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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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Na Mission en?russe xar 1e coulee Leueäetti.

In dem Aufsatz "Der deutsche Reichskanzler und Herr Benedetti" haben
wir gezeigt, daß Fürst Bismarck, als er in seiner Note vom 29. Juli 1870
vertrauliche Verhandlungen mit dem Botschafter Frankreichs der Oeffentlichkeit
Preis gab, zu diesem ungewöhnlichen Schritt durch einen ebenso ungewöhn¬
lichen Stand der Nothwehr gezwungen war. Frankreich hatte an Preußen
und dessen Verbündete den Krieg erklärt aus Anlaß der politisch sehr harm¬
losen Präsentation eines Prinzen des fürstlichen Hauses Hohenzollern zum
spanischen Thron. Der Prinz hatte obendrein seine vorläufige Zustimmung
zu dieser Präsentation, welche die in Spanien interimistisch bestehende Regent¬
schaft an die Cortes zu bringen gedachte, bereits zurückgezogen auf die Nach¬
richt hin, welche Besorgnisse eine solche Aussicht in Frankreich errege. Eine
Kriegserklärung unter diesen Umständen erschien dem überraschten und betrof¬
fenen Europa als eine solche Ungeheuerlichkeit, daß die öffentliche Meinung
unwillkürlich nach geheimen Gründen suchte. In solchen Fällen wird nur
zu leicht der Unschuldige mit dem Schuldigen verwechselt. Die Verwirrung
der Gemüther, welche durch die plötzliche Nähe einer gewaltigen Katastrophe
entsteht, suchte die napoleonische Regierung zu benutzen und sich darzustellen
als befindlich im Stande der Vertheidigung gegenüber dem angeblichen Ehrgeiz
Preußens, der im Schilde führe, Frankreich im Rücken zu nehmen. Da war
es denn Zeit für den Leiter der deutschen Politik, mit den Beweisen nicht zu¬
rückzuhalten, aus welcher Seite ehrgeizige Anschläge gewesen, und wo das Be¬
streben zu Hause, die Grenzen der europäischen Staaten zu verrücken. Die
Wirkung dieser Beweise war die eines moralischen Donnerschlages. Die Augen
waren der Welt geöffnet, wo in dem ausbrechenden Kampfe der Angriff und
wo die Vertheidigung zu suchen, wo die Bedrohung der Nachbarn und wo
der Wille, die Verträge zu achten. Der Eindruck, welchen Europa, durch die
Enthüllung der napoleonischen Pläne empfangen, konnte auch durch die E"
eignisse des Krieges nicht ausgelöscht werden. Man sah in dem Besiegten
den gerecht Bestraften.

Wenn Fürst Bismarck in der Bedrängniß einer überraschenden und ge¬
fahrvollen Lage, unter dem Druck einer unerhört dreisten Beschuldigung den
wahren Sitz der Verschwörung gegen die Ruhe Europas durch die Bekannt¬
machung eines Stückes geheimer Verhandlungen kennzeichnete, so hat Graf
Benedetti, indem er in dem obengenannten Buch seinerseits eine Reihe ge¬
heimer Actenstücke der Oeffentlichkeit übergibt, keinen ähnlichen Entschuldigungs¬
grund. Der deutsche Kanzler gebrauchte die Veröffentlichung als Waffe der


Na Mission en?russe xar 1e coulee Leueäetti.

In dem Aufsatz „Der deutsche Reichskanzler und Herr Benedetti" haben
wir gezeigt, daß Fürst Bismarck, als er in seiner Note vom 29. Juli 1870
vertrauliche Verhandlungen mit dem Botschafter Frankreichs der Oeffentlichkeit
Preis gab, zu diesem ungewöhnlichen Schritt durch einen ebenso ungewöhn¬
lichen Stand der Nothwehr gezwungen war. Frankreich hatte an Preußen
und dessen Verbündete den Krieg erklärt aus Anlaß der politisch sehr harm¬
losen Präsentation eines Prinzen des fürstlichen Hauses Hohenzollern zum
spanischen Thron. Der Prinz hatte obendrein seine vorläufige Zustimmung
zu dieser Präsentation, welche die in Spanien interimistisch bestehende Regent¬
schaft an die Cortes zu bringen gedachte, bereits zurückgezogen auf die Nach¬
richt hin, welche Besorgnisse eine solche Aussicht in Frankreich errege. Eine
Kriegserklärung unter diesen Umständen erschien dem überraschten und betrof¬
fenen Europa als eine solche Ungeheuerlichkeit, daß die öffentliche Meinung
unwillkürlich nach geheimen Gründen suchte. In solchen Fällen wird nur
zu leicht der Unschuldige mit dem Schuldigen verwechselt. Die Verwirrung
der Gemüther, welche durch die plötzliche Nähe einer gewaltigen Katastrophe
entsteht, suchte die napoleonische Regierung zu benutzen und sich darzustellen
als befindlich im Stande der Vertheidigung gegenüber dem angeblichen Ehrgeiz
Preußens, der im Schilde führe, Frankreich im Rücken zu nehmen. Da war
es denn Zeit für den Leiter der deutschen Politik, mit den Beweisen nicht zu¬
rückzuhalten, aus welcher Seite ehrgeizige Anschläge gewesen, und wo das Be¬
streben zu Hause, die Grenzen der europäischen Staaten zu verrücken. Die
Wirkung dieser Beweise war die eines moralischen Donnerschlages. Die Augen
waren der Welt geöffnet, wo in dem ausbrechenden Kampfe der Angriff und
wo die Vertheidigung zu suchen, wo die Bedrohung der Nachbarn und wo
der Wille, die Verträge zu achten. Der Eindruck, welchen Europa, durch die
Enthüllung der napoleonischen Pläne empfangen, konnte auch durch die E»
eignisse des Krieges nicht ausgelöscht werden. Man sah in dem Besiegten
den gerecht Bestraften.

