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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band.

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Dom preußischen Landtag.

Die letzte Woche des Landtags im vorigen Jahre, über die noch nicht
berichtet ist, wird am besten mit Stillschweigen übergangen. Die bemerkens¬
wertheste dieser letzten vorjährigen Sitzungen war unerfreulich bemerkenswerth
durch die Art, in welcher die gerichtliche Verfolgung, welche sich ein Abgeord¬
neter durch einen literarischen Angriff auf den Minister v. Muster zugezogen,
gegen diesen Minister ausgebeutet werden sollte. Das angewendete Mittel
war derart, das genaue Gegentheil der beabsichtigten Wirkung hervorzurufen.
So traurige Waffen werden wenigstens nach der Seite nicht mehr gewandt
werden, auf die sie damals treffen sollten. Seit gestern verlautet mit großer
Bestimmtheit, daß Herr v. Muster um seinen Abschied eingekommen sei. Als
Nachfolger wird bereits der Geh. Oberjustizrath Falk im Justizministerium
genannt.

Die Wichtigkeit dieses Ministerwechsels scheint keiner Erläuterung zu be¬
dürfen. Es handelt sich indeß um weit mehr, als um den Rücktritt einer
Persönlichkeit, die sich so vielen Angriffen ausgesetzt sah. Es handelt sich um
die Frage von größter Tragweite, ob die Angelegenheiten der Kirchen und
des Unterrichts nach neuen schöpferischen Gedanken serner vom Staat positiv
geleitet werden sollen, oder ob der Staat eine Art rechtlicher Auseinander¬
setzung mit der Kirche versuchen soll. Wir halten das Letztere lediglich für
einen experimentalen Zustand, der jedoch unvermeidlich ist, so lange der Mann
mit schöpferischen Gedanken, der "Bismarck des Cultusministeriums", wie ein
bereits herrschend gewordener Sprachgebrauch sich ausdrückt, nicht gefunden ist.
Der Name und die Stellung des muthmaßlichen Nachfolgers scheint auf ein
solches Experiment zu deuten. Die unmittelbaren Motive für den Rücktritt
des Herrn v. Muster werden in den Angriffen zu suchen sein, welche sich im
Abgeordnetenhaus vorbereiteten, und in denen, allerdings aus den entgegenge¬
setzten Gründen, Ultramontane und Liberale zum Theil übereingestimmt haben
würden, während das Gesammtministerium schwerlich in der Lage war, soli¬
darisch für den angegriffenen Collegen einzutreten.

Von den Sitzungen der letzten Woche interessirt uns zunächst die des Ab¬
geordnetenhauses vom 9. Januar. Das Herrenhaus hat seine Sitzungen noch
nicht wieder aufgenommen. Im Abgeordnetenhause kam am 9. Januar zu¬
erst ein Gesetzentwurf, betreffend die Ueberweisung einer Jahressumme von
142,000 Thalern und eines Capitals von 46,000 Thalern an den communal-
ständischen Verband des Regierungsbezirks Wiesbaden zur Sprache. Aus der
Verhandlung ist die Erklärung des Ministers des Innern hervorzuheben, daß


Dom preußischen Landtag.

Die letzte Woche des Landtags im vorigen Jahre, über die noch nicht
berichtet ist, wird am besten mit Stillschweigen übergangen. Die bemerkens¬
wertheste dieser letzten vorjährigen Sitzungen war unerfreulich bemerkenswerth
durch die Art, in welcher die gerichtliche Verfolgung, welche sich ein Abgeord¬
neter durch einen literarischen Angriff auf den Minister v. Muster zugezogen,
gegen diesen Minister ausgebeutet werden sollte. Das angewendete Mittel
war derart, das genaue Gegentheil der beabsichtigten Wirkung hervorzurufen.
So traurige Waffen werden wenigstens nach der Seite nicht mehr gewandt
werden, auf die sie damals treffen sollten. Seit gestern verlautet mit großer
Bestimmtheit, daß Herr v. Muster um seinen Abschied eingekommen sei. Als
Nachfolger wird bereits der Geh. Oberjustizrath Falk im Justizministerium
genannt.

