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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band.

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nach der vollständigen Zahlung der französischen Kriegsentschädigung und
nach einer veränderten Organisation der alten Provinzen auch den letztern so¬
genannte Provinzialfonds überwiesen werden sollen. Wir verhehlen nicht, daß
wir die Ueberweisung von ausschließlichen Communalsteuerquellen der Über¬
weisung von Capitalien bei Weitem vorziehen würden. Es ist noch immer zu
hoffen, daß bei der Verwaltungsreform, deren erster Schritt ja mit der Kreis¬
ordnungsvorlage gethan worden, die Überlassung der Grund- und Gebäude¬
steuer als ausschließlicher Steuerquelle an die Gemeinde des Orts, des Kreises
und der Provinz zur Sprache kommt und erlangt wird.

Die Berathung des Staatshaushaltes für 1872, die vor den Weihnachts¬
ferien bei dem Ministerium des Innern stehen geblieben, war der zweite
Gegenstand der Sitzung vom 9. Januar. Die Commissarien des Hauses
hatten beantragt, die Staatsregierung aufzufordern, auf möglichste Ueber¬
leitung der königlichen Polizeiverwaltung in den Städten, wo eine solche be¬
steht, in die Hände der städtischen Gemeinden Bedacht zu nehmen. Es war
nicht das erste Mal, daß dieses Thema verhandelt wurde, und es traten keine
neuen Gesichtspunkte hervor. Die Opposition bewegte sich in dem allgemeinen
Gedanken der Selbstverwaltung der Städte; der Minister des Innern stellte
diesem Gedanken, wie schon öfters, die Nothwendigkeit einer centralisirten
Polizei und die Aufnahme gewisser Localitäten in den centralisirten Staats¬
polizeibezirk entgegen. Die Entgegnungen, die der Minister fand, waren ein
wenig banal. So die, daß die Gemeinden ja für eine gute Polizei selbst in-
teressirt seien nach der Lehre des Verses: "Wenn die Rose selbst sich schmückt,
schmückt sie auch den Garten." Sollte die Frage ernsthaft behandelt werden,
so wäre zu untersuchen. ob die städtischen Polizeidirectoren nicht für die
Zwecke der allgemeinen Staatspolizei in ebenso enge Verbindung mit dem
Ministerium des Innern gebracht werden könnten, wie nur immer die könig¬
lichen, das heißt die von der Centralverwaltung ernannten Polizeidirectoren.

Der Kern der Frage umfaßt aber weit mehr. Der allseitige Uebergang
der Polizei an die Gemeinden setzt voraus: eine gesetzliche Ordnung des ganzen
Verwaltungsorganismus; ein genau abgemessenes, aber wirksames disciplina¬
risches Recht des Ministers des Innern über die Organe der sogenannten
Selbstverwaltung, und endlich als neues, zum Theil abschließendes Glied des
Verwaltungsorganismus, die Verwaltungsgerichte als Gerichtshöfe des öffent¬
lichen Rechts. So lange diese großen Reformen nicht vollzogen sind, wird
das Abgeordnetenhaus die königlichen Polizeiverwaltungen in den elf größeren
Städten der Monarchie am Besten unangetastet lassen, was den Grundsatz
anlangt. Jedenfalls ist ein sehr anfechtbares Mittel, die Kosten solcher
Verwaltungen, wie bei einigen derselben geschehen, als "künftig wegfallend"


Grenzboten I. 1872. 20

nach der vollständigen Zahlung der französischen Kriegsentschädigung und
nach einer veränderten Organisation der alten Provinzen auch den letztern so¬
genannte Provinzialfonds überwiesen werden sollen. Wir verhehlen nicht, daß
wir die Ueberweisung von ausschließlichen Communalsteuerquellen der Über¬
weisung von Capitalien bei Weitem vorziehen würden. Es ist noch immer zu
hoffen, daß bei der Verwaltungsreform, deren erster Schritt ja mit der Kreis¬
ordnungsvorlage gethan worden, die Überlassung der Grund- und Gebäude¬
steuer als ausschließlicher Steuerquelle an die Gemeinde des Orts, des Kreises
und der Provinz zur Sprache kommt und erlangt wird.

Die Berathung des Staatshaushaltes für 1872, die vor den Weihnachts¬
ferien bei dem Ministerium des Innern stehen geblieben, war der zweite
Gegenstand der Sitzung vom 9. Januar. Die Commissarien des Hauses
hatten beantragt, die Staatsregierung aufzufordern, auf möglichste Ueber¬
leitung der königlichen Polizeiverwaltung in den Städten, wo eine solche be¬
steht, in die Hände der städtischen Gemeinden Bedacht zu nehmen. Es war
nicht das erste Mal, daß dieses Thema verhandelt wurde, und es traten keine
neuen Gesichtspunkte hervor. Die Opposition bewegte sich in dem allgemeinen
Gedanken der Selbstverwaltung der Städte; der Minister des Innern stellte
diesem Gedanken, wie schon öfters, die Nothwendigkeit einer centralisirten
Polizei und die Aufnahme gewisser Localitäten in den centralisirten Staats¬
polizeibezirk entgegen. Die Entgegnungen, die der Minister fand, waren ein
wenig banal. So die, daß die Gemeinden ja für eine gute Polizei selbst in-
teressirt seien nach der Lehre des Verses: „Wenn die Rose selbst sich schmückt,
schmückt sie auch den Garten." Sollte die Frage ernsthaft behandelt werden,
so wäre zu untersuchen. ob die städtischen Polizeidirectoren nicht für die
Zwecke der allgemeinen Staatspolizei in ebenso enge Verbindung mit dem
Ministerium des Innern gebracht werden könnten, wie nur immer die könig¬
lichen, das heißt die von der Centralverwaltung ernannten Polizeidirectoren.

Der Kern der Frage umfaßt aber weit mehr. Der allseitige Uebergang
der Polizei an die Gemeinden setzt voraus: eine gesetzliche Ordnung des ganzen
Verwaltungsorganismus; ein genau abgemessenes, aber wirksames disciplina¬
risches Recht des Ministers des Innern über die Organe der sogenannten
Selbstverwaltung, und endlich als neues, zum Theil abschließendes Glied des
Verwaltungsorganismus, die Verwaltungsgerichte als Gerichtshöfe des öffent¬
lichen Rechts. So lange diese großen Reformen nicht vollzogen sind, wird
das Abgeordnetenhaus die königlichen Polizeiverwaltungen in den elf größeren
Städten der Monarchie am Besten unangetastet lassen, was den Grundsatz
anlangt. Jedenfalls ist ein sehr anfechtbares Mittel, die Kosten solcher
Verwaltungen, wie bei einigen derselben geschehen, als „künftig wegfallend"


Grenzboten I. 1872. 20
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_126853/161>, abgerufen am 19.05.2024.