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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band.

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ergaben, so war doch das Zugeständnis um so hoher anzuschlagen, als nur
wenige Jahre hingereicht hätten, diese Vergünstigung überhaupt unmöglich
werden zu lassen. Denn der Beschluß vom 19. Juni 1846 konnte Herder's
Erben keinerlei Schutz gegen den Nachdruck gewähren. Nur dem Antrage
Preußens war zu danken, daß den Erben Herder's gleich den übrigen das Pri¬
vilegium bis 1867 verlängert wurde.

Auf dem letzten segensreichen Beschluß des Bundestages ist bekanntlich
zum Besten des Rechtes für geistiges Eigenthum weiter gebaut worden. Wir
wünschten nur daran zu erinnern, daß Goethe, wenn er auch für lange Zeit
das Privilegienwesen durch die Gewährung seines Gesundes gestützt hat, doch
um so sicherer zur gänzlichen Beseitigung des Privilegienwesens das Seine
beigetragen hat.




Deutsche Staatsmänner und Abgeordnete"
Minister Delbrück.

Den Poeten ist vorbehalten, uns in den süßen Wahn zu versetzen, daß
ihre Helden allen Mitlebenden die Zeichen ihrer Größe aufgeprägt, und die
Menschheit für immer ein gutes Stück vorwärts gebracht haben. Der Histo¬
riker ist weniger sanguinisch. Er weiß, daß die Linie des menschlichen Fort¬
schrittes keine gerade ist, sondern eine wunderbar verschlungene, die oft eine
große Aehnlichkeit hat mit dem verwunschenen Hahnenschritt der Sage, der
alle Jahr einmal zwei Schritt nach vorwärts geht und einen rückwärts. Es
ist auch in unseren Tagen nicht anders. Wir haben die größten Dinge er¬
lebt, die je ein Geschlecht vor uns in dem Zeitraum von kaum sieben Jahren
über die Bühne der Weltgeschichte gehen sah. Die Verträge, welche die beiden
Generationen vor uns für die Grundlage der europäischen Ordnung hielten,
sind zerrissen. Die Götzen, vor denen die Welt kniete, an deren Laune Krieg
und Frieden hing für die Hälfte mindestens unseres Erdballs, sind zertrüm¬
mert und zerschlagen durch das schneidige deutsche Schwert. Inmitten des
alten Europa, dem die Bewohner Amerikas schon den Altentheil bescheiden
zudachten, hat sich das deutsche Reich erhoben, kraftvoll und frisch, waffen¬
gewaltig und friedenverheißend wie , kaum eine zweite Großmacht der Erde.
Und doch -- in einem Punkte steht der Anfang des siebenten Jahrzehnts
des Jahrhunderts hinter dem Anfang des sechsten zurück. Damals diesseits
und jenseits des Oceans der Drang, die Freiheit des Handels und Verkehrs unter
allen Völkern zu verwirklichen. Heute, wenn wir von den in finanz-politischen
Gründen wurzelnden Schutzzöllen der amerikanischen Freistaaten absehen, auch


ergaben, so war doch das Zugeständnis um so hoher anzuschlagen, als nur
wenige Jahre hingereicht hätten, diese Vergünstigung überhaupt unmöglich
werden zu lassen. Denn der Beschluß vom 19. Juni 1846 konnte Herder's
Erben keinerlei Schutz gegen den Nachdruck gewähren. Nur dem Antrage
Preußens war zu danken, daß den Erben Herder's gleich den übrigen das Pri¬
vilegium bis 1867 verlängert wurde.

Auf dem letzten segensreichen Beschluß des Bundestages ist bekanntlich
zum Besten des Rechtes für geistiges Eigenthum weiter gebaut worden. Wir
wünschten nur daran zu erinnern, daß Goethe, wenn er auch für lange Zeit
das Privilegienwesen durch die Gewährung seines Gesundes gestützt hat, doch
um so sicherer zur gänzlichen Beseitigung des Privilegienwesens das Seine
beigetragen hat.




Deutsche Staatsmänner und Abgeordnete»
Minister Delbrück.

Den Poeten ist vorbehalten, uns in den süßen Wahn zu versetzen, daß
ihre Helden allen Mitlebenden die Zeichen ihrer Größe aufgeprägt, und die
Menschheit für immer ein gutes Stück vorwärts gebracht haben. Der Histo¬
riker ist weniger sanguinisch. Er weiß, daß die Linie des menschlichen Fort¬
schrittes keine gerade ist, sondern eine wunderbar verschlungene, die oft eine
große Aehnlichkeit hat mit dem verwunschenen Hahnenschritt der Sage, der
alle Jahr einmal zwei Schritt nach vorwärts geht und einen rückwärts. Es
ist auch in unseren Tagen nicht anders. Wir haben die größten Dinge er¬
lebt, die je ein Geschlecht vor uns in dem Zeitraum von kaum sieben Jahren
über die Bühne der Weltgeschichte gehen sah. Die Verträge, welche die beiden
Generationen vor uns für die Grundlage der europäischen Ordnung hielten,
sind zerrissen. Die Götzen, vor denen die Welt kniete, an deren Laune Krieg
und Frieden hing für die Hälfte mindestens unseres Erdballs, sind zertrüm¬
mert und zerschlagen durch das schneidige deutsche Schwert. Inmitten des
alten Europa, dem die Bewohner Amerikas schon den Altentheil bescheiden
zudachten, hat sich das deutsche Reich erhoben, kraftvoll und frisch, waffen¬
gewaltig und friedenverheißend wie , kaum eine zweite Großmacht der Erde.
Und doch — in einem Punkte steht der Anfang des siebenten Jahrzehnts
des Jahrhunderts hinter dem Anfang des sechsten zurück. Damals diesseits
und jenseits des Oceans der Drang, die Freiheit des Handels und Verkehrs unter
allen Völkern zu verwirklichen. Heute, wenn wir von den in finanz-politischen
Gründen wurzelnden Schutzzöllen der amerikanischen Freistaaten absehen, auch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_126853/178>, abgerufen am 07.05.2024.