Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

oder Dresden-Berliner Canal auf 27 Meilen Gesammtlänge nur 20 Schleußen.
-- Diese großen norddeutschen Canäle liegen ferner in Höhen über dem
Meeresspiegel, wo es leicht und wohlfeil ist, sie selbst für erhebliche Tiefen
und Breiten ausgiebig zu speisen. Der Rhein-Weser-Canal wird eine Höhe
von 180, der Weser-Eid-Canal eine Höhe von 183 Fuß über dem Mittel¬
punct des Amsterdamer Pegels nicht übersteigen; der Eid-Spree-Canal fällt
von 306 Fuß bei Dresden auf 110 Fuß bei Berlin herab.

Hieraus folgen vergleichsweise niedrige Anlagekosten und die Möglichkeit
eines ebenso vortheilhaften als schwungvollen Betriebes. Nordamerika viel¬
leicht ausgenommen, ist offenbar kein großes civilisirtes Land für ein dichtes
Canalnetz so geeignet, wie das nördliche Deutschland. Kommt dazu nun der
erreichte materielle und moralische Culturzustand unserer Nation, die endlich
gewonnene Möglichkeit einer entschlossenen Staats-Jnitiative. die sich entweder
in angemessener Gesetzgebung oder in directer Unternehmung ausdrücken kann,
und die durchaus nicht ungünstige commercielle Lage des fraglichen Gebietes
in Mittel-Europa, so sehen wir ohne gewaltsame Anstrengung der Phantasie
eine mächtige und erfolgreiche Thätigkeit in dieser Richtung für die nächste
Zukunft voraus. Beschränkte Eifersüchtelei wird das nicht lange aufhalten
oder stören, trüge sie auch die vornehmsten bureaukratischen Titel und Namen.
Die deutschen Eisenbahnen, so ausgedehnt und leistungsfähig sie schon sind,
können doch eine Erleichterung der auf ihnen ruhenden Last gar wohl ver¬
tragen, -- das hat die verlängerte unerträgliche Stockung des Güterverkehrs
seit dem Kriege vollauf bewiesen. Die Canäle aber haben bei Weitem nicht
allein Anspruch auf diejenigen Transporte, welche ihre natürliche Wohlfeilheit
der Schienenstraße entziehen wird. Sie werden in den meisten Gegenden,
namentlich wo sie durch Moor streichen, wie so häufig zwischen Elbe und
Ems oder Rhein, gewisse Transporte überhaupt erst möglich machen, die doch,
gleich dem Austausch von Dünger und Torf, das Geheimniß in sich tragen
können, weite Landstriche der Boden-Cultur frisch aufzuschließen und mit
"5. fröhlich gedeihenden Menschengewimmel zu erfüllen.




Deutsche Staatsmänner und Abgeordnete.
Joseph Volk.

Wir wissen nicht, wer zuerst den Grundsatz in unsern öffentlichen Ver¬
hältnissen einbürgerte, man dürfe das Leben der Zeitgenossen erst nach ihrem
Tode schildern. Aber sicher ist, daß der Grundsatz: "von den Todten nur
Gutes, von den Lebenden gar nichts" in keine Zeit weniger paßt, als in die


oder Dresden-Berliner Canal auf 27 Meilen Gesammtlänge nur 20 Schleußen.
— Diese großen norddeutschen Canäle liegen ferner in Höhen über dem
Meeresspiegel, wo es leicht und wohlfeil ist, sie selbst für erhebliche Tiefen
und Breiten ausgiebig zu speisen. Der Rhein-Weser-Canal wird eine Höhe
von 180, der Weser-Eid-Canal eine Höhe von 183 Fuß über dem Mittel¬
punct des Amsterdamer Pegels nicht übersteigen; der Eid-Spree-Canal fällt
von 306 Fuß bei Dresden auf 110 Fuß bei Berlin herab.