Wenn Fürst Bismarck in der Bedrängniß einer überraschenden und ge¬
fahrvollen Lage, unter dem Druck einer unerhört dreisten Beschuldigung den
wahren Sitz der Verschwörung gegen die Ruhe Europas durch die Bekannt¬
machung eines Stückes geheimer Verhandlungen kennzeichnete, so hat Graf
Benedetti, indem er in dem obengenannten Buch seinerseits eine Reihe ge¬
heimer Actenstücke der Oeffentlichkeit übergibt, keinen ähnlichen Entschuldigungs¬
grund. Der deutsche Kanzler gebrauchte die Veröffentlichung als Waffe der


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[0196] Na Mission en?russe xar 1e coulee Leueäetti. In dem Aufsatz „Der deutsche Reichskanzler und Herr Benedetti" haben wir gezeigt, daß Fürst Bismarck, als er in seiner Note vom 29. Juli 1870 vertrauliche Verhandlungen mit dem Botschafter Frankreichs der Oeffentlichkeit Preis gab, zu diesem ungewöhnlichen Schritt durch einen ebenso ungewöhn¬ lichen Stand der Nothwehr gezwungen war. Frankreich hatte an Preußen und dessen Verbündete den Krieg erklärt aus Anlaß der politisch sehr harm¬ losen Präsentation eines Prinzen des fürstlichen Hauses Hohenzollern zum spanischen Thron. Der Prinz hatte obendrein seine vorläufige Zustimmung zu dieser Präsentation, welche die in Spanien interimistisch bestehende Regent¬ schaft an die Cortes zu bringen gedachte, bereits zurückgezogen auf die Nach¬ richt hin, welche Besorgnisse eine solche Aussicht in Frankreich errege. Eine Kriegserklärung unter diesen Umständen erschien dem überraschten und betrof¬ fenen Europa als eine solche Ungeheuerlichkeit, daß die öffentliche Meinung unwillkürlich nach geheimen Gründen suchte. In solchen Fällen wird nur zu leicht der Unschuldige mit dem Schuldigen verwechselt. Die Verwirrung der Gemüther, welche durch die plötzliche Nähe einer gewaltigen Katastrophe entsteht, suchte die napoleonische Regierung zu benutzen und sich darzustellen als befindlich im Stande der Vertheidigung gegenüber dem angeblichen Ehrgeiz Preußens, der im Schilde führe, Frankreich im Rücken zu nehmen. Da war es denn Zeit für den Leiter der deutschen Politik, mit den Beweisen nicht zu¬ rückzuhalten, aus welcher Seite ehrgeizige Anschläge gewesen, und wo das Be¬ streben zu Hause, die Grenzen der europäischen Staaten zu verrücken. Die Wirkung dieser Beweise war die eines moralischen Donnerschlages. Die Augen waren der Welt geöffnet, wo in dem ausbrechenden Kampfe der Angriff und wo die Vertheidigung zu suchen, wo die Bedrohung der Nachbarn und wo der Wille, die Verträge zu achten. Der Eindruck, welchen Europa, durch die Enthüllung der napoleonischen Pläne empfangen, konnte auch durch die E» eignisse des Krieges nicht ausgelöscht werden. Man sah in dem Besiegten den gerecht Bestraften. Wenn Fürst Bismarck in der Bedrängniß einer überraschenden und ge¬ fahrvollen Lage, unter dem Druck einer unerhört dreisten Beschuldigung den wahren Sitz der Verschwörung gegen die Ruhe Europas durch die Bekannt¬ machung eines Stückes geheimer Verhandlungen kennzeichnete, so hat Graf Benedetti, indem er in dem obengenannten Buch seinerseits eine Reihe ge¬ heimer Actenstücke der Oeffentlichkeit übergibt, keinen ähnlichen Entschuldigungs¬ grund. Der deutsche Kanzler gebrauchte die Veröffentlichung als Waffe der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/196>, abgerufen am 08.05.2024.