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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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den Verhaftsbefehle erlassen gegen Brighcnn Uoung und seinen Sohn Joseph,
ebenfalls wegen Anstiftung von Mordthaten. Diese Maßregeln sollen sämmt¬
lich auf die Aussagen eines gewissen Bill Hickman verfügt worden sein, der
früher zu den Daniten oder Würgengeln der Mormonenbehörden gehört hat.
Hunderte von Leuten, vorzüglich Mormonen, besuchten heute Camp Douglas,
um Wells und die andern Gefangenen zu sehen, und General Morrow ge¬
stattete ihnen unbehinderten Zutritt zu ihren Freunden. Die Gefangenen
sind in einem bequemen, gut möblirten Häuschen untergebracht und schei¬
nen in heiterer Stimmung zu sein. Vor der Thür geht eine Schildwache
aus und ab.

Der Aelteste Georg Cannon traf diesen Morgen von San Francisco ein
und predigte Nachmittags im großen Tabernakel vor einer Zuhörerschaft von
wenigstens 10,000 Köpfen. Er rieth seinen Leuten von jeder Gewaltthat ab
und hieß sie dem Gesetz gehorchen. Gott werde sie schon beschützen und von
ihren Verfolgern befreien. Der Kreuzzug gegen sie könne ihre Stärke und
ihren Ruhm nur erhöhen. Ihre Kirche müsse zuletzt doch den Sieg behalten.
Sie wäre nicht umzustürzen. Ihr Glaube wäre die Offenbarung des gött¬
lichen Geistes und würde ewig dauern. Der Aelteste Pratt war nicht so
zahm. Er hätte, wie er sagte, durchaus keine Lust, zu hören, daß so ein
winselnder Richter zu ihm wie zu Bruder Hawkins sage: "Ich bedauere Sie"
Er brauche kein Mitleid von diesen Bundesbeamten. Er wäre bereit, auf
zwanzig Jahre in's Gefängniß zu gehen, wolle aber keine Gnade aus solch
einer Quelle. Zuletzt weissagte er. daß Gott die gegenwärtigen Verfolger des
Mormonenvolkes stürzen und vernichten werde.

Brigham Uoung ist seit mehreren Tagen verschwunden. Sein Sohn
Joseph, der mit ihm unsichtbar geworden war, soll heute zurückgekehrt sein-
Man hat ihn aber noch nicht verhaftet."

Heute früh hat das Bezirksgericht der Vereinigten Staaten
dem Antrag statt gegeben, den Bürgermeister Wells gegen Bürgschaft auf
freien Fuß zu setzen. Motivirt wurde der Beschluß damit, daß Camp Dou¬
glas, wo die Gefangenen sich befinden, mehrere Minuten von der Stadt ent¬
fernt und Wells dadurch verhindert sei. seine Obliegenheiten als Mayor zu
erfüllen und für Ordnung und Ruhe in der Stadt Sorge zu tragen, für die
er doch als Vorstand der Polizei in derselben verantwortlich zu machen. Als
Bürgschaft wurden 50,000 Dollars verlangt, für welche von H. S. Eldridge
von der Bank von Deseret und von William Jennings von der Zionscoove-
rativ - Institution Sicherheit gegeben wurde. Morgen kommt die Klage der
Frau Clayton gegen ihren in Polygamie lebenden Ehemann zur Verhand¬
lung. Dieselbe geht auf Scheidung und Alimentation. Clayton ist der Audi¬
tor des Territoriums, die Klägerin seine neunte Frau.


den Verhaftsbefehle erlassen gegen Brighcnn Uoung und seinen Sohn Joseph,
ebenfalls wegen Anstiftung von Mordthaten. Diese Maßregeln sollen sämmt¬
lich auf die Aussagen eines gewissen Bill Hickman verfügt worden sein, der
früher zu den Daniten oder Würgengeln der Mormonenbehörden gehört hat.
Hunderte von Leuten, vorzüglich Mormonen, besuchten heute Camp Douglas,
um Wells und die andern Gefangenen zu sehen, und General Morrow ge¬
stattete ihnen unbehinderten Zutritt zu ihren Freunden. Die Gefangenen
sind in einem bequemen, gut möblirten Häuschen untergebracht und schei¬
nen in heiterer Stimmung zu sein. Vor der Thür geht eine Schildwache
aus und ab.

Der Aelteste Georg Cannon traf diesen Morgen von San Francisco ein
und predigte Nachmittags im großen Tabernakel vor einer Zuhörerschaft von
wenigstens 10,000 Köpfen. Er rieth seinen Leuten von jeder Gewaltthat ab
und hieß sie dem Gesetz gehorchen. Gott werde sie schon beschützen und von
ihren Verfolgern befreien. Der Kreuzzug gegen sie könne ihre Stärke und
ihren Ruhm nur erhöhen. Ihre Kirche müsse zuletzt doch den Sieg behalten.
Sie wäre nicht umzustürzen. Ihr Glaube wäre die Offenbarung des gött¬
lichen Geistes und würde ewig dauern. Der Aelteste Pratt war nicht so
zahm. Er hätte, wie er sagte, durchaus keine Lust, zu hören, daß so ein
winselnder Richter zu ihm wie zu Bruder Hawkins sage: „Ich bedauere Sie"
Er brauche kein Mitleid von diesen Bundesbeamten. Er wäre bereit, auf
zwanzig Jahre in's Gefängniß zu gehen, wolle aber keine Gnade aus solch
einer Quelle. Zuletzt weissagte er. daß Gott die gegenwärtigen Verfolger des
Mormonenvolkes stürzen und vernichten werde.

Brigham Uoung ist seit mehreren Tagen verschwunden. Sein Sohn
Joseph, der mit ihm unsichtbar geworden war, soll heute zurückgekehrt sein-
Man hat ihn aber noch nicht verhaftet."

Heute früh hat das Bezirksgericht der Vereinigten Staaten
dem Antrag statt gegeben, den Bürgermeister Wells gegen Bürgschaft auf
freien Fuß zu setzen. Motivirt wurde der Beschluß damit, daß Camp Dou¬
glas, wo die Gefangenen sich befinden, mehrere Minuten von der Stadt ent¬
fernt und Wells dadurch verhindert sei. seine Obliegenheiten als Mayor zu
erfüllen und für Ordnung und Ruhe in der Stadt Sorge zu tragen, für die
er doch als Vorstand der Polizei in derselben verantwortlich zu machen. Als
Bürgschaft wurden 50,000 Dollars verlangt, für welche von H. S. Eldridge
von der Bank von Deseret und von William Jennings von der Zionscoove-
rativ - Institution Sicherheit gegeben wurde. Morgen kommt die Klage der
Frau Clayton gegen ihren in Polygamie lebenden Ehemann zur Verhand¬
lung. Dieselbe geht auf Scheidung und Alimentation. Clayton ist der Audi¬
tor des Territoriums, die Klägerin seine neunte Frau.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/386>, abgerufen am 30.05.2024.