Hieraus folgen vergleichsweise niedrige Anlagekosten und die Möglichkeit
eines ebenso vortheilhaften als schwungvollen Betriebes. Nordamerika viel¬
leicht ausgenommen, ist offenbar kein großes civilisirtes Land für ein dichtes
Canalnetz so geeignet, wie das nördliche Deutschland. Kommt dazu nun der
erreichte materielle und moralische Culturzustand unserer Nation, die endlich
gewonnene Möglichkeit einer entschlossenen Staats-Jnitiative. die sich entweder
in angemessener Gesetzgebung oder in directer Unternehmung ausdrücken kann,
und die durchaus nicht ungünstige commercielle Lage des fraglichen Gebietes
in Mittel-Europa, so sehen wir ohne gewaltsame Anstrengung der Phantasie
eine mächtige und erfolgreiche Thätigkeit in dieser Richtung für die nächste
Zukunft voraus. Beschränkte Eifersüchtelei wird das nicht lange aufhalten
oder stören, trüge sie auch die vornehmsten bureaukratischen Titel und Namen.
Die deutschen Eisenbahnen, so ausgedehnt und leistungsfähig sie schon sind,
können doch eine Erleichterung der auf ihnen ruhenden Last gar wohl ver¬
tragen, — das hat die verlängerte unerträgliche Stockung des Güterverkehrs
seit dem Kriege vollauf bewiesen. Die Canäle aber haben bei Weitem nicht
allein Anspruch auf diejenigen Transporte, welche ihre natürliche Wohlfeilheit
der Schienenstraße entziehen wird. Sie werden in den meisten Gegenden,
namentlich wo sie durch Moor streichen, wie so häufig zwischen Elbe und
Ems oder Rhein, gewisse Transporte überhaupt erst möglich machen, die doch,
gleich dem Austausch von Dünger und Torf, das Geheimniß in sich tragen
können, weite Landstriche der Boden-Cultur frisch aufzuschließen und mit
«5. fröhlich gedeihenden Menschengewimmel zu erfüllen.




Deutsche Staatsmänner und Abgeordnete.
Joseph Volk.

