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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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Man hat jetzt Nachricht von Joungs Verbleiben, Er wurde am Sonn¬
abend an einer Stelle, zwanzig Meilen südlich von hier, auf der Straße nach
Se. George, einer schönen Niederlassung circa 130 Meilen vom Salzsee ge¬
sehen, in welcher er den letzten Winter verbrachte. Seine Freunde sagen, daß
er Se. George besucht, um seine leidende Gesundheit wieder herzustellen, aber
er will augenscheinlich der Verhaftung entgehen, die ihm schon seit geraumer
Zeit drohte. Sein Zug bestand aus fünf bedeckten Wagen, die von 20 Mann
der mit Büchsen und Revolvern bewaffneten Nauvoo-Cavalene escortirt wur¬
den. Der bekannte Pastor Rockwell befand sich in seiner Begleitung."

Das Drama in Utah nähert sich also mit raschen Schritten seinem
Ende. Der Prophet wird nur als Gefangener wiederkehren. Eine Auflehnung
seiner Anhänger scheint nicht bevorzustehen. Er wird, wenn auch vielleicht
nicht wegen des angeblich von ihm ertheilten Mordbefehls, doch wegen dessel¬
ben Verbrechens wie Hawkins bestraft werden, vorausgesetzt, daß eine seiner
Frauen Klage gegen ihn erhebt. Was freilich mit den fünfhundert andern
-- 0. -- Polygamisten werden soll, bleibt bis auf Weiteres ein Räthsel.




Berliner Briefe.

Es war gestern ein banger Augenblick, als über das dreijährige Pausch¬
quantum des Militäretats abgestimmt wurde. Zwar hatten die Kenner der
Parteiverhältnisse schon vorhergesagt, daß der Regierungsantrag mit einer
kleinen Majorität angenommen werden würde, aber diese Majorität war wirk¬
lich so klein, daß das Ergebniß während des Namensaufrufs lange Zeit
schwankend schien. Im Reichstage selbst hat das Votum keinen versöhnenden
Eindruck gemacht. Dazu waren die Parteien zu scharf an einander gerathen
und die orthodoxen Liberalen werden den "sogenannten" Liberalen sür lange
Zeit nicht verzeihen, daß sie einer zweiten Auflage des Conflicts beraubt wor¬
den sind, obgleich sie sich selbst sagen mußten, daß ein Conflict in dem jun¬
gen deutschen Reich ein so unermeßliches Unheil wäre und eine solche Confu-
sion anrichten müßte, daß selbst das größte staatsmännische Genie keine Hülfe
bringen könnte.

Der meist geschmähte Mann dieser Tage ist Herr v. Treitschke. Wäh¬
rend er sprach und er sprach allerdings so kühn und rückhaltlos wie immer
-- leistete die Fortschrittspartei, da sie sich dem Redner nicht anders ver-


Man hat jetzt Nachricht von Joungs Verbleiben, Er wurde am Sonn¬
abend an einer Stelle, zwanzig Meilen südlich von hier, auf der Straße nach
Se. George, einer schönen Niederlassung circa 130 Meilen vom Salzsee ge¬
sehen, in welcher er den letzten Winter verbrachte. Seine Freunde sagen, daß
er Se. George besucht, um seine leidende Gesundheit wieder herzustellen, aber
er will augenscheinlich der Verhaftung entgehen, die ihm schon seit geraumer
Zeit drohte. Sein Zug bestand aus fünf bedeckten Wagen, die von 20 Mann
der mit Büchsen und Revolvern bewaffneten Nauvoo-Cavalene escortirt wur¬
den. Der bekannte Pastor Rockwell befand sich in seiner Begleitung."

Das Drama in Utah nähert sich also mit raschen Schritten seinem
Ende. Der Prophet wird nur als Gefangener wiederkehren. Eine Auflehnung
seiner Anhänger scheint nicht bevorzustehen. Er wird, wenn auch vielleicht
nicht wegen des angeblich von ihm ertheilten Mordbefehls, doch wegen dessel¬
ben Verbrechens wie Hawkins bestraft werden, vorausgesetzt, daß eine seiner
Frauen Klage gegen ihn erhebt. Was freilich mit den fünfhundert andern
— 0. — Polygamisten werden soll, bleibt bis auf Weiteres ein Räthsel.