Die Wichtigkeit dieses Ministerwechsels scheint keiner Erläuterung zu be¬
dürfen. Es handelt sich indeß um weit mehr, als um den Rücktritt einer
Persönlichkeit, die sich so vielen Angriffen ausgesetzt sah. Es handelt sich um
die Frage von größter Tragweite, ob die Angelegenheiten der Kirchen und
des Unterrichts nach neuen schöpferischen Gedanken serner vom Staat positiv
geleitet werden sollen, oder ob der Staat eine Art rechtlicher Auseinander¬
setzung mit der Kirche versuchen soll. Wir halten das Letztere lediglich für
einen experimentalen Zustand, der jedoch unvermeidlich ist, so lange der Mann
mit schöpferischen Gedanken, der „Bismarck des Cultusministeriums", wie ein
bereits herrschend gewordener Sprachgebrauch sich ausdrückt, nicht gefunden ist.
Der Name und die Stellung des muthmaßlichen Nachfolgers scheint auf ein
solches Experiment zu deuten. Die unmittelbaren Motive für den Rücktritt
des Herrn v. Muster werden in den Angriffen zu suchen sein, welche sich im
Abgeordnetenhaus vorbereiteten, und in denen, allerdings aus den entgegenge¬
setzten Gründen, Ultramontane und Liberale zum Theil übereingestimmt haben
würden, während das Gesammtministerium schwerlich in der Lage war, soli¬
darisch für den angegriffenen Collegen einzutreten.

Von den Sitzungen der letzten Woche interessirt uns zunächst die des Ab¬
geordnetenhauses vom 9. Januar. Das Herrenhaus hat seine Sitzungen noch
nicht wieder aufgenommen. Im Abgeordnetenhause kam am 9. Januar zu¬
erst ein Gesetzentwurf, betreffend die Ueberweisung einer Jahressumme von
142,000 Thalern und eines Capitals von 46,000 Thalern an den communal-
ständischen Verband des Regierungsbezirks Wiesbaden zur Sprache. Aus der
Verhandlung ist die Erklärung des Ministers des Innern hervorzuheben, daß


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[0160] Dom preußischen Landtag. Die letzte Woche des Landtags im vorigen Jahre, über die noch nicht berichtet ist, wird am besten mit Stillschweigen übergangen. Die bemerkens¬ wertheste dieser letzten vorjährigen Sitzungen war unerfreulich bemerkenswerth durch die Art, in welcher die gerichtliche Verfolgung, welche sich ein Abgeord¬ neter durch einen literarischen Angriff auf den Minister v. Muster zugezogen, gegen diesen Minister ausgebeutet werden sollte. Das angewendete Mittel war derart, das genaue Gegentheil der beabsichtigten Wirkung hervorzurufen. So traurige Waffen werden wenigstens nach der Seite nicht mehr gewandt werden, auf die sie damals treffen sollten. Seit gestern verlautet mit großer Bestimmtheit, daß Herr v. Muster um seinen Abschied eingekommen sei. Als Nachfolger wird bereits der Geh. Oberjustizrath Falk im Justizministerium genannt. Die Wichtigkeit dieses Ministerwechsels scheint keiner Erläuterung zu be¬ dürfen. Es handelt sich indeß um weit mehr, als um den Rücktritt einer Persönlichkeit, die sich so vielen Angriffen ausgesetzt sah. Es handelt sich um die Frage von größter Tragweite, ob die Angelegenheiten der Kirchen und des Unterrichts nach neuen schöpferischen Gedanken serner vom Staat positiv geleitet werden sollen, oder ob der Staat eine Art rechtlicher Auseinander¬ setzung mit der Kirche versuchen soll. Wir halten das Letztere lediglich für einen experimentalen Zustand, der jedoch unvermeidlich ist, so lange der Mann mit schöpferischen Gedanken, der „Bismarck des Cultusministeriums", wie ein bereits herrschend gewordener Sprachgebrauch sich ausdrückt, nicht gefunden ist. Der Name und die Stellung des muthmaßlichen Nachfolgers scheint auf ein solches Experiment zu deuten. Die unmittelbaren Motive für den Rücktritt des Herrn v. Muster werden in den Angriffen zu suchen sein, welche sich im Abgeordnetenhaus vorbereiteten, und in denen, allerdings aus den entgegenge¬ setzten Gründen, Ultramontane und Liberale zum Theil übereingestimmt haben würden, während das Gesammtministerium schwerlich in der Lage war, soli¬ darisch für den angegriffenen Collegen einzutreten. Von den Sitzungen der letzten Woche interessirt uns zunächst die des Ab¬ geordnetenhauses vom 9. Januar. Das Herrenhaus hat seine Sitzungen noch nicht wieder aufgenommen. Im Abgeordnetenhause kam am 9. Januar zu¬ erst ein Gesetzentwurf, betreffend die Ueberweisung einer Jahressumme von 142,000 Thalern und eines Capitals von 46,000 Thalern an den communal- ständischen Verband des Regierungsbezirks Wiesbaden zur Sprache. Aus der Verhandlung ist die Erklärung des Ministers des Innern hervorzuheben, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_126853/160>, abgerufen am 07.05.2024.