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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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Nothwehr für seinen Staat. Graf Benedetti gebraucht sie zum Schutz
seiner Person. Der ehemalige Botschafter zu Berlin erwähnt mehreremal,
wie ihm sehr wohl bewußt, daß eine solche Hervorziehung amtlicher Docu-
mente, die sich auf den geheimen Verkehr der Regierungen beziehen, allen gu¬
ten Regeln zuwider sei. Die außerordentliche Dringlichkeit aber, mit welcher
er eine Verletzung rechtfertigt, die sich durch ihre Folgen zu bestrafen pflegt,
zeigt er immer nur in den ungerechten Angriffen auf seine Person. Als ob
dem Staatsmanne, der diesen Namen verdient, an der eigenen Person etwas
liegen dürfte! Und diese ungerechten Angriffe, die Herr Benedetti erfährt, wo¬
rin bestehen sie? Er führt selbst an, man habe ihm nachgesagt, daß er seine
Regierung im Dunkeln gelassen über den Umfang der deutschen Streitkräfte,
über die schnelle Bereitschaft derselben, im Felde zu stehen, und dergl. mehr.
Als ob diese Anschuldigungen etwas anders enthielten, als das nichtigste
Zeitungsgeschwätz, als ob Herr Benedetti, selbst wenn dergleichen Behauptun¬
gen sich auf die Tribüne der französischen Volksvertretung mehr als einmal
verirrt haben sollten, das Urtheil darüber nicht mit größter Ruhe hätte der
Geschichte anheimstellen dürfen! Welcher ernsthafte Franzose wird bei einiger
Gemüthsruhe daran glauben, daß die französische Negierung vier Jahre nach
der Kraftentfaltung, deren Preußen sich im Jahre 18K6 fähig gezeigt, auf
Herrn Benedetti hätte warten müssen, um den Krieg, den sie gegen Deutsch¬
land unternahm, nicht für ein Kinderspiel zu halten? Zum Ueberfluß sind ja
die Berichte des technischen Beobachters der französischen Negierung, des Ba¬
ron stosset, längst gedruckt, um zu beweisen, daß man in Paris von'der
Stärke der deutschen Wehrverfassung nach allen Seiten unterrichtet war.

Wenn Herr Benedetti sein ungewöhnliches Verfahren, eine lange Reihe
geheimer amtlicher Berichte der Oeffentlichkeit zu übergeben, mit Vorwänden
von so offenbarer Nichtigkeit rechtfertigt, so entsteht naturgemäß die Frage
nach den wahren Beweggründen. Sollte Herr Benedetti allein deshalb diese
vielen geheimen Documente hervorgezogen haben, um sich unter dem Vorwand
einer überflüssigen Vertheidigung als glänzenden Beobachter und politischen
Propheten zu zeigen? Wir vermögen auch das kaum zu glauben. Das Ver¬
dienst der politischen Voraussicht schmilzt allzu sehr zusammen einem Staats¬
mann wie dem Fürsten Bismarck gegenüber, der gelegentlich seine Absichten
mit der rückhaltlosesten Offenheit enthüllt. Weiter aber hat Herr Benedetti
im Wesentlichen nichts berichtet, als was ihm der deutsche Kanzler nicht ver¬
barg oder was die sonstigen Umstände mit fast unzweifelhafter Deutlichkeit
vor Augen legten. Wenn Herr Benedetti blos darum sein Buch heraus¬
gegeben, um seinem eignen Ruhm ein unvergängliches Denkmal zu setzen, so
ist zu fürchten, daß die Anerkennung, dieses Ruhmestitels weder jemals weit¬
verbreitet noch ausdauernd sein wird.


Nothwehr für seinen Staat. Graf Benedetti gebraucht sie zum Schutz
seiner Person. Der ehemalige Botschafter zu Berlin erwähnt mehreremal,
wie ihm sehr wohl bewußt, daß eine solche Hervorziehung amtlicher Docu-
mente, die sich auf den geheimen Verkehr der Regierungen beziehen, allen gu¬
ten Regeln zuwider sei. Die außerordentliche Dringlichkeit aber, mit welcher
er eine Verletzung rechtfertigt, die sich durch ihre Folgen zu bestrafen pflegt,
zeigt er immer nur in den ungerechten Angriffen auf seine Person. Als ob
dem Staatsmanne, der diesen Namen verdient, an der eigenen Person etwas
liegen dürfte! Und diese ungerechten Angriffe, die Herr Benedetti erfährt, wo¬
rin bestehen sie? Er führt selbst an, man habe ihm nachgesagt, daß er seine
Regierung im Dunkeln gelassen über den Umfang der deutschen Streitkräfte,
über die schnelle Bereitschaft derselben, im Felde zu stehen, und dergl. mehr.
Als ob diese Anschuldigungen etwas anders enthielten, als das nichtigste
Zeitungsgeschwätz, als ob Herr Benedetti, selbst wenn dergleichen Behauptun¬
gen sich auf die Tribüne der französischen Volksvertretung mehr als einmal
verirrt haben sollten, das Urtheil darüber nicht mit größter Ruhe hätte der
Geschichte anheimstellen dürfen! Welcher ernsthafte Franzose wird bei einiger
Gemüthsruhe daran glauben, daß die französische Negierung vier Jahre nach
der Kraftentfaltung, deren Preußen sich im Jahre 18K6 fähig gezeigt, auf
Herrn Benedetti hätte warten müssen, um den Krieg, den sie gegen Deutsch¬
land unternahm, nicht für ein Kinderspiel zu halten? Zum Ueberfluß sind ja
die Berichte des technischen Beobachters der französischen Negierung, des Ba¬
ron stosset, längst gedruckt, um zu beweisen, daß man in Paris von'der
Stärke der deutschen Wehrverfassung nach allen Seiten unterrichtet war.

Wenn Herr Benedetti sein ungewöhnliches Verfahren, eine lange Reihe
geheimer amtlicher Berichte der Oeffentlichkeit zu übergeben, mit Vorwänden
von so offenbarer Nichtigkeit rechtfertigt, so entsteht naturgemäß die Frage
nach den wahren Beweggründen. Sollte Herr Benedetti allein deshalb diese
vielen geheimen Documente hervorgezogen haben, um sich unter dem Vorwand
einer überflüssigen Vertheidigung als glänzenden Beobachter und politischen
Propheten zu zeigen? Wir vermögen auch das kaum zu glauben. Das Ver¬
dienst der politischen Voraussicht schmilzt allzu sehr zusammen einem Staats¬
mann wie dem Fürsten Bismarck gegenüber, der gelegentlich seine Absichten
mit der rückhaltlosesten Offenheit enthüllt. Weiter aber hat Herr Benedetti
im Wesentlichen nichts berichtet, als was ihm der deutsche Kanzler nicht ver¬
barg oder was die sonstigen Umstände mit fast unzweifelhafter Deutlichkeit
vor Augen legten. Wenn Herr Benedetti blos darum sein Buch heraus¬
gegeben, um seinem eignen Ruhm ein unvergängliches Denkmal zu setzen, so
ist zu fürchten, daß die Anerkennung, dieses Ruhmestitels weder jemals weit¬
verbreitet noch ausdauernd sein wird.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/197>, abgerufen am 19.05.2024.