Berliner Briefe.

Es war gestern ein banger Augenblick, als über das dreijährige Pausch¬
quantum des Militäretats abgestimmt wurde. Zwar hatten die Kenner der
Parteiverhältnisse schon vorhergesagt, daß der Regierungsantrag mit einer
kleinen Majorität angenommen werden würde, aber diese Majorität war wirk¬
lich so klein, daß das Ergebniß während des Namensaufrufs lange Zeit
schwankend schien. Im Reichstage selbst hat das Votum keinen versöhnenden
Eindruck gemacht. Dazu waren die Parteien zu scharf an einander gerathen
und die orthodoxen Liberalen werden den „sogenannten" Liberalen sür lange
Zeit nicht verzeihen, daß sie einer zweiten Auflage des Conflicts beraubt wor¬
den sind, obgleich sie sich selbst sagen mußten, daß ein Conflict in dem jun¬
gen deutschen Reich ein so unermeßliches Unheil wäre und eine solche Confu-
sion anrichten müßte, daß selbst das größte staatsmännische Genie keine Hülfe
bringen könnte.

Der meist geschmähte Mann dieser Tage ist Herr v. Treitschke. Wäh¬
rend er sprach und er sprach allerdings so kühn und rückhaltlos wie immer
— leistete die Fortschrittspartei, da sie sich dem Redner nicht anders ver-


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[0387] Man hat jetzt Nachricht von Joungs Verbleiben, Er wurde am Sonn¬ abend an einer Stelle, zwanzig Meilen südlich von hier, auf der Straße nach Se. George, einer schönen Niederlassung circa 130 Meilen vom Salzsee ge¬ sehen, in welcher er den letzten Winter verbrachte. Seine Freunde sagen, daß er Se. George besucht, um seine leidende Gesundheit wieder herzustellen, aber er will augenscheinlich der Verhaftung entgehen, die ihm schon seit geraumer Zeit drohte. Sein Zug bestand aus fünf bedeckten Wagen, die von 20 Mann der mit Büchsen und Revolvern bewaffneten Nauvoo-Cavalene escortirt wur¬ den. Der bekannte Pastor Rockwell befand sich in seiner Begleitung." Das Drama in Utah nähert sich also mit raschen Schritten seinem Ende. Der Prophet wird nur als Gefangener wiederkehren. Eine Auflehnung seiner Anhänger scheint nicht bevorzustehen. Er wird, wenn auch vielleicht nicht wegen des angeblich von ihm ertheilten Mordbefehls, doch wegen dessel¬ ben Verbrechens wie Hawkins bestraft werden, vorausgesetzt, daß eine seiner Frauen Klage gegen ihn erhebt. Was freilich mit den fünfhundert andern — 0. — Polygamisten werden soll, bleibt bis auf Weiteres ein Räthsel. Berliner Briefe. Es war gestern ein banger Augenblick, als über das dreijährige Pausch¬ quantum des Militäretats abgestimmt wurde. Zwar hatten die Kenner der Parteiverhältnisse schon vorhergesagt, daß der Regierungsantrag mit einer kleinen Majorität angenommen werden würde, aber diese Majorität war wirk¬ lich so klein, daß das Ergebniß während des Namensaufrufs lange Zeit schwankend schien. Im Reichstage selbst hat das Votum keinen versöhnenden Eindruck gemacht. Dazu waren die Parteien zu scharf an einander gerathen und die orthodoxen Liberalen werden den „sogenannten" Liberalen sür lange Zeit nicht verzeihen, daß sie einer zweiten Auflage des Conflicts beraubt wor¬ den sind, obgleich sie sich selbst sagen mußten, daß ein Conflict in dem jun¬ gen deutschen Reich ein so unermeßliches Unheil wäre und eine solche Confu- sion anrichten müßte, daß selbst das größte staatsmännische Genie keine Hülfe bringen könnte. Der meist geschmähte Mann dieser Tage ist Herr v. Treitschke. Wäh¬ rend er sprach und er sprach allerdings so kühn und rückhaltlos wie immer — leistete die Fortschrittspartei, da sie sich dem Redner nicht anders ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/387>, abgerufen am 08.05.2024.