Wir wissen nicht, wer zuerst den Grundsatz in unsern öffentlichen Ver¬
hältnissen einbürgerte, man dürfe das Leben der Zeitgenossen erst nach ihrem
Tode schildern. Aber sicher ist, daß der Grundsatz: „von den Todten nur
Gutes, von den Lebenden gar nichts" in keine Zeit weniger paßt, als in die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0018" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126872"/>
          <p xml:id="ID_26" prev="#ID_25"> oder Dresden-Berliner Canal auf 27 Meilen Gesammtlänge nur 20 Schleußen.<lb/>
&#x2014; Diese großen norddeutschen Canäle liegen ferner in Höhen über dem<lb/>
Meeresspiegel, wo es leicht und wohlfeil ist, sie selbst für erhebliche Tiefen<lb/>
und Breiten ausgiebig zu speisen. Der Rhein-Weser-Canal wird eine Höhe<lb/>
von 180, der Weser-Eid-Canal eine Höhe von 183 Fuß über dem Mittel¬<lb/>
punct des Amsterdamer Pegels nicht übersteigen; der Eid-Spree-Canal fällt<lb/>
von 306 Fuß bei Dresden auf 110 Fuß bei Berlin herab.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_27"> Hieraus folgen vergleichsweise niedrige Anlagekosten und die Möglichkeit<lb/>
eines ebenso vortheilhaften als schwungvollen Betriebes. Nordamerika viel¬<lb/>
leicht ausgenommen, ist offenbar kein großes civilisirtes Land für ein dichtes<lb/>
Canalnetz so geeignet, wie das nördliche Deutschland. Kommt dazu nun der<lb/>
erreichte materielle und moralische Culturzustand unserer Nation, die endlich<lb/>
gewonnene Möglichkeit einer entschlossenen Staats-Jnitiative. die sich entweder<lb/>
in angemessener Gesetzgebung oder in directer Unternehmung ausdrücken kann,<lb/>
und die durchaus nicht ungünstige commercielle Lage des fraglichen Gebietes<lb/>
in Mittel-Europa, so sehen wir ohne gewaltsame Anstrengung der Phantasie<lb/>
eine mächtige und erfolgreiche Thätigkeit in dieser Richtung für die nächste<lb/>
Zukunft voraus. Beschränkte Eifersüchtelei wird das nicht lange aufhalten<lb/>
oder stören, trüge sie auch die vornehmsten bureaukratischen Titel und Namen.<lb/>
Die deutschen Eisenbahnen, so ausgedehnt und leistungsfähig sie schon sind,<lb/>
können doch eine Erleichterung der auf ihnen ruhenden Last gar wohl ver¬<lb/>
tragen, &#x2014; das hat die verlängerte unerträgliche Stockung des Güterverkehrs<lb/>
seit dem Kriege vollauf bewiesen. Die Canäle aber haben bei Weitem nicht<lb/>
allein Anspruch auf diejenigen Transporte, welche ihre natürliche Wohlfeilheit<lb/>
der Schienenstraße entziehen wird. Sie werden in den meisten Gegenden,<lb/>
namentlich wo sie durch Moor streichen, wie so häufig zwischen Elbe und<lb/>
Ems oder Rhein, gewisse Transporte überhaupt erst möglich machen, die doch,<lb/>
gleich dem Austausch von Dünger und Torf, das Geheimniß in sich tragen<lb/>
können, weite Landstriche der Boden-Cultur frisch aufzuschließen und mit<lb/><note type="byline"> «5.</note> fröhlich gedeihenden Menschengewimmel zu erfüllen. </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Deutsche Staatsmänner und Abgeordnete.<lb/><note type="byline"> Joseph Volk.</note></head><lb/>
          <p xml:id="ID_28" next="#ID_29"> Wir wissen nicht, wer zuerst den Grundsatz in unsern öffentlichen Ver¬<lb/>
hältnissen einbürgerte, man dürfe das Leben der Zeitgenossen erst nach ihrem<lb/>
Tode schildern. Aber sicher ist, daß der Grundsatz: &#x201E;von den Todten nur<lb/>
Gutes, von den Lebenden gar nichts" in keine Zeit weniger paßt, als in die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0018] oder Dresden-Berliner Canal auf 27 Meilen Gesammtlänge nur 20 Schleußen. — Diese großen norddeutschen Canäle liegen ferner in Höhen über dem Meeresspiegel, wo es leicht und wohlfeil ist, sie selbst für erhebliche Tiefen und Breiten ausgiebig zu speisen. Der Rhein-Weser-Canal wird eine Höhe von 180, der Weser-Eid-Canal eine Höhe von 183 Fuß über dem Mittel¬ punct des Amsterdamer Pegels nicht übersteigen; der Eid-Spree-Canal fällt von 306 Fuß bei Dresden auf 110 Fuß bei Berlin herab. Hieraus folgen vergleichsweise niedrige Anlagekosten und die Möglichkeit eines ebenso vortheilhaften als schwungvollen Betriebes. Nordamerika viel¬ leicht ausgenommen, ist offenbar kein großes civilisirtes Land für ein dichtes Canalnetz so geeignet, wie das nördliche Deutschland. Kommt dazu nun der erreichte materielle und moralische Culturzustand unserer Nation, die endlich gewonnene Möglichkeit einer entschlossenen Staats-Jnitiative. die sich entweder in angemessener Gesetzgebung oder in directer Unternehmung ausdrücken kann, und die durchaus nicht ungünstige commercielle Lage des fraglichen Gebietes in Mittel-Europa, so sehen wir ohne gewaltsame Anstrengung der Phantasie eine mächtige und erfolgreiche Thätigkeit in dieser Richtung für die nächste Zukunft voraus. Beschränkte Eifersüchtelei wird das nicht lange aufhalten oder stören, trüge sie auch die vornehmsten bureaukratischen Titel und Namen. Die deutschen Eisenbahnen, so ausgedehnt und leistungsfähig sie schon sind, können doch eine Erleichterung der auf ihnen ruhenden Last gar wohl ver¬ tragen, — das hat die verlängerte unerträgliche Stockung des Güterverkehrs seit dem Kriege vollauf bewiesen. Die Canäle aber haben bei Weitem nicht allein Anspruch auf diejenigen Transporte, welche ihre natürliche Wohlfeilheit der Schienenstraße entziehen wird. Sie werden in den meisten Gegenden, namentlich wo sie durch Moor streichen, wie so häufig zwischen Elbe und Ems oder Rhein, gewisse Transporte überhaupt erst möglich machen, die doch, gleich dem Austausch von Dünger und Torf, das Geheimniß in sich tragen können, weite Landstriche der Boden-Cultur frisch aufzuschließen und mit «5. fröhlich gedeihenden Menschengewimmel zu erfüllen. Deutsche Staatsmänner und Abgeordnete. Joseph Volk. Wir wissen nicht, wer zuerst den Grundsatz in unsern öffentlichen Ver¬ hältnissen einbürgerte, man dürfe das Leben der Zeitgenossen erst nach ihrem Tode schildern. Aber sicher ist, daß der Grundsatz: „von den Todten nur Gutes, von den Lebenden gar nichts" in keine Zeit weniger paßt, als in die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_126853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_126853/18
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_126853/18>, abgerufen am 07.05.2024.