anarchie den weitesten Spielraum gewährten. Cavaignacs
Sieg in den IunMmpfen beseitigte die augenblickliche Gefahr, beschwichtigte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/330>, abgerufen am 22.05.